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Trauerspiel Erfurt

Noch im April schien sich die Erfurter Blut-Affäre in Luft aufzulösen: Es sei laut WADA vor 2011 doch keine verbotene Methode gewesen, das Blut mit UV zu Bestrahlen. Doch seit dieser Woche ist klar, dass der von der NADA beauftragte Gutachter zu einem anderen Schluss kam. Die umstrittenen Methode war verboten. Jetzt versucht sich die NADA heraus zu winden: Gutachter Heiko Striegel soll sein Gutachten en detail zu begründen. Der Fall Erfurt nimmt peinliche Züge an.

Von Hajo Seppelt | 27.05.2012
    Am Mittwoch, als sich die NADA-Vorständler Andrea Gotzmann und Lars Mortsiefer in Berlin mit dem neuen Aufsichtsratsvorsitzenden Hans-Georg Näder trafen, dürfte zum Fall Erfurt einiges zu besprechen gewesen sein. Verständlich, dass die beiden Vorständler wünschen, dass davon möglichst wenig nach außen dringt, es geht schließlich um Bedeutsames, wie Vorstand Mortsiefer einmal NADA-intern einräumte: Zitat:

    "Einen ähnlich gelagerten Fall hat es in der Geschichte der Dopingbekämpfung bisher noch nicht gegeben."
    Für die NADA war lange klar - in zahlreichen der ARD vorliegenden Dokumenten und in öffentlichen Statements nachzuverfolgen - dass die Erfurter Blutbehandlung als Verbotene Methode schon seit etlichen Jahren zu betrachten war. In diese Richtung dachten auch Kriminalpolizisten, Ermittlungsrichter, Staatsanwälte, die WADA, die Sportmediziner-Vereinigung: von "Blutdoping", von "dringendem Tatverdacht", von einem "Verstoß gegen das Dopingverbot" war stets die Rede. Bis zu 30 Sportlern drohte daher die Einleitung von Verfahren.

    Seit Ende April heißt für viele überraschend: es sei laut WADA vor 2011 doch keine Verbotene Methode gewesen, die NADA stimmte - interessanterweise allem Anschein nach erleichtert - mit ein. Und der Fall Erfurt schien sich größtenteils in Luft aufzulösen. Doch als diese Woche herauskam, dass der schon seit Monaten eigens von der NADA beauftragte Gutachter in einer vorläufigen Stellungnahme zu einem anderen Schluss als die WADA Ende April kam, war klar: der Gutachter und sein Auftraggeber liegen über Kreuz, die NADA ist ein einer Zwickmühle. Wie sich die NADA da herauswindet, das nimmt peinliche Züge an. Vom eigens beauftragten Gutachter Prof. Dr. Dr. Heiko Striegel will sie nun nämlich fordern, sein Gutachten en detail zu begründen. Der Vorstand schickte NADA-intern einen Vermerk herum - folgenden Inhalts:

    "Der Gutachter wird vom Vorstand noch einmal gebeten, in seinen finalen Ausführungen die wesentlichen wissenschaftlichen Quellen für seine Thesen zu benennen und die Herleitung der Auffassung zu begründen."

    Als wäre eine solche Begründung nicht zwingend Bestandteil einer wissenschaftlichen Begutachtung. Das Vorgehen der NADA wirkt wie ein Misstrauensvotum. Und es geht noch weiter:

    "Ein Gremium aus Experten, das aus bis zu drei Mitgliedern des Aufsichtsrats bestehen soll, die eine juristische oder medizinische Expertise aufweisen, soll den Vorstand bei der Prüfung und finalen Bewertung des Gutachtens unterstützen."

    Der Vorstand, der laut Satzung das operative Geschäft leiten soll und dies auch stets betont, gibt seine Kernaufgaben hiermit also an seine Kontrollinstanz ab - oder an andere Personen, die auch noch dafür im Gespräch sein sollen, Nun sollen also quasi neue Gutachter den Gutachter begutachten. Wenn diese Gutachter des Gutachters zu einem anderen Schluss kommen als Prof. Striegel, dann bleibt alles wie gehabt, man folge dann der WADA und ihrer Bewertung, heißt es intern. Nach Deutschlandfunk-Informationen wird in Montreal bei der WADA aber immer noch weiter beratschlagt, man erhofft sich weitere Informationen aus Deutschland, will weitere Sachverhalte prüfen. Ob dazu das Striegel-Gutachten gehören würde, steht indes in Frage. Denn - kaum zu glauben - der NADA-Vorstand ist offenkundig gar nicht so sicher, ob er der WADA das von ihrer derzeitigen Rechtsauffassung abweichende Gutachten übermitteln will. Ein NADA-interner Vermerk hat folgenden Inhalt:

    "Auf Empfehlung des Aufsichtsrats soll der Vorstand entscheiden, ob das Gutachten übersetzt wird und zur weiteren Bewertung an die WADA übermittelt wird. Nur für den Fall, dass das Gutachten an die WADA übermittelt wird, werden Aufsichtsrat und Vorstand, sofern es eine Rückmeldung der WADA gibt, über das weitere Vorgehen beraten."

    Im Klartext: es ist durchaus möglich, dass die NADA das Gutachten einfach unter den Tisch fallen lässt - obwohl man wochenlang die Bedeutung der Expertise hervorhob. Wofür aber hat man es dann gemacht? Und wieder schiebt der Vorstand dem Aufsichtsrat Verantwortung zu, der soll eine Empfehlung abgeben. Es ist ein Armutszeugnis für einen zwar oft bemühten, aber ängstlichen und offenbar überforderten NADA-Vorstand. Der Eindruck entsteht, dass man in der Causa Erfurt einen Gesichtsverlust vermeiden will und das von der NADA bestellte Gutachten, wenn es denn final vorliegt, herunterspielen will. Die Expertise des Sportmediziners und Juristen Striegel dabei womöglich zu diskreditieren, wäre ein Kollateralschaden.

    Wie aus Bonn zu erfahren war, wollte der Vorstand jetzt sogar prüfen lassen, mit einem Athleten X einen fiktiven Fall vor ein weiteres - ein unabhängiges Schiedsgericht - zu bringen. So unsicher ist man bei der NADA derzeit - und dies würde die Lösung des Falls Erfurt weiter in die Länge ziehen. Auch für die Olympianominierungen ist das schlecht, denn einige der in Erfurt behandelten Sportler wollen sich für London qualifizieren. Der DOSB befürchtet Probleme, wenn der Kurs der NADA weiter in diesem Tempo vorangeht.

    Der Eindruck ist klar: Wie die NADA-Spitze in Sachen Erfurt seit Wochen und Monaten einerseits intern, andererseits extern kommuniziert, stellt ihre Glaubwürdigkeit erheblich in Zweifel. Aber auch die WADA hat sich nicht mit Ruhm bekleckert. Am 26. April teilte sie der NADA mit, die neue WADA-Bewertung in Sachen UV-Bestrahlung sei nun fertig.

    "Wir haben die Diskussion mit den Mitgliedern des Verbotslistenkomitees abgeschlossen."

    Kaum zu glauben. Längst ist bekannt, dass manche gar nicht oder nur schlecht informiert waren. Die NADA erklärte aber indes öffentlich einen Tag später sogar:

    "Zu Rate gezogen wurden alle Gremien der WADA."

    Das war nun noch falscher. Denn manche Gremienmitglieder waren gar nicht befragt worden. Oder auch falsch informiert. Ein sehr hochrangiger WADA-Mediziner glaubte, in Erfurt sei im Körper befindliches Blut von außen über die Haut - einem Solarium vergleichbar - bestrahlt worden. Daher sagte er, das sei nicht verboten. Erst als er erfuhr, dass in Erfurt auch Blutabnahmen und Rückführungen stattfanden, korrigierte er sich: es sei klar eine verbotene Methode angewandt worden. Offenbar liegen bei der WADA in Montreal nicht jedem der Zuständigen alle Informationen vor.

    Fazit: Der Fall Erfurt ist ein Trauerspiel, das inzwischen schon peinliche Züge angenommen hat - und die NADA ist mittendrin. Sie hat nach zahlreichen Geschäftsführerwechseln schon lange ein Imageproblem, das mit dem Fall Erfurt noch größer wurde. Man darf sich nicht wundern, wenn Sponsoren aus der Wirtschaft und auch die Bundesländer nur wenig in die NADA investieren wollen. Bei dieser Außendarstellung darf man fragen, ob das Geld gut angelegt ist.