Dienstag, 16. April 2024

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Trauma im Journalismus
Verarbeiten durch Aufschreiben

Ob Kriege oder Katastrophen - Opfer, Soldaten und Rettungskräfte lassen solche Extremsituationen oft nicht mehr los. Und auch bei Journalisten, die berichten, können Spuren zurückbleiben. Anderen hilft ihre Arbeit.

Von Daniel Bouhs | 12.11.2018
    Für Lokalreporter kommt die Katastrophe plötzlich - und vor allem auch: in der Heimat, wie hier für Fotografen, die 2010 über das Unglück auf der "Loveparade" berichten.
    Für Lokalreporter kommt die Katastrophe plötzlich - und vor allem auch: in der Heimat, wie hier für Fotografen, die 2010 über das Unglück auf der "Loveparade" berichten. (picture alliance / dpa / Roland Weihrauch)
    Michael Obert hat für Reportagen unter anderem im Magazin der Süddeutschen Zeitung viele extreme Situationen erlebt. Doch was vor einem Jahr vor der libyschen Küste passierte, als er mit einem Warlord unterwegs war, der Flüchtlinge von der Reise Richtung Europa abhält, hat den Reporter fast das Leben gekostet. "Die Menschenhändler sind in dem Schnellboot auf uns zugerast, haben sofort mit Raketenwerfern und schweren Maschinengewehren Feuer auf uns eröffnet. Da sind viele Menschen gestorben in dieser Nacht, auch bei uns auf dem Schiff."
    Beim Schutzsuchen bricht sich Obert mehrere Rippen. Er hält den Kopf unten. "Ich habe an ein paar Versäumnisse gedacht in meinem Leben und an Vieles, was schön gewesen ist, und ich dachte: Jetzt sterbe ich." Obert, sein Fotograf und ein lokaler Helfer überleben.
    Auch Amrai Coen entdeckt nicht nur die schönen Seiten der Welt. Für die Zeit war sie in Syrien. In Westafrika suchte sie die Ursprünge des Ebola-Virus'. Und auch in Deutschland arbeitet die Reporterin Schicksale auf. "Ich habe mal vor ein paar Jahren über eine Familientragödie geschrieben und habe da auch sehr viele Aktenordner eingesehen von der Staatsanwaltschaft, wo teilweise unerträgliche Bilder von verbrannten Kindern mit dabei waren. Fotos. Sowas hat mich natürlich schon mal im Nachhinein nachts eingeholt." Ein paar schlechte Träume: ja, aber kein psychischer Schaden. Auch Obert sagt: Der Kugelhagel habe nichts ausgelöst. Das Aufschreiben helfe wohl beim Verarbeiten.
    Hilfe durch Seelsorge
    Andere Kollegen aber trifft es richtig. Auf der Tagung an der Hamburger Universität meldet sich eine junge Journalistin. Sie lebte und berichtete in Ansbach als sich dort vor zwei Jahren auf einem Musikfestival jemand in die Luft sprengte. "Gerade in Ansbach - 40.000 Einwohner -, da passiert normalerweise wenig bis gar nichts. Und ich wohne halt oder habe auch hundert Meter neben dem Anschlagsort auch gewohnt und habe es auch irgendwie nicht ausgehalten, in meiner Wohnung zu bleiben."
    Die Journalistin hat sich von einer Seelsorgerin helfen lassen. Ihr Verlag habe sie dabei unterstützt. Kollegen anderer Redaktionen habe dieser Rückhalt aber gefehlt: "Die dann Probleme hatten, dass das wirklich anerkannt wurde in der Redaktion. Viele waren halt auch einfach dabei, mussten dann natürlich auch was 'drüber schreiben und die konnten halt dann zum Beispiel zwei Jahre lang nicht mehr an diesem Ort vorbeigehen, wo das halt passiert ist."
    Redaktionsleitung in der Verantwortung
    Für Lokalreporter kommt die Katastrophe plötzlich und vor allem auch: in der Heimat. Auch Reporter, die in Duisburg über die Loveparade berichtet haben, wurden von der Massenpanik überrascht und den 21 Toten. Nach Duisburg half Psychologin Fee Rojas dabei, die Psyche der Reporter wieder zu stärken. Inzwischen, sagt sie, sorgten sich immer mehr Medien auch präventiv. Rojas erklärt dann in Schulungen zum Beispiel, wie Journalisten aufeinander aufpassen.
    "Dass Redaktionsleiter lernen, ich habe eine Verantwortung dafür, wo ich die Leute hinschicke, und ich muss sie dann auch fragen, wenn sie wiederkommen 'Sag mal, wie geht's Dir?', und dann vielleicht nach sechs Wochen noch mal sagen 'Merkst Du jetzt, das fühlt sich jetzt auch weiter weg an?' - und wenn da jemand Unterstützung braucht, dann gebe ich die ihm auch."
    Warnung vor leichtsinnigen Reportage-Touren
    Der erfahrene Krisenreporter Michael Obert warnt vor allem den journalistischen Nachwuchs davor, leichtsinnig in Krisenregionen unterwegs zu sein nach dem Motto: "Zum Einstieg fahre ich dann halt selbst. Ich kaufe mir mein Ticket, ich hole mir meine Akkreditierung und dann schaue ich einfach, wie ich es hinkriege. Und da wird es dann eben eng, da wird's gefährlich."
    Das beobachte er leider immer wieder, sagt Obert: Junge Kollegen, die ohne Auftrag und damit auch ohne Rückhalt losziehen, im "Backpacker-Style", um es anderen zu beweisen. Das Risiko, getroffen zu werden, steige so - auch von einem Trauma.