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Trash-Piloten

Müll ist Materie am falschen Ort, sagt der Fachmann, und meistens auch noch in unbrauchbarem Zustand. Aber da beginnen schon die Ermessensfragen: Des einen Müll ist des anderen Wertstoff, und Recycling funktioniert gerade deswegen, weil Müll nichts weiter ist als Materie am falschen Ort. "Trash" heißt Müll auf englisch, genauer: Das, was im Haushalt an schmierigen Resten so anfällt und sich zum Recyceln eher weniger eignet. Folgerichtig ist auch das Trash, was niemand drucken will, aber dennoch gedruckt wird, weil es ja auch Leute gibt, die gerne in Abfalleimern wühlen. Trash ist Schundliteratur, ein eigentlich viel zu wohlklingendes Wort für den abfällig gemeinten Tatbestand, und wahrscheinlich hat das dem Verdikt dereinst die Zähne gezogen. Schundliteratur war nämlich auch mal das harmlose Mickymausheft; eigentlich fast alles, was der Jugend Spaß machte. Heute gibt es keinen Schund mehr, weil er aus allen Kanälen tropft und zur natürlichen Umgebung geworden ist, doch die Jugend braucht Schund, Schund braucht sie, um sich zu emanzipieren, und darum hat sie den Trash erfunden. Trash ist der Mutwille, grell, geschmacklos und schlecht zu sein, um in Zeiten, in denen alles erlaubt ist, irgendwie doch anzuecken. Bloß: grell, geschmacklos und schlecht ist die Literatur ja sowieso. Aber pscht! ... nicht weitersagen, wer weiß, was die Jugend sonst noch erfinden muß.

Florian Felix Weyh |
    Also: Bei Reclam Leipzig gibt es die "Trash-Piloten", eine Sammlung von Sprach-, Literatur und Textmüll in typographisch widerwärtiger Aufmachung, nämlich so, als habe ein fünfzehnjähriger Schülerzeitungsredakteur den Inhalt einer Schrift-CD-ROM wahllos über den Text verteilt. Reclam Leipzig ist der deutsche Verlag der Berufsjugend, wohl in zwanghafter Abgrenzung zum betulichen Stuttgarter Mutterhaus, das aber immerhin mit seinen Klassiker-CD-Roms auch schon ein bißchen an der Jugend herumbiedert. Bei Reclam Leipzig kann man das Wörterbuch "Die goldenen Siebziger" kaufen oder im Lexikon "Abba, Barbie, Cordsamthosen" nachschlagen, wohin der Trend weht. In Anbetracht der Tatsache, daß Robert Schneiders Roman "Schlafes Bruder" - 19. Jahrhundert par excellence - das Geld für solche Kapriolen eingespielt hat, wirkt die Nachwuchspflege à la "Trashpiloten" schon ein bißchen bizarr. Aber über Müll zu lamentieren, bringt nichts. Wegräumen muß man ihn.

    Stil, Psychologie, Trennschärfe, Milieugenauigkeit, Konstruktionsfinesse und Eleganz, um nur ein paar Prädikate von Literatur zu nennen, all das sucht man in den Trash-Texten vergebens. Stattdessen wird gestottert und gestammelt - mal rappend rhythmisch, meist aber wahllos -, werden Zettelkästen entleert, Assoziationsketten ausgeleiert, der Wortschwall im Delir notiert, surreale Bilder nachgetuscht, Fernsehserien paraphrasiert und so ziemlich jeder Trivialmythos zitiert. Lesespaß: nicht sehr groß. Erkenntnisgewinn: null. Mutwilligkeitsfaktor: riesig. Aber dieser Mutwille ist eine müde Geste. Vor dreißig Jahren erschien im März Verlag die Anthologie "Acid" mit amerikanischer Untergrund-Literatur, und seltsamerweise scheinen die "Trashpiloten" 1997 weder inhaltlich noch formal über die Väter hinausgewachsen zu sein. Sogar ein paar echte 68er-Veteranen dürfen im Buch mitmischen, endlich wieder in Gesellschaft junger Menschen, aber was heißt hier jung? Die 70er-Jahre-Mode wird von Zwanzigjährigen zelebriert; die "Trashpiloten"-Texte sind in überwältigender Mehrzahl von Leuten Anfang dreißig geschrieben. Authentizität? Man hat eher das Gefühl, eine diffuse, mit sich selbst hadernde Generation sei den Platz zwischen den Stühlen leid und schlage sich auf die Seite der jüngeren Geschwister. Da gehört sie freilich auch nicht hin, denn die Texte sind doch nur eine verschämte Abbitte an die haßgeliebten Väter, die ihre Pubertät anno 68 wirklich als Jugendliche absolvierten, und nicht wie heute mit Mitte dreißig.

    Noch ein Verdacht: Hier ist gar nicht das Buch Ziel aller Wünsche, es lockt der wahre Trash: Fernsehen und Comic, die Felder, in denen es obendrein was zu verdienen gibt, wo man sich nicht schamhaft mit Kultur bemänteln muß. Die Biographien vieler Autoren legen es nahe: Schriftstellerei ist keinem der Traumberuf, Textchef in einer Werbeagentur schon eher. Dennoch findet sich ein Bachmann-Preisträger inmitten der Illiteraten - und fällt nicht einmal auf. Pech gehabt, man hüte sich vor schlechter Gesellschaft, darin wird man nämlich unkenntlich. So geht es fast allen, die einen Namen zu verlieren haben, nur einer zieht sich geschickt aus der Affäre: Andreas Neumeister, nun beinahe schon vierzig und wirklich kein Trash-Autor, läßt ein paar Schulaufsätze aus den sechziger Jahren faximiliert abdrucken. Literatur aus dem Papierkorb, während die andere noch dahin wandern wird. Von den Unbekannten heben sich nur zwei Frauen her-aus: Margret Kreidl mit einer seriellen Komposition im Stile Alexander Kluges, und Tanja Dückers, die - ein bißchen holperig erzählt - einen pointierten Blick auf weibliche Lüste wirft. Sex ist das Thema Nummer eins in dieser Anthologie, auch da hat sich in den letzten dreißig Jahren wenig geändert. Bloß die Lautstärke - die Lautstärke wächst mit jeder Generation. Wie heißt es so treffend in einem Text: "Das absolute Gehör haben die wenigsten, aber eine Schmerzgrenze haben alle." Leser - halte dich fern von Sadisten! Sie wollen dich nur quälen.