
Dirk Müller: Der Flug 4U 9525 - die Kanzlerin, Francois Hollande und der spanische Ministerpräsident Rajoy an der Unglücksstelle, Schweigeminuten, Gedenkminuten, Entsetzen, Schock an vielen Orten Europas. Die Experten untersuchen die Trümmerteile, die erste Black Box wird ausgewertet. Es liegen noch keine offiziellen Ergebnisse vor. Aber nach Medienberichten soll ein Pilot während des Fluges vom Cockpit ausgesperrt worden sein. Er soll dann versucht haben, die Tür einzutreten.
Wie umgehen mit den Angehörigen der Opfer? Was können die Helfer leisten zum Trost, zur Bewältigung, zur Trauer? Mein Kollege Jasper Barenberg hat darüber mit dem Psychologen und Traumatologen Georg Pieper gesprochen, der die Angehörigen nach dem Zugunglück von Eschede betreut hat.
Wie umgehen mit den Angehörigen der Opfer? Was können die Helfer leisten zum Trost, zur Bewältigung, zur Trauer? Mein Kollege Jasper Barenberg hat darüber mit dem Psychologen und Traumatologen Georg Pieper gesprochen, der die Angehörigen nach dem Zugunglück von Eschede betreut hat.
"Zunächst viele praktische Fragen"
Jasper Barenberg: Herr Pieper, welche Art von Hilfe und Begleitung brauchen Angehörige nach einem solchen Schock am dringendsten?
Georg Pieper: Zunächst mal die psychologische Erstnotfallhilfe sozusagen. Also die ersten Stunden, nachdem sie die Nachricht bekommen haben. Da geht es überhaupt noch nicht um psychotherapeutische Maßnahmen, sondern da geht es um Basisversorgung. Das heißt, man muss die Menschen zunächst mal zusammensammeln. Man muss ihnen Informationen geben, das ist das allerwichtigste. Sie wollen die Informationen haben und man muss ihnen zu trinken geben, eine Decke bringen, weil sie in der Regel durch diesen Schockzustand zittern, dass ihnen kalt ist. Praktische Hilfe brauchen sie wie zum Beispiel mit ihnen besprechen, wer muss informiert werden. Manchmal auch ganz banale Dinge wie zum Beispiel mein Auto steht im Parkverbot, wie bekomme ich das jetzt weg, jetzt muss ich auf einmal hier so lange sein.
Es sind erst mal viele konkrete praktische Fragen, die gelöst werden müssen und wo man ihnen Unterstützung gibt oder anbietet und ihnen die Hilfe nicht aufdrängt, sondern sie ihnen anbietet und dann gleichzeitig natürlich anbietet, dass sie über das sprechen, was sie im Moment beschäftigt und was so schwer für sie zu fassen ist.
Barenberg: Jetzt sind Angehörige von Opfern nach Frankreich gereist. Sie wollen am Absturzort sein oder zumindest in der Nähe, soweit das möglich ist. Ist das für die Angehörigen in jedem Fall eine Chance, oder ist es auch eine Gefahr mit Blick auf die Trauerarbeit, die sie jetzt bewältigen müssen?
Pieper: Zunächst mal ist es auf jeden Fall verständlich, dieser Wunsch, da hinzufahren und dort nachvollziehen zu können, was wirklich passiert ist. Man möchte vor allen Dingen auch aus dieser Starre herauskommen. Menschen, die so eine Nachricht bekommen haben, die möchten gerne etwas tun und sie möchten nicht nur da sitzen und leiden. Aber man muss da jetzt aus psychologischer Sicht doch etwas kritisch zu sagen: Das geht sehr schnell in eine Richtung blinder Aktionismus, wenn man jetzt ganz schnell da hinfährt. Die Menschen, die gerade diese fürchterliche Nachricht bekommen haben, dass ihr Kind gestorben ist, deren ganzes System ist absolut hochgefahren und angespannt. Die sind körperlich total angespannt und psychisch total angespannt. Und das wichtigste ist, dass sie erst mal wieder ganz langsam Bodenhaftung sozusagen bekommen, dass sie geerdet werden, dass sie sich ein bisschen beruhigen können, dass sie sich begleitet und aufgehoben fühlen. Und wenn die dann jetzt so schnell sich in den Flieger setzen und wieder ganz viel Stress auf sich nehmen und gleichzeitig mit dem Leid vieler anderer auch konfrontiert werden, dann ist das nicht in jedem Fall gut. Das wird auch einige sehr überfordern und dieser Schritt, der später in einer therapeutischen Begleitung sehr, sehr sinnvoll sein wird, nämlich die Konfrontation mit der Unglücksstelle, um das nachzuvollziehen, der erscheint mir jetzt doch für viele etwas verfrüht.
"Verarbeitung durch viele offene Fragen äußerst schwer"

Barenberg: Nun gibt es in diesem Fall sehr viele offene Fragen und bisher noch gar keine Antworten, was die Unglücksursache angeht. Wie wichtig ist das für die Betroffenen, möglichst schnell handfeste Informationen über den Grund für diese Katastrophe zu bekommen?
Pieper: Es macht die Verarbeitung im Moment sehr, sehr schwer, dass alle diese Fragen offen sind, dass man überhaupt nicht weiß warum ist dieses Flugzeug abgestürzt, was ist da genau passiert. Das sind bohrende Fragen und die Betroffenen erhoffen sich eine Beruhigung, wenn sie diese Fragen endlich klären können, und deswegen fokussieren sie da auch sehr drauf. Aber nach meiner Erfahrung: Wenn dann schließlich diese Erklärungen kommen, dann bleibt die erhoffte Beruhigung in den meisten Fällen aus. Man hängt sich da jetzt etwas dran fest, dass man glaubt, das würde einem sehr weiterhelfen, wenn man endlich wisse, was da passiert ist, aber realistisch gesehen wird das nicht sehr viel bewirken.
"Gefahr, dass Selbsthilfegruppen zu Leidensgruppen werden"
Barenberg: Ist es umso wichtiger aus Ihrer Sicht, Angehörige von Opfern auch über einen längeren Zeitraum zu begleiten? Sie haben ja selber Opfer zum Beispiel der ICE-Katastrophe von Eschede seit 1998 betreut.
Pieper: Ja, das ist auf jeden Fall ein ganz wichtiger nächster Schritt. Was ich eben geschildert habe, das war ja die psychologische Ersthilfe, Notfallhilfe. Und wenn man dann in den mittelfristigen und längerfristigen Bereich mal schaut, die ersten Wochen und Monate nach dem Ereignis, da ist es dann in der Tat wichtig, dass man Angebote den Betroffenen macht, dass sie sich gemeinsam in Gruppen zusammenfinden können und sich dort austauschen. Diese Gruppen, die sollte man nicht mischen, sondern möglichst homogen halten und ihnen dort die Möglichkeit geben, ihre Situation zu klären, ihr Leid miteinander zu teilen. Aber es sollten nach meiner Erfahrung möglichst keine reinen Selbsthilfegruppen sein, weil die laufen Gefahr, sich von der Umwelt etwas abzukapseln und reine Leidensgruppen zu werden, die das Gefühl haben, die Umwelt versteht uns nicht. Hier ist es sehr wichtig, dass eine psychologische Anleitung auch geschieht, und diese Anleitung sollte in die Richtung gehen einer Traumabewältigung.
Wir wissen ja aus der Traumatologie heute doch viele Interventionen, die hilfreich sein können. Da muss man aber die Menschen zu anhalten und ihnen ab und zu mal einen Schubser geben. Und das Ziel dann dieser Gruppen sollte sein, dass die Menschen so bald wie möglich auch selbständig Dinge in Angriff nehmen, die ihnen helfen, dieses Ereignis dann in ihr Leben zu integrieren.
Müller: Ein Interview mit dem Psychologen und Traumatologen Georg Pieper. Jasper Barenberg, mein Kollege, hat die Fragen gestellt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.



