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''Trauer muss Elektra tragen''

Auch Frank Castorf hat nun seinen Beitrag zur Irak-Kriegs-Debatte abgegeben. Seine etwas einfach anmutende Diagnose: Die Achse des Bösen beginnt in Amerika, und zwar mitten in der Wohnstube. Lauter kranke, neurotische, behandlungsbedürftige Menschen sitzen da beisammen, drangsalieren und massakrieren einander, ganz so, wie sie es von ihren europäischen Wurzeln, schon vom griechischen Mythos her gewohnt sind. Nur sind sie eben viel schlimmer, banaler, amerikanischer.

Von Christian Gampert |
    Eugene O´Neill benutzte die Orestie quasi als Maske für ein psychologisches Stück, das zur Zeit der Sezessionskriege im 19.Jahrhundert spielt und die Leiden (!) und Verstrickungen der amerikanischen Familie untersucht: Man ist dem Puritanismus verpflichtet, aber inzestuös verbandelt. General Agamemnon, der hier Ezra Mannon heißt und im Zivilberuf Richter ist, kehrt aus dem Krieg zurück und wird von der fremdgehenden Gattin gemeuchelt; die nonnenhafte Elektra, hier Lavinia genannt, ist nicht nur Bruder und Mutter, sondern auch Mutters Liebhaber Adam Brant erotisch zugetan, sucht aber als Rachegöttin die Sphäre der Reinheit und bleibt allein zurück: "Trauer muss Elektra tragen".

    Für den Regisseur ist das ein gefundenes Fressen und eine schöne Gelegenheit, wieder einmal die große, überkandidelte, gewalttätige Castorf-Maschine anzuwerfen. Für Psychologie interessiert sich die Inszenierung einen Dreck. Das Stück ist nur Anlass, die Verderbtheit der amerikanischen Soap-Kultur dieser Tage vor Augen zu führen – wobei man sich bei Castorf langsam fragen muss, was eigentlich diese Amis von den Dostojewski-Dämonen, einem deutschen Klassiker oder den Figuren aus "Berlin Alexanderplatz" unterscheidet: Bei Castorf sind alle gleich verrückt, unter ständigem Überdruck, von ihren Körpern gequälte Tiere mit Sprechanfällen.

    Die Bühne von Bert Neumann sieht aus, als habe man mit einem Hammer auf eine neuenglische Kolonialstil-Villa draufgehauen und sie zu einem Holzbaracken-Bungalow abgeplattet. Wenn sich die Drehbühne in Bewegung setzt, darf man von hinten ins plüschige Schlafzimmer sehen, dessen Wände alsbald durchbrochen werden; man sieht auch ein Gärtlein, bei O´Neill ein Obstgarten, bei Castorf eine Art Schrebergarten, in dem Shit-Pflanzen angebaut werden und echte Hühner herumstaksen.

    Und so geht es auch drinnen zu: eine wilde Alk- und Koks- und Sex-Party der ganze Abend. Es kommt nie der Eindruck auf, dass hier Eltern mit ihren Kindern verhandeln, nein – die Familie ist bei Castorf mutiert zu einer wild quatschenden und schlägernden WG, in der es jeder mit jedem tun will. Das mag als subtile Reminiszenz an manche, auch Castorfsche Theater-Clans sehr nett sein, dem Stück aber erweist es keinen Dienst: man sieht ein exotisches Bestiarium, in dem schlussendlich der Vater mit Schlaftabletten und der Liebhaber der Mutter in einem demütigenden homosexuellen Akt vom Sohn umgebracht wird.

    Die Schauspieler sind virtuos, aber eindimensional. Kriegsheimkehrer Ezra Mannon und Ehebrecher Adam Brant sind beide gleich tumb und werden deshalb beide vom selben Schauspieler gemacht, von Martin Schütz nämlich, der das Unbeholfen-Plumpe der Figuren herausstreicht. Die Mutter der Sylvana Krappatsch ist eine elegante Hysterikerin, der Orin/Orest des Marc Hosemann ein trotziger sexualisierter Bengel. Bibiana Beglau spielt die Lavinia, die Elektra als desorientiertes, aggressiv im Chaos der Empfindungen umherirrendes Mädchen. Das Hohe und das Triviale gehen wild durcheinander an diesem Abend: wer mit Mutter ins Bett will, sucht nachher seine Unterhose.

    Angeblich ist diese Inszenierung eine "Dekonstruktion des amerikanischen Willens zur Macht" – sprich: was sich außenpolitisch so bestimmend geriert, kann in den eigenen vier Wänden nur als Neurosenkabinett gedacht werden. In Wahrheit sind die Verhältnisse wohl etwas komplizierter: Die dekadenten industriellen Kulturen der ersten Welt sind immerhin zu verschärfter Selbstkritik fähig, was für die meisten islamischen Gesellschaften nicht unbedingt zutrifft. Aber es gibt eben keine Stücke über religiösen Massenwahn oder arabischen Führerkult, dafür aber eine Menge Stücke, die die amerikanische Seele psychoanalytisch auseinander klappen.

    Castorf lässt sich nicht darauf ein, er benutzt O´Neill wie einen Cartoon: Er denunziert. Das ist ziemlich billig. Aber es passt gut in die eine Gesellschaft, die sich in friedensseliger Selbstinszenierung gefällt. Alle sind gegen Krieg - allein Castorfs manieristisches Kotz- und Brülltheater, allein die publikumsverachtende Gewalttätigkeit seiner Inszenierung lassen die Frage aufkommen, ob in seinem aggressiven Gutmenschentum nicht doch ein wenig braune Suppe brodelt.

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