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Traumort Wüste

Wer sich hinein begibt, wird von ihr geprägt - ob er nun will oder nicht - auch später noch. In der Sahara kommt der Mensch zur Ruhe, kann Atmen und sich selbst spüren. Ein Besuch in der marokkanischen Wüste.

Von Kirsten Pape | 10.01.2010
    Niemand, der in die Wüste geht, kehrt als derselbe zurück,
    sagen die Tuareg, die Wüstenbewohner. Sie haben Recht.

    Seit über zehn Jahren gehe ich in die Wüste. In die Sahara , mit ihren neun Millionen Quadratkilometern ein wahrer Ozean unterschiedlichster Landschaftsformen.

    Egal ob in Marokko, Algerien, Libyen, Niger oder Mali: In der Wüste habe ich einen neuen Zugang zu mir selbst gefunden.
    Sie ist der Ort, an dem ich eintauchen kann in eine Stille, die einzigartig ist. Kein Lärm mehr von außen. Selbst mein immer aktiver Verstand kommt zur Ruhe. Ich begegne: mir selbst. Halte an, bin einfach, mit dem, was gerade ist.

    Bin Zeugin meiner Gedanken und Gefühle, meines Atems, während ich gehe und gehe und immer weiter gehe, hinein in die unendliche Weite der Wüste.Meditation pur.

    Und dann empfange ich auf einmal andere Botschaften – höre meine innere Stimme, die es sonst, in der Hektik des Alltags, eher schwer hat zu mir durchzudringen . Jedes mal wieder kehre ich als eine Andere zurück.
    Jedes mal wieder bin ich mir selbst ein Stück näher gekommen.

    Die Wüste berührt mein Herz . Sie ist wie der Schoß der Erde,
    Zeugnis der Millionen Jahre alten Vergangenheit unseres Planeten.

    Endlose Weite für das Auge. Muscheln, Steine aus lange vergangenen Zeiten. Jeder der wenigen Bäume und Sträucher ein Zeichen : die Wüste lebt!

    24 Stunden lang Licht in verschiedenen Farben, die die Seele verzaubern.

    Trockene Hitze am Tag, die sich gut aushalten lässt, weil immer ein kühler Wind weht. Minustemperaturen in der Nacht – kein Problem mit einem guten Schlafsack.

    Die Schönheit der Dünenlandschaften so atemberaubend, so kostbar, dass ich kaum wage, die Sandhügel zu betreten. Weil ich das Gefühl habe, mit meinen Fußabdrücken ein Kunstwerk zu zerstören.

    "Malerei des Windes" nennen die Nomaden die Dünen. Ihre weichen Formen ähneln dem Körper einer Frau. Sie fließen mit dem Wind , geben sich hin, ein Prozess ständiger Veränderung.

    Nachts der schönste und klarste Sternenhimmel, den ich kenne . Und der mich lange wach liegen lässt, wenn mein Körper zur Ruhe kommt nach vielen Kilometern des Wanderns und Reitens durch die Sahara. Es ist, als spürte ich die Erdrotation, wenn ich dem Wechsel der Gestirne zuschaue.

    Mal laufe ich, mal lasse ich mich tragen von Dromedaren, und verstehe jetzt ihren Beinamen: "Wüstenschiffe". Auf Decken weich gepolstert, schaukeln sie mich durch die Sahara und lassen mich die Landschaft und die Stille aus einer wieder anderen Perspektive, aus bis zu drei Metern Höhe erleben. Ihr Körper ein Wunder der Evolution: Jedes Detail angepasst an die harten Überlebensbedingungen der Wüste: Bis zu 200 Liter Wasser können sie trinken und speichern – so es welches gibt. Extrem lange ohne Nahrung und Wasser auskommen.

    Kamel-Knie, Ellbogen und Brustbein sind knorpelig und verdickt, um beim Sitzen die Gelenke zu schonen und die Bodenhitze von der Bauchhöhle abzuhalten. Die Nüstern bei Sandsturm verschließbar, Dahinter wird der Wasserdampf der ausgeatmeten Luft absorbiert und zur Kühlung von Blut, Augen und Gehirn verwendet. Die langen Wimpern bieten den nötigen Schutz vor Wind und Sand. Die weichen Lippen den Puffer, um sich mit den Zähnen durchzutasten zum wenigen Grün der seltenen und oft dornigen Pflanzen . Die Höcker ein für schlechte Zeiten angelegtes Fettreservoir.

    Ich verbringe oft Stunden damit, die langen flauschigen Hälse der Dromedare zu streicheln, flüstere ihnen meinen Dank in die großen Ohren dafür, dass sie mich wieder mal sicher durch die Wüste getragen haben. Oder schaue ihnen einfach nur zu, wenn sie sich ausruhen dürfen.

    Das Leben im "Bahr bela mar", im Meer ohne Wasser, bedeutet Verzicht und Beschränkung. Nicht nur für die Kamele - und Ziegen – den ganzen Stolz und einzigen Besitz der immer weniger werdenden Nomaden , die dort noch siedeln. Die zunehmende Dürre macht ihnen ebenso zu schaffen wie die Politik der Saharastaaten: Den Regierungen sind die Wüstenbewohner ein Dorn im Auge, lassen sie sich doch schlecht kontrollieren. Aber die meisten Tuareg und Wüstennomaden wollen trotz aller Entbehrungen bleiben: die Wüste ist für sie ein Lebensraum , der ihnen unendlich viel bedeutet. Ich kann das verstehen, auch wenn ich selbst nur jeweils zwei bis drei Wochen am Stück dort verbringe.

    Eines der wichtigsten Rituale in der Wüste ist das Teetrinken. Wann immer man ankommt an einem Rastplatz, wann immer ein seltener Gast auftaucht: Als erstes wird Tee getrunken. Das oberste Gesetz der Wüste heißt : Teilen. Geben ist für die Nomaden innerer Reichtum. Niemandem darf die Gastfreundschaft verweigert werden.

    Die Zubereitung des Tees wird zelebriert. Für mich ist sie immer wieder eine wunderschöne Meditation. Was für ein Kontrast zum schnellen Cappuccino in der Mittagspause in Köln.

    Der "Roi du thé", meist der älteste Mann aus der Begleitmannschaft, packt sein Geschirr aus: Eine silberne Kanne, eine kleine rote Keramikkanne, eine Blechdose mit Tee, einen Zuckerhut im Plastikbeutel. Auf einem großen silbernen Tablett werden die kleinen Teegläser bereitgestellt.

    Während eine Mischung aus grünem Tee und Minze in der silbernen Kanne verschwindet, fängt das Wasser in der roten Kanne an, auf dem Feuer zu dampfen. Das Ritual beginnt: Der Roi du thé gießt den Tee mit kochendem Wasser auf, und dann über einen endlos langen Zeitraum hin und her zwischen den beiden Kannen. Irgendwann fügt er ein riesiges Stück vom Zuckerhut hinzu und beginnt mit der Geschmacksprobe in seinem kleinen Glas . Erst wenn der Tee vor seinem gestrengen Gaumen bestehen kann, wird er serviert. Mit viel Zeit und Muße.

    Drei Gläser sind Pflicht: Der erste ist bitter – wie das Leben. Der zweite ist süß – wie die Liebe. Der dritte ist sanft – wie der Tod, sagen die Tuareg.

    Nirgendwo sonst kann ich diesen ganz speziellen Teegeschmack so genießen wie in der Wüste. Und nirgendwo sonst komme ich so zur Ruhe – und Rückbesinnung auf mich selbst.

    Was braucht der Mensch zum Leben? Nahrung, Wasser, einen Platz zum Schlafen, Wärme –in der Wüste ein Feuer. Dafür ist immer und ausreichend gesorgt auf einer Tour durch die Sahara. Die Nomaden, die mich führen auf meine Touren, sind die achtsamsten und respektvollsten Begleiter, die ich kenne.

    Der Verzicht auf die morgendliche Dusche, das weiche Bett , das Dach über dem Kopf wird belohnt durch eine Entspannung , die monatelang anhält , und die mich nach meiner Rückkehr immer auf eine ganz besondere Art wieder durch den hektischen deutschen Alltag trägt.
    Und manchmal, wenn es mir dann doch zu laut oder zu viel wird, wenn ich wieder beginne, durchs Leben zu hetzen, vermeintlich wichtigen Zielen hinterher, dann schließe ich kurz die Augen, lasse die weichen Formen der Dünen vor meinem inneren Auge entstehen, rieche den Duft des Feuers und der Kamele, höre den Wind sanft rauschen und spüre sie wieder: diese unendliche Freiheit des "einfach seins".

    Eine Qualität, die ich in der Wüste am intensivsten erfahre.
    In einem arabischen Sprichwort heißt es:

    "Der Weg zur Macht führt durch die Paläste
    Der zum Reichtum durch die Basare.
    Der Weg zur Weisheit aber führt durch die Wüste."