Donnerstag, 18. April 2024

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Trash-Theater mit Thomas Mann

"Der Zauberberg" von Thomas Mann ist ein Stück deutsche Literaturgeschichte. Sebastian Hartmann hat am Leipziger Centraltheater die 1000 Seiten in Szene gesetzt und führt in fünf Stunden durch die ungesunde Atomsphäre des todaffinen Denkens.

Von Hartmut Krug | 07.11.2010
    Die Bühne ist eine Landschaft aus schräg-steilen, weiß verschachtelt aufragenden kalten Quadern: Sebastian Hartmann hat für seinen kühnen Versuch, Thomas Manns umfänglichen, mit philosophischen Reflexionen der Hauptfigur Hans Castorp schwer beladenen Roman "Der Zauberberg" auf die Bühne zu bringen, selbst die Szenerie entworfen. In Manns und Hartmanns Gedankengebirge geht es auf und ab, da klettern die Menschen hinauf oder hangeln sich an Seilen hinab, und meist bewegen sie sich dabei in der dünnen Luft einer auch erotisch aufgeladenen Atmosphäre. Thomas Manns musikalisch-ideelle Beziehungswelt wird nicht historisch situiert, sondern als abstrakte, grundsätzliche Gedankenwelt gezeigt, die von der Live-Musik des Elektro-Gitarristen Steve Binetti und dessen textlich kaum verständlichen englischen Liedern durchweht wird. Auch Manns Figuren singen hier gern und bezugreich, so Wilhelm Müllers "Am Brunnen vor dem Tore."

    Hartmann zeigt eine Gedanken- und Krankenwelt, in der mit und von Manns Figuren über das Verhältnis von Leben und Geist, Ironie und Eros, Tod und Leben, Leib und Liebe philosophiert wird. Zu Beginn spricht ein Wir genannter Erzähler mit schwarzer Fahne in der Hand Manns Roman-Vorsatz. Und der sprachlich wie körperlich wunderbar gelenkige Manolo Bertling gibt mit seiner Gestaltung dieser Figur den Ton einer Inszenierung vor, die sich genau an Manns Roman hält und dabei dessen Sprache zu ihrem sinnlichen und sinnreichen Klangrecht gelangen lässt, - auch wenn gelegentlich durchaus linde Ironie eingesetzt wird.

    In fünf manchmal langwierigen, oft aber fantasievoll und fantastisch, ernsthaft und grotesk gestalteten Szenen, die es dem des Romans nicht kundigen Zuschauer allerdings nicht immer leicht machen. Es beginnt recht unterhaltsam, wenn Hans Castorp im Sanatorium Berghof ankommt und Maximilian Brauer seinen ihn am Bahnhof abholenden Vetter als soldatisch strammen, von zappeligen gestischen Ticks zerrissenen Mann spielt. Auch die anderen Menschen wirken zu Beginn noch ungemein lebendig, lassen sich auf Gefühle ein und nähern sich einander auch erotisch. So wie der psychoanalytisch interessierte Assistent Krokowski, bei Hartmann eine Frau:

    Castorp, der von Guido Lambrecht als lieb-lässig beweglicher, staunender Mann gegeben wird, der Manns Charakterisierung nahe kommt, Castorp sei "doch wohl mittelmäßig, wenn auch in einem recht ehrenwerten Sinn", zeigt bei seiner alkoholisch angeregten Liebeserklärung an die schöne Russin Chauchat allerdings durchaus Feurigkeit. Leider überdehnt Hartmann diese übertitelte Szene, in der die Russin auf Französisch antwortet, unendlich, wie er auch in manch anderen Szenen wenig Gefühl für Zeit und Timing zeigt und kein Mitleid mit den Zuschauern beweist.

    Für das politisch-philosophische Streitgespräch zwischen dem Humanisten Settembrini, den Peter René Lüdicke leider vor allem als engagierten Schreihals gibt, und dem vom Fortschrittsmotor Krieg todesfanatisch skeptisch sprechenden Jesuiten Naphta, den Ingolf Müller-Beck mit gestisch witziger Virtuosität spielt, wird eine Gedankensuppe in Bergeshöhe gekocht. Das Kochduell an der Gulaschkanone ist eine im doppelten Sinne sinnliche Szene, nicht nur witzig, sondern auch sinnreich bezüglich, wenn die denkenden Köche Gemüse und Fleisch zerlegen. Wenn dann Argumente in aufgedrehter Wirrheit durch die Luft schwirren, geht die Diskussion am Zuschauer allerdings eher vorbei. Im folgenden Satyrspiel treten weiß geschminkte Rokoko-Puppen auf und führen ein kindisches Totschieß-Spiel auf, - es sind die Toten, die von der Vergangenheit bleiben.

    Im letzten Teil des poetisch grellen, albtraumhaft eingenebelten Abends, nachdem sich bei einer Séance die Menschen im Welttheater des Todes als Tote auf Abruf erfahren haben, wird das Schneekapitel des Romans mit seiner Kriegsvision als Materialschlacht gegeben, und die Figuren, jetzt allesamt im Rokoko-Kostüm, werden unter Schneelawinen aus Styropor begraben. Ein nun als cooler Jeansmensch auftretender Vetter bringt die Vereinigung zwischen alter und neuer Zeit und schließt das Zeitfenster nicht nur, sondern öffnet es auch. In einer Inszenierung, die trotz einzelner Längen nie wirklich langweilig ist, sondern den Zuschauer ungemein anregt.