Archiv


Traumpaar unter den Linden

Für seine erste Opern-Arbeit brachte Vincent Paterson gar das derzeitige Traumpaar der Klassik zum ersten Mal in Berlin auf die Opernbühne: Anna Netrebko und Rolando Villazón. Schon bei der Pressekonferenz zu Massenets Oper "Manon" ging es zu, wie sonst nur bei der Präsentation der ganz großen Hollywood-Blockbuster.

Von Christoph Schmitz |
    Als habe sie Flügel - so fühlt sie sich. Als trügen sie die Flügel ins Paradies. Manon ist außer sich vor Begeisterung und Glück nach ihrer ersten Zugreise über Land: Freiheit, Lebenslust, die Blumen, das süße Dasein. Manon ist 15 Jahre alt. Sie wartet auf einem Dampflok-Bahnhof in der französischen Provinz auf die Weiterreise. Anna Netrebko in beigem Mantel und roter Baskenmütze hüpft über die Bühne, wirft neugierige, leichtfertige, verschämte Blicke, ist die unbändige Jugend in Person. Anna Netrebko spielt bis in die Fingerspitzen so frisch, als hätten es die 20 Jahre, die sie ihrer Figur voraus ist, nie gegeben. Und den kecken Unterton und die noch verpuppte Gier liefert sie subtil mit. Auch ihre klare strahlende Stimme spielt schon mit der koketten Verwirrung des nur scheinbar unschuldigen Kindes, das von ihrem Cousin ins Kloster begleitet werden und wo es nach dem Willen der Eltern fern der Verführungen der Welt leben soll.

    Doch da tritt der Chevalier Des Grieux auf. Linkisch wie Mister Bean stolpert Rolando Villanzón durch die Szenerie. Liebe auf den ersten Blick. In Windeseile gelingt Villazón die Verwandlung von der Witzfigur in einen bedingungslos Liebenden voll trunkener Zukunftsseligkeit. Wir beide in Paris, vereint für immer, singen er und Manon vor ihrer Flucht an die Seine.

    So wie die Stimmen hier einander aufs Schönste umschlingen, so umweben sich auch die Figuren. Villanzón und Netrebko spielen berückend intensiv. Auch im weiteren tragischen Verlauf der Handlung. Ihnen gelingt, was in der Oper selten zu sehen ist: Sie überwinden die Pantomime und tauchen fortwährend ein in den zeitlosen Augenblick der wahren Empfindung. Es ist die mimische und gesangliche Symbiose eines erfahrenen Künstlerpaares. Trotz ihrer zahllosen gemeinsamen Auftritte auch im Scheinwerferlicht populärer Massenveranstaltungen haben Netrebko und Villazón sich bisher vor Routine, dem Ende der Kunst, hüten können. Und haben sich zugleich ihre Eigenheiten bewahrt. So geht Villazón stimmlich immer aufs Ganze, bis an den Rand seiner Leistungsfähigkeit. Als dem Chevalier seine Geliebte entrissen wird, sehnt er sich in seinem Leiden als zukünftiger Abbé nur noch nach Ruhe. Fliehe holdes Bild mit den Wonnen und Qualen.

    Der Dirigent des Abends, Daniel Barenboim, bringt die Staatskapelle förmlich zum Glühen und arbeitet die ständigen Stimmungswechsel, den morbiden Unterton und die sinnliche Innerlichkeit kraftvoll heraus. Und das für eine Inszenierung, die so viel musikalische und schauspielerische Qualität gar nicht verdient hat. Der Amerikaner Vincent Paterson hatte sich bisher vor allem einen Namen als Resgisseur und Choreograf von Madonna- und Michael-Jackson-Auftritten gemacht. Sein Operndebüt mit "Manon" ist sehr gefällig. Er bietet Salons, Parks und Pariser Haut-Couture der 1930er Jahre in Vollendung, aber so schön und bunt und glamourös, dass es den Zynismus der Party-Gesellschaft und das eiskalte Erfolgskalkül Manons nur weichzeichnet. Die Kooperation mit der Oper von Los Angeles, wo Patersons Arbeit schon im vergangenen Herbst Premiere hatte, hat sich vielleicht pekuniär, aber nicht ästhetisch ausgezahlt. Sieht man von der geglückten Personenführung ab. Nur wenige Male, vor allem am Schluss findet die Inszenierung zu einer gewissen Ehrlichkeit, wenn sich Manon und Des Grieux vor einer schwarzen Gefängniswand elend und schmutzig wiederfinden und Manon ihre Schande bekennt und stirbt und ein starkes Stück Musiktheater über Liebe, Verrat und Verlust zu Ende geht.