Die Zuschauer werden nicht ins Theater, sondern in eine von sechs Boxen geleitet. Jede Box enthält fünf Bildschirme mit fünf Köpfen, und eine Lücke, die je ein Schauspieler füllt. Die Situation: irgendwann nach dem August 2006, nach der Selbstbefreiung des Entführungsopfers Natascha Kampusch, die acht Jahre lang in einem Kellerverlies gefangen gehalten wurde. Jetzt sprechen selbsternannte Experten: Die Pseudopsychologin analysiert eine "ganz normale Abwehrstruktur"; der Möchtegernjournalist wittert ein "modernes Märchen"; die Irgendwienachbarin bietet Mitgefühl und gesunden Menschenverstand.
Das Opfer selbst bleibt eine Leerstelle, es geht auch nicht um die Berichterstattung von damals, die ja perfekt gemanagt wurde. Kathrin Röggla interessiert sich für die Medienöffentlichkeit um das Auge des Orkans herum, für das plötzliche Expertentum von Hinz und Kunz. Und für deren doppelte Bedürfnisstruktur: Die Irgendwienachbarin bietet Solidarität nur für Aufmerksamkeit; die Pseudopsychologin reagiert äußerst aggressiv, wenn das Opfer nicht "Opfer" sein will; der Möchtegernjournalist will mehr Emotion und weiß am Ende, dass sich die Story nicht bezahlt macht.
Kathrin Röggla hat diese psychologischen Vorgänge mit wenigen Sätzen markant skizziert, allerdings auch wieder komplett verkompliziert dadurch, dass alle im Konjunktiv sprechen. Sie erzählen von sich in indirekter Rede. Was zunächst logisch klingt, weil das Objekt ihrer Bemühungen ja fehlt, ist aber nur ein technischer "Trick", eine zusätzliche Distanznahme der Autorin, die damit die Indirektheit medialer Erfahrung thematisieren will.
So wird mitgeredet, geholfen, gezweifelt und sich enttäuscht abgewendet, nicht ohne dem "Monster" die "Maske" vom Gesicht gerissen zu haben. Die selbsternannten Experten sind launische Besserwisser, die sich am Schluss öffentlich selbst entlarvt haben.
Die eineinhalbstündige Inszenierung von Stephan Rottkamp baut einen klugen, fast mathematisch ausgedachten Rahmen um Kathrin Rögglas Text, der allerdings weniger als Stück denn als intellektuelle Fingerübung zur Mediengesellschaft durchgehen kann.
Das Gegenteil sah man am Abend vorher. Andreas Kriegenburg bewies mit Schillers "Kabale und Liebe", warum er der launigste, musikalischste und sentimentalste Regisseur in Deutschland ist. Sentimental im positiven Sinne übrigens: Wie Kriegenburg mit zwei Ventilatoren und einer einzigen weißen Stoffbahn szenische Einfälle und mit ihnen Gefühle erzeugt, ist einzigartig. Die ganz weiß ausgeschlagene Bühne und ein E-Bassist entfalten die Wucht eines Thalheimer-Abends, der durch Kriegenburgs humoristische Ader allerdings von seltener Schwerelosigkeit durchwoben ist.
Ebenso leicht verschränkt sich Schillers Text mit dem Jargon aus dem mittleren Management. Schillers Sprache ist ganz frei von Pathos, sie wirkt dynamisiert und heutig. Jede Szene ist von Rhythmus und großer Musikalität durchdrungen. Wie Kriegenburg mit der allergrößten Künstlichkeit Szenen voller Emotionalität erzeugt, ist großes Theater. Die Paarung des Abends sind dabei nicht Luise und Ferdinand (Janina Sachau ist eine wirklich engelsgleiche Bürgerstochter mit hellwachem Sinn für die politischen Realitäten, Daniel Christensen ein etwas zu weinerlicher Held zwischen Liebe, Staatsräson und eigener Verblendung), die Paarung des Abends sind Matthias Leja als Präsident von Walter und Katrin Röver als Hofmarshall von Kalb.
Ironische Distanz und comedienartiges Herumgealbere ergeben dabei ein präzises Bild heutiger Politik, die sich ja auch zunehmend als Unterhaltungsevent inszeniert. Abgesehen davon lernen wir, was man alles mit einem weißen dünnen Vorhang anstellen kann. Der bläht sich, wenn die Intrige ihren Höhepunkt erreicht. Bietet Gelegenheit zu schönen Schattenrissen. Oder weht so um Luise, als ob sie im Feuer steht. Das ist schön, manchmal fast zu schön. Schön jedenfalls, dass Kriegenburg auch mal in Düsseldorf vorbeigekommen ist.
Das Opfer selbst bleibt eine Leerstelle, es geht auch nicht um die Berichterstattung von damals, die ja perfekt gemanagt wurde. Kathrin Röggla interessiert sich für die Medienöffentlichkeit um das Auge des Orkans herum, für das plötzliche Expertentum von Hinz und Kunz. Und für deren doppelte Bedürfnisstruktur: Die Irgendwienachbarin bietet Solidarität nur für Aufmerksamkeit; die Pseudopsychologin reagiert äußerst aggressiv, wenn das Opfer nicht "Opfer" sein will; der Möchtegernjournalist will mehr Emotion und weiß am Ende, dass sich die Story nicht bezahlt macht.
Kathrin Röggla hat diese psychologischen Vorgänge mit wenigen Sätzen markant skizziert, allerdings auch wieder komplett verkompliziert dadurch, dass alle im Konjunktiv sprechen. Sie erzählen von sich in indirekter Rede. Was zunächst logisch klingt, weil das Objekt ihrer Bemühungen ja fehlt, ist aber nur ein technischer "Trick", eine zusätzliche Distanznahme der Autorin, die damit die Indirektheit medialer Erfahrung thematisieren will.
So wird mitgeredet, geholfen, gezweifelt und sich enttäuscht abgewendet, nicht ohne dem "Monster" die "Maske" vom Gesicht gerissen zu haben. Die selbsternannten Experten sind launische Besserwisser, die sich am Schluss öffentlich selbst entlarvt haben.
Die eineinhalbstündige Inszenierung von Stephan Rottkamp baut einen klugen, fast mathematisch ausgedachten Rahmen um Kathrin Rögglas Text, der allerdings weniger als Stück denn als intellektuelle Fingerübung zur Mediengesellschaft durchgehen kann.
Das Gegenteil sah man am Abend vorher. Andreas Kriegenburg bewies mit Schillers "Kabale und Liebe", warum er der launigste, musikalischste und sentimentalste Regisseur in Deutschland ist. Sentimental im positiven Sinne übrigens: Wie Kriegenburg mit zwei Ventilatoren und einer einzigen weißen Stoffbahn szenische Einfälle und mit ihnen Gefühle erzeugt, ist einzigartig. Die ganz weiß ausgeschlagene Bühne und ein E-Bassist entfalten die Wucht eines Thalheimer-Abends, der durch Kriegenburgs humoristische Ader allerdings von seltener Schwerelosigkeit durchwoben ist.
Ebenso leicht verschränkt sich Schillers Text mit dem Jargon aus dem mittleren Management. Schillers Sprache ist ganz frei von Pathos, sie wirkt dynamisiert und heutig. Jede Szene ist von Rhythmus und großer Musikalität durchdrungen. Wie Kriegenburg mit der allergrößten Künstlichkeit Szenen voller Emotionalität erzeugt, ist großes Theater. Die Paarung des Abends sind dabei nicht Luise und Ferdinand (Janina Sachau ist eine wirklich engelsgleiche Bürgerstochter mit hellwachem Sinn für die politischen Realitäten, Daniel Christensen ein etwas zu weinerlicher Held zwischen Liebe, Staatsräson und eigener Verblendung), die Paarung des Abends sind Matthias Leja als Präsident von Walter und Katrin Röver als Hofmarshall von Kalb.
Ironische Distanz und comedienartiges Herumgealbere ergeben dabei ein präzises Bild heutiger Politik, die sich ja auch zunehmend als Unterhaltungsevent inszeniert. Abgesehen davon lernen wir, was man alles mit einem weißen dünnen Vorhang anstellen kann. Der bläht sich, wenn die Intrige ihren Höhepunkt erreicht. Bietet Gelegenheit zu schönen Schattenrissen. Oder weht so um Luise, als ob sie im Feuer steht. Das ist schön, manchmal fast zu schön. Schön jedenfalls, dass Kriegenburg auch mal in Düsseldorf vorbeigekommen ist.