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Transparenz
Für und Wider von Standards bei Nachhaltigkeitsberichten

Für deutsche Unternehmen startet die Saison der Halbjahresbilanz. Ab 2017 müssen viele Unternehmen auch sogenannte nicht-finanzielle Erklärungen veröffentlichen: einen Nachhaltigkeitsbericht. Bei vielen, vor allen kleineren Firmen, herrscht Unsicherheit über Nutzen und vor allem Standards.

Von Silke Hahne | 21.07.2015
    Auf einem Haufen von Datenblättern liegen ein Taschenrechner und ein Kugelschreiber
    Die Nachhaltigkeitsberichte sollen Auskunft über die Unternehmen im Hinblick auf ökologisches und soziales Handeln geben. (©istock/Pali Rao)
    Nachhaltigkeit - ein Fachwort ursprünglich aus der Forstwirtschaft, das in den vergangenen Jahren Karriere gemacht hat. Häufig wird es als schwammiger Sammelbegriff benutzt: für alle ökologisch oder sozial angehauchten Projekte von Unternehmen.
    Die EU allerdings hat ganze andere Vorstellungen. In den Nachhaltigkeitsberichten von Morgen sollen sogenannte nicht-finanzielle Informationen offengelegt werden. Und die sind wesentlich grundsätzlicherer Natur als hie und da ein Projekt. Kristina Jeromin setzt sich bei der Deutschen Börse damit auseinander und umreißt das Themenfeld:
    "Beispielsweise Kennzahlen aus dem Bereich Mitarbeiter: Wie ist die Zufriedenheit? Vielfalts-Kennzahlen. Oder je nachdem, wenn sie produzierendes Unternehmen sind, aus dem Bereich der Umweltverschmutzung, die im Rahmen Ihrer Produktionskette anfällt. Informationen hinsichtlich Ihrer Lieferanten: Wie werden Menschenrechte in der Lieferkette eingehalten?"
    Ab 2017 Nachhaltigkeitsbericht Pflicht
    Und das seien in ihrem Verständnis sehr wohl finanzielle Informationen - in dem Sinne, dass sie für Investoren ausschlaggebend sein könnten. Das betrifft vor allem kapitalmarkt-notierte Firmen. Die Nachfrage von Investoren nach solchen Informationen steige, so Jeromin. Viele kleinere Unternehmen fühlen sich mit der Aussicht aber noch unwohl, ab 2017 Nachhaltigkeits-Kennzahlen berichten zu müssen.
    "Besonders bei den mittleren und kleinen ist das ein großes Problem. Die Schwierigkeit besteht darin, dass es keine allgemeine, anerkannte Erhebungsmethode für Nachhaltigkeitskennzahlen gibt, weil diese Kennzahlen sich ja auch so unterscheiden. Sie können sich vorstellen: Wasserzahlen, Carbon-Footprint-Zahlen. Das ist alles noch easy. Aber wie misst man Zufriedenheit und sagt dann: ‚Das ist ein Wert von fünf und zukünftig wollen wir einen Wert von zehn.' Was ist das für eine Aussage?"
    Jeromin rät Unternehmen für den Anfang, qualitativ zu berichten, wenn sie noch Probleme mit der Datensammlung haben.
    Möglichkeit zur Vorgabe von einheitlichem Standard
    Die Bundesregierung kann bei der nationalen Umsetzung der EU-Richtlinie aber auch einen einheitlichen Standard vorgeben. Und damit auch die Informationen, die Unternehmen offen legen müssen. Darin sieht Alexander Bassen - Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung - einen entscheidenden Vorteil:
    "Wir haben momentan global die Situation, dass wir mit einer Vielzahl von verschiedenen Standards agieren. Das hat für beide Seiten Probleme, für die Unternehmen stellt sich immer die Frage: ‚Nach welchem Standard sollen wir denn jetzt berichten?' Auf der anderen Seite, für die Empfänger, stellt sich die Frage: ‚Wie soll denn die Berichte nach diesen verschiedenen Standards eigentlich vergleichen?' Und da würde ein Standard oder ein Mindeststandard für beide Parteien sicherlich einen Vorteil darstellen."
    Gesetzliche, einheitliche Vorgaben - für die Kapitalmarkt-Expertin Kristina Jeromin eher ein Hindernis: Unternehmen würden die Berichte so als bloße Pflicht sehen - und sie bei nächster Gelegenheit wieder abschaffen, nämlich sobald der politische Druck nachlässt. Lieber sollten sich die Unternehmen denjenigen Standard aussuchen können, mit dem sie ihre Stärken in Sachen Nachhaltigkeit betonen können. Alexander Bassen erinnert in diesem Kontext aber daran, was seiner Ansicht nach wohl der eigentliche Sinn von Nachhaltigkeitsberichten ist:
    "Wenn das Unternehmen bei allen Kriterien beispielsweise im deutschen Nachhaltigkeitskodex sagt: ‚Wir machen das nicht, aus den und den Gründen' - dann ist dieses Thema transparent und die Akteure können darauf reagieren."
    Sprich: Selbst entscheiden, ob sie etwa die Produkte des Unternehmens kaufen oder dort ihr Geld anlegen.
    Bis Dezember 2016 hat die Bundesregierung noch Zeit, sich für oder gegen einen einheitlichen Standard zu entscheiden - und damit auch dafür, wie streng sie das Ziel aus dem eigenen Koalitionsvertrag nimmt: sich für eine Stärkung der europäischen Nachhaltigkeitsstrategie einzusetzen.