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Traumpartner Online

Das alte Sprichwort "Drum prüfe, wer sich ewig bindet", hat mit der Möglichkeit, sich per Computer einen Partner herausfiltern zu lassen, endgültig seine Schuldigkeit getan. Im Essay von Robert Schurz über den "Traumpartner Online" geht es um Glanz und Elend elektronischer Flirtbörsen.

Von Robert Schurz | 27.12.2009
    Laut einer Umfrage werden heute bei den 20- bis 50jährigen ein Drittel aller Kon-taktaufnahmen, die zu einer späteren Partnerschaft führen, über das Internet getätigt, wobei diese Zahl ständig zunimmt. Elektronische Partnerbörsen machen riesige Umsätze und die Zeit, die Menschen für derart intime Kommunikation im weltweiten Netz aufwenden, übertrifft bei vielen schon die Dauer realer Kontakte überhaupt. Dating ist zu einer Art Volkssport geworden.

    Dating erweist sich als unschlagbar effizient in dem doppelten Sinne, als die Kontakt-nahme zu beliebigen Zeiten vom Heimcomputer aus ohne Partizipation an sozialen events zugänglich ist, und die Fülle an Alternativen es erlaubt, sehr präzise Selektionskriterien zur Geltung zu bringen.

    So Hans Gese und Evelina Bühler vom Soziologischen Institut Zürich zu einer Untersuchung über "Partnerwahl Online". In der elektronisch gesteuerten Partnerfindung vollendet sich eine Zäsur in der Sittengeschichte. Diese Zäsur kann man soziologisch als Auflösung der Familie beschreiben, psychologisch als epidemische Unfähigkeit, langfristige partnerschaftliche Bindungen einzugehen oder als Siegeszug der Individualität beziehungsweise der Vereinzelung.

    Es war schon immer ein Grundproblem der Menschheit, wie die Geschlechter zueinander finden - zunächst rein geografisch. Da es die Natur nun mal für die Menschen so eingerichtet hat, dass Inzest als Lösung dieses Problems nicht in Frage
    kommt, musste es zum Austausch der Geschlechter über Sippen, Stämme und Familien hinweg kommen. Für die Urzeiten der Menschheit hat sich das Bild von den Jung-Männer-Horden etabliert, die auf Frauenraub ausziehen, andere Stämme überfallen und dort eine Metzelei veranstalten oder selber niedergemetzelt werden. Im Zeitalter der Partnerfindung über das Netz sieht das ganz anders aus - da gibt es weder Gewalt noch Zufälligkeit.

    Elektronische Partnerbörsen sind vor allem in dem Sinne innovativ, dass sie einen fast voraussetzungslos offenen, von örtlichen und zeitlichen Restriktionen und manchen sozialen Verhaltenszwängen relativ befreiten Zugang zur Partnersuche bieten.

    Zwischen diesen beiden Polen, Urhorde und Internet, liegt die Sittengeschichte der Menschheit, die ja wesentlich auch von der Art und Weise der Paar- und Familienbildung geprägt ist. Unsere abendländische Sittengeschichte der Paarfindung beginnt mit einem Mythos.

    Ferner war die ganze Gestalt eines jeden Menschen rund, sodass Rücken und Brust im Kreise herumgingen. Und vier Hände hatte jeder und Schenkel ebensoviel als Hände, und zwei Angesichter auf einem kreisrunden Halse einander genau ähnlich, und einen gemeinschaftlichen Kopf für beide einander gegenüberstehende Angesichter, und vier Ohren, auch zweifache Schamteile und alles übrige, wie es sich hieraus ein jeder weiter ausbilden kann. Er ging aber nicht nur aufrecht wie jetzt, nach welcher Seite er wollte, sondern auch wenn er schnell wohin strebte, so konnte er, wie die Radschlagenden jetzt noch, indem sie die Beine gerade im Kreise herumdrehen, das Rad schlagen, ebenso auf seine acht Gliedmaßen gestützt sich sehr schnell im Kreise fortbewegen.

    So wird in Platons Gastmahl ein ursprüngliches Menschgeschlecht geschildert, das noch keine Differenzierung von Mann und Frau kannte. Diese Kugelwesen, so der
    Mythos weiter, sollen aber recht übermütig gewesen sein und gegen die Götter aufbegehrt haben. Also berieten die, was zu tun sei, und Zeus entschied, die Kugelwesen kurzerhand auseinander zu schneiden.

    Nachdem nun die Gestalt entzweigeschnitten war, sehnte sich jedes nach seiner an-dern Hälfte, und so kamen sie zusammen, umfassten sich mit den Armen und schlangen sich ineinander, und über dem Begehren, zusammenzuwachsen, starben sie aus Hunger und sonstiger Fahrlässigkeit, weil sie nichts getrennt voneinander tun wollten. War nun die eine Hälfte tot und die andere blieb übrig, so suchte sich die übriggebliebene eine andere und umschlang sie, mochte sie nun auf die Hälfte einer ehemaligen ganzen Frau treffen, was wir jetzt eine Frau nennen, oder auf die eines Mannes, und so kamen sie um. Da erbarmte sich Zeus und gab ihnen ein anderes Mittel an die Hand, indem er ihnen die Schamteile nach vorne verlegte. Er bewirkte damit das Erzeugen ineinander und erquickt sich zu ihren Geschäften wenden und, was sonst zum Leben gehört, sie besorgen könnten.

    Dieser Mythos vom Ursprung der Geschlechter geht davon aus, dass es für jeden Menschen einen idealen Partner gibt - seine fehlende Hälfte. Man kann dies auch die Metaphysik des wahren Partners nennen. Bei Platon wird damit Liebe und Eros begründet, die Sehnsucht der Geschlechter zueinander, die über bloß äußerliche Zwecke hinausgeht. Demgegenüber steht die Idee einer rein rationalen Verbindung von Mann und Frau, die sich nach Kriterien wie Familie, Stand, wirtschaftliche Verhältnisse oder politischen Gegebenheiten richtet. So konstatiert etwa die Familiensoziologin Weber-Kellermann trocken:

    Im Germanischen stellte die Eheschließung vorwiegend einen wirtschaftlich begründeten Rechtsvertrag zwischen zwei Sippen dar. Also nichts von Gefühl, Sentiment oder gar Intimität wäre hier anzumerken.

    Eine Metaphysik des wahren Partners hatte in solchen Gesellschaften keine Chance. Die Frage nach der richtigen Wahl war zudem in polygamen Gesellschaften von eher geringerer Brisanz. Wenn man die falsche Entscheidung getroffen hatte, konnte man, natürlich nur aus Sicht dessen, der die Freiheit der Wahl besaß, eine ergänzende Kor-rektur vornehmen: eine Trennung war nicht von Nöten. Hier gilt festzustellen, dass die große Mehrheit der vorchristlichen Kulturen polygam strukturiert war. Mithin wurde die Frage des richtigen Partners erst im christlichen Abendland relevant, das die Einehe auf breiter Front durchsetzte, freilich auch erst ein paar Jahrhunderte nach Christus.

    Der britische Kulturtheoretiker Jack Goody datiert diesbezüglich eine Wende im vierten Jahrhundert nach Christus. In seinem Buch: "Die Entwicklung von Ehe und Familie in Europa" zeigt er, wie die mächtiger werdende christliche Kirche die Macht der Familien unterhöhlt, indem sie eine Heirat auf die Liebe und auf das Einverständ-nis des Brautpaares gründen wollte. Eine Ehe ist für die Ewigkeit gemacht und eine Scheidung im Prinzip ausgeschlossen. Hier also wird die Metaphysik des wahren Partners eingesetzt, um Patriarchen zu entmachten.

    Die Kirche begünstigte also eine Familie, die durch die Bande der Zuneigung zusammengehalten wurde und durch wechselseitigen Konsens entstanden war. Ebenso nachdrücklich, wie die Kirche auf Konsens und Zuneigung drang, stellte sie auch die Macht des Oberhauptes der Familie in Frage.

    Der Mensch hat in diesem Modell nur scheinbar die Wahl, denn es ist ja seine Bestimmung, sich in die Person zu verlieben, die Gott für ihn auserwählt hat. Eine groteske Variante dieses Modells der göttlichen Fügung gab es vor etwa dreißig Jahren in den Massenhochzeiten der sogenannten Moon-Sekte: Der göttlich inspirierte Sektenführer sah sich die Fotos seiner ledigen Schäfchen an - vielleicht hatte er auch ein paar Informationen - und dann bestimmte er, wer wen heiraten sollte. So fanden sich Tausende von Paaren, die sich vorher überhaupt nicht kannten. In die-sem metaphysischen Modell kann die Liebe gar nicht in Widerspruch zu äußerlichen Zwecken geraten, denn die Liebe ist ein Ausdruck der Ordnung Gottes und die dominierte im christlichen Mittelalter auch alle irdischen Belange. Freilich sah das in der Praxis ganz anders aus: Die Paare aus der feudalen Oberschicht wurden nach politisch-ökonomischen Kriterien zusammengefügt und hinterher wurde darin Gottes Wille konstatiert.

    Die bürgerliche Gesellschaft selber setzt das christliche Modell der Paarfindung außer Kraft, wobei zwei Prozesse eine Rolle spielen: die Durchsetzung der Idee der Gleichheit aller Menschen und die Säkularisierung. Erst vor dem Hintergrund einer prinzipiellen Gleichheit kann sich die Adelige dem ihr bestimmten Fürsten verweigern und den bürgerlichen Dichter heiraten, während der Kronprinz ein Aschenputtel vor den Altar schleppt. Anzumerken ist, dass durch das Postulat der Gleichheit aller Menschen die Menge der möglichen Partner für jeden einzelnen ungeheuer zunimmt, da jede Partnerkonstellation möglich wird. Mit der Säkularisierung andererseits entfällt wiederum die Berufung auf eine himmlische Verfügung, auf Gottes Ratschluss, der im Mysterium der Liebe wirkt. Scheidungen werden möglich und Gott muss bei einer Eheschließung auch nicht unbedingt anwesend sein, wie Jack Goody erwähnt.

    Die zunehmend leichter werdende Scheidung, die Gültigkeit von Ehen, die auf dem Standesamt geschlossen werden, muss im Zusammenhang mit der Schwächung der Kirche, ihrer Position und ihres Einflusses gesehen werden.

    In der bürgerlichen Gesellschaft wird die Standesehe durch die Vernunftheirat und das heilige Mysterium der Liebe durch das Konzept der romantischen Liebe ersetzt. Vernunftgründe, die bei der Partnerwahl eine Rolle spielen, betreffen nun den ökonomischen Stand, die Interessenslage, den sittlichen Hintergrund und vielleicht auch noch verwandtschaftliche Rücksichten. Die Gefühlsdimension findet in der spontanen Sympathie, einer ursprünglichen Zusammengehörigkeit, ihren Ausdruck.

    Wie angefesselt blieb er eine Weile stehen und blickte unverwandt sie an, gleichsam um sich davon zu überzeugen, dass ihre Erscheinung wirklich und keine Täuschung sei. Sie begrüßten sich mit einem zurückgehaltenen Ausdruck von Freude, als hätten sie sich schon immer gekannt und geliebt.

    So eine Szene aus "Heinrich von Ofterdingen", einem Romanfragment von Novalis, dem romantischen Dichter schlechthin. Hier wird die Wahl durch die schicksalshafte Begegnung entschieden - heute würde man sagen: durch die Liebe auf den ersten Blick. Das Gefühl steht hier für sich selber und ist nicht mehr Ausdruck einer göttlichen Verfügung. Das ermöglicht aber auch die Täuschung, die Blendung, wie sie bei einem anderen frühen Romantiker, bei E.T.A. Hofmann, so oft zu tragischen Leidenschaften führt. Damit kommt eine tiefgreifende Ambivalenz ins Spiel: Die bloße Vernunft wird bei der Partnerwahl der Gefühlsdimension nicht gerecht und das Gefühl seinerseits kann sich täuschen.

    Das bürgerliche Modell der Partnersuche ist mithin ein dialektisches, da es eine Spannung aufrecht erhält, die Spannung zwischen Schicksal und Plan beziehungsweise zwischen Vernunft und Leidenschaft. Folgerichtig wird die Trennung, die Scheidung erst in der bürgerlichen Gesellschaft institutionalisiert: Sie wird zum notwendigen Ausweg aus der dialektischen Spannung.

    Zu Beginn der bürgerlichen Gesellschaft war die Scheidung aber noch weitgehend tabu: Das Konzept der untrennbaren romantischen Liebe sowie die Tradition der gesellschaftlichen Pflicht wirkten noch stark hemmend.

    Erst ab der Moderne, die so richtig nach dem ersten Weltkrieg begann, wurde die Scheidung gesellschaftsfähig. Das Modell von Versuch und Irrtum machte sich immer stärker breit. Man bewegt sich mithin in einem Feld von Wahrscheinlichkeiten: Wenn man Glück hat, trifft man ein gutes Los, wenn nicht, geht die Lotterie eben weiter. Damit vollzieht sich aber langsam ein Paradigmenwechsel: Der Mensch ist nun primär Single, Einzelwesen, das immer auf der Suche ist und jederzeit auf diese Ausgangsposition zurückgeworfen werden kann. Die Kult-Fernsehserie "Sex and the City" zeigt dieses Muster sehr deutlich: Die Menschen befinden sich in einer fortdauernden Such- und Trennungsbewegung.

    Was aber bewirkt speziell das Internet in diesem neuen Modell der Partnersuche - was unterscheidet die Kontaktanbahnung über das Netz von jenen Formen des Zueinanderfindens von Frau und Mann, die noch vor etwa zwanzig Jahren üblich waren. Nun: Da gab es wesentlich drei, vier Möglichkeiten, etwa lokale Paarfindungsmärkte wie Discos oder Clubs oder Kneipen. Die Lokalität als Medium des Austausches der Geschlechter hat eine sehr lange Tradition: Schon immer gab es Treffpunkte der Jugend, in welchen die geschlechtliche Kontaktanbahnung vorbereitet wurde. Das Volksfest, die Kirmes waren institutionalisierte derartige Einrichtungen, die allerdings immer an bestimmte Zeiten gebunden waren.

    Aber auch eine moderne Disco hat nicht durchgängig geöffnet und das "saturday night fever" zeigt, dass auch noch vor zwanzig Jahren die Paarfindung durchweg zeitlich und örtlich eingeschränkt war. Abgesehen von der Kontaktanbahnung am Arbeitsplatz, die ebenfalls starken Einschränkungen unterlag, gab es jedoch vor zwanzig Jahren schon ein Medium, das dem Internet recht ähnlich ist: die Zeitung. Das Kontakt- oder Heiratsinserat, so eine gängige Meinung, sei die Vorform des aktuellen Internet-Flirts. Das ist insofern richtig, als hier die vorhin genannten einschränkenden Faktoren des Marktes ihrerseits minimiert werden.

    Eine überregionale Zeitung ist in weiten Landstrichen erhältlich und ein Inserat kann man zu jeder Zeit aufgeben. Zudem garantiert das Inserat das, was der Soziologe Niklas Luhmann als Voraussetzung einer intimen Kontaktanbahnung bezeichnet hat: die Exklusivität der Kontaktbereitschaft. Diese Konstellation wird in den sogenannten Heiratsinstituten noch weiter forciert: die Kontaktanbahnung über dieses Medium ist von Zeit, Ort und Kontext unabhängig; allein, der Zufall kommt über die sehr begrenzte Datensammlung des jeweiligen Instituts ins Spiel.

    Das ist der Stand der sittlichen Dinge, bei dem nun der Computer, genauer gesagt: das Internet als Medium der Partnerfindung auftaucht. Eine Rechenmaschine bietet zunächst die Möglichkeit, eine riesige Datenmenge zu verwalten. Im weltweiten Netz kann eine Frau auf alle Männer zugreifen, die sich in dieses Netzwerk eingeschrieben haben, wie auch umgekehrt: alle Frauen dieser Welt, sofern sie im Netzwerk auftauchen, sind für den suchenden Mann prinzipiell erreichbar. So wird die Wahrscheinlichkeit des richtigen Treffers gewaltig erhöht und der Zufall tendenziell eliminiert.

    Die getrennten Hälften des Kugelwesens bei Platon würden dankbar auf dieses neue Medium zugreifen, denn mit Hilfe eines weltweiten Netzwerkes wäre die quälende Suche schnell zu Ende: man würde sich gegenseitig aufspüren. Die Rechenmaschine hebt die dialektische Spannung des bürgerlichen Partnermodells in gewisser Weise wieder auf. Vernunft und Leidenschaft, Plan und Schicksal vereinigen sich, wenn alle möglichen Kombinationen von Mann und Frau dieser Welt erfasst und berechnet sind. Denn der Computer erfasst in elektronischen Partnerbörsen nicht nur die Daten, er berechnet auch Vorschläge und präsentiert jedem User eine Liste passender Partner; er übernimmt also die Rolle des Vermittlers. Der Endpunkt dieser Entwicklung wäre die universale Verwirklichung der Metaphysik des wahren Partners.

    Natürlich sind wird noch lange nicht so weit; aktuell sind weltweit vielleicht einige wenige Prozent der paarbildungsfähigen Generationen im Netz erfasst - immerhin, denn der Zugriff des Einzelnen wird dabei um einen gewaltigen Faktor erhöht. Vor etwa 30 Jahren lernte ein durchschnittlicher Zeitgenosse im Laufe seines Lebens maximal etwa tausend potenzielle Partner kennen. Im Internet hat man aktuell einen Zugriff auf das Hunderttausendfache. Natürlich nur theoretisch; was nützt es ihr, wenn sie weiß, dass der Mann ihrer Träume in Sumatra weilt. Dennoch gibt es nicht wenige Menschen, die tatsächlich nach Sumatra aufbrechen. Die neue Form der Partnerfindung hat faktisch die Mobilität der bindungswilligen Menschen erhöht. Fernbeziehungen haben in den letzen Jahren schätzungsweise um ein Drittel zugenommen. Die Züricher Soziologen Gese und Bühler fassen zusammen:

    Die dreifachen Leistungsgewinne elektronischer Partnerbörsen liegen – genau wie diejenigen vieler anderer Internetapplikationen – in der Möglichkeit, aus einer stark erhöhten Vielfalt von Alternativen mit geringerem Aufwand in kontrollierter, rationalerer Weise gewünschte Selektionen zu treffen."

    Um hier noch mals auf Platons Kugelwesen zurückzukommen: Man sucht eben das passende Gegenstück in aller Welt und wie in einem gigantischem Puzzle würden am Ende dieser Suche die passenden Teile in einem vollständigen Bild zusammengefügt werden. Hier spätestens kommt die Psychologie der Neuzeit ins Spiel: Die richtige Partnerwahl wird zur einer optimalen Konstellation von psychischen Eigenschaften. Der Psychologe Otto Weininger formulierte in seinem, in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts viel beachteten Werk "Geschlecht und Charakter" folgenden Grundsatz für ein Gesetz der sexuellen Attraktivität:

    In jedem Menschen liegen gewisse Eigenschaften, die es nicht ganz gleichgültig erscheinen lassen, welches Individuum des anderen Geschlechts mit ihm eine sexuelle Vereinigung einzugehen geneigt ist. Eine vollständige Kenntnis der in Betracht kommenden Gesetze würde es ermöglichen, jedem Individuum eine sichere Auskunft über dasjenige Individuum des anderen Geschlechts geben zu können, das seinem Geschmack am besten entsprechen werde."

    Die Rede von den passenden Teilen verrät die andere Seite dieser Suche: Um zu wissen, welches Teil zu einem passt, muss man zunächst wissen, wie man selber ist. Da aber in diesem Modell jedes Teil unverwechselbar ist, ist man genötigt, seine seelischen Eigenschaften, seine Vorlieben, seine Wünsche und Charakterzüge möglichst exakt zu definieren, denn erst für eine derart ausgeprägte Individualität lässt sich das genau passende Gegenstück finden. Als groteskes Beispiel dafür steht der sogenannte Kannibale von Rothenburg: Der suchte weltweit per Internet einen Partner, den er zum Fressen gern haben kann. Zwar wird die Partnersuche umso schwieriger, je stärker man sich als Individualität definiert - andererseits verspricht diese Individualisierung die Befriedigung spezifischer Bedürfnisse.

    Man kann nur suchen, wenn man das definiert, was man sucht; damit definiert man aber auch seine eigenen Wünsche und in letzter Konsequenz seine eigene Person. Die Möglichkeit, dass man selber nicht genau weiß, was man sucht, weil man nicht genau weiß, was man wünscht, bleibt dabei ausgeschlossen. Genau diese Unschärfe hat aber früher die Partnersuche, die dem Zufall Raum lassen musste, geprägt. Die unterschiedlichen Haltungen, die dem entsprechen, hat Pablo Picasso, freilich in einem anderen Zusammenhang, schön mit den Worten erfasst: Ich suche nicht, ich finde.

    Das Wort von Picasso ist so zu deuten: Jede Suche engt den Blickwinkel ein. Man legt sich von vorneherein fest auf eine bestimmte Verfassung des Objekts, das man sucht, und damit entgehen einem die meisten alternativen Objekte. Wenn eine Frau sich auf blonde Männer festlegt, so verpasst sie vielleicht die große Chance ihren Traummann zu finden, der zufällig schwarzhaarig ist. Solche Festlegung ist nur in Medien möglich, die formalisiert sind: In der Disco wird die erwähnte Dame sicher auch dem Zauber eines Mannes unterliegen können, der nicht blond ist. Warum
    sich aber Menschen überhaupt mit eingeschränkten Wahlalternativen leichter tun, begründen Gese und Bühler so:

    "Sozialpsychologische Studien zeigen, dass Individuen bei einer geringeren Auswahl an verschiedenen Alternativen - zum Beispiel Konfitüren im Supermarkt - eher bereit sind, überhaupt eine Wahl zu treffen, und dass sie mit dieser Wahl zufriedener sind. Die Gründe bestehen wohl darin, dass die Aufgabe, unter zahlreichen einander ähnlichen Alternativen die richtige zu wählen, sehr viel mentale Anstrengung erfordert. Bei sehr wichtigen Entscheidungen wie der Partnerwahl kommt noch die Angst dazu, dass sich die Wahl im Nachhinein als suboptimal oder gar völlig verfehlt darstellen würde."

    Zwei Effekte sind für den heutigen "user" von Partnerbörsen von Bedeutung: die fort-laufende Spezifikation der Zielobjekte und der eigenen Wünsche sowie die Vorläufig-keit jeder Wahl. Die Spezifikation der möglichen Partner wird durch Persönlichkeits-tests, Selbstauskünfte und Datenabgleiche ständig vorangetrieben. Nun könnte man meinen, durch all diese Filter wäre die Wahl derart optimiert, dass ein Irrtum so gut wie ausgeschlossen wäre. Dem ist aber nicht so: Internet-Beziehungen haben durch-schnittlich eine recht kurze Dauer. Das Sprichwort "Drum prüfe, wer sich ewig bindet" hat seine Logik verloren, denn der "user" weiß: jede Selektion findet immer vor dem Hintergrund der ausgeschlossenen Alternativen statt; falls eine Beziehung schwierig wird, hat sich eben gezeigt, dass die Kriterien der Selektion fehlerhaft oder nicht ausreichend waren.

    Diejenigen, die sich durch spezifizierte Profile im Netz auf Herz und Nieren prüfen, büßen anscheinend ihre Bindungsfähigkeit ein. Das Internet führt zu einem permanenten Auswahlprozess auf der Basis von "trial und error", was auch in dem Begriff des Lebensabschnittsgefährten schön zum Ausdruck kommt. Damit ist ein weiteres Feld eröffnet: Die Partnersuche via Internet hat nicht nur Auswirkungen auf den Prozess der Partnerfindung, sondern auch auf die Partnerschaft selber.

    Etwas übertrieben gesagt: Man steht immer zur Disposition oder, um hier ein altes Wort zu bemühen: Die Treue als wesentliches Element von Partnerschaft erlebt eine starke Modifikation. Nun lässt sich Treue auch als Mangel an Alternativen beschreiben: Ein armer Knecht hält seinem einzigen Paar Schuhe die Treue, weil er kein Geld hat, sich ein zweites, ein anderes zu kaufen. Partnerschaftliche Treue ist auch motiviert durch den Umstand, dass eine neue Suche aufwändig ist, und es schwierig wird, etwas Besseres zu finden. Das Internet verheißt indessen einfache Suche und das Versprechen, dass im weltweiten Netz allemal etwas Passenderes zu finden sei. Die Folgen beschreiben Hans Gese und Evelina Bühler so:

    "Der menschlichen Gesellschaft war aus Stabilitätsgründen schon immer mehr an der Erhaltung bestehender als an der Erzeugung neuer Partnerbeziehungen gelegen, und genau diese Erhaltung wird in dem Maße garantiert, als vielerlei Hürden und Unsicherheiten den Partnerwechsel behindern. Umso größer sind die Risiken, dass mit dem online dating eine generelle Volatisierung von Zweierbeziehungen einhergehen könnte, weil der Vielzahl neu zustande gekommener eine ähnliche Zahl aufgebrochener und zerstörter Beziehungen gegenübersteht."

    Natürlich ist die hohe Trennungsrate in unseren Zeiten nicht nur durch das Internet bedingt: Ökonomische Faktoren, die zunehmende Zahl kinderloser Paare und die Wohnraumfrage spielen dabei sicher auch ein Rolle. Die Einstellung zum Partner als Konsumgut sollte dabei aber nicht unterschätzt werden, und diese Einstellung wird durch das Internet subtil und auf breiter Front gefördert.

    Der elektronische Partnermarkt bewirkt aber nicht nur, dass man dem anderen als Konsument begegnet: Umgekehrt begreift man sich selber auch als Ware. "Ich werfe mich wieder auf den Markt" ist eine typische Redewendung für den frisch-getrennten Single geworden. Im gleichen Atemzug will er seinen "Marktwert" -auch eine typische Redewendung - erforschen. Und er wird sich im Netz neu anpreisen. Er wird Werbung für sich machen und sich detailliert darstellen.

    Natürlich gab es das schon vorher: Im traditionellen Zeitungsinserat haben sich Braut und Bräutigam ebenso angepriesen wie etwa derweilen ein Minnesänger, der seine Heldentaten besang. Aber der Minnesänger war nicht darauf angewiesen, seine Produkteigenschaften so zu spezifizieren wie der heutige Internetfreier. Wenn sich ein großer Teil des Kennenlernens über das Netz abspielt, das eine fortlaufende Spezifikation verlangt, so ist wiederum die Enttäuschung quasi vorprogrammiert. Wie fast jedes Produkt nicht das halten kann, was die Werbung für es verspricht, so wird auch die Selbstdarstellung sich kaum vollständig in einer Partnerschaft realisieren können.

    Generell dürften sich in erhöhtem Maße Paare bilden, die wechselseitig dem Idealbild des "passenden Partners" nahe kommen, sodass es sehr entscheidend wird, welche Vorstellungen vom "Traumpartner" man sich vorgängig erwirbt."

    Die Spezifikation des Traumpartners orientiert sich zudem heute meistens an Kriterien, die über Medien vermittelt werden, in erster Linie durch das Fernsehen. Natürlich wünscht sich der junge Mann die tolle Frau aus der Fernsehserie - und auch wenn er beteuert, er ließe sich von dieser Fiktion nicht beeinflussen, so wird die Macht der Bilder doch in seinem Unbewussten ihr Werk tun.

    Mithin: Keine Liebe hält das Versprechen, aber wie groß die Enttäuschung ist, hängt primär davon ab, wie hoch die Erwartungen geschraubt wurden. Sicher gab es schon immer die Ernüchterung nach dem "honey moon", aber mit den elektronischen Part-nerbörsen wird diese quasi vorprogrammiert. Die Partnerfindung via weltweitem Netz macht Beziehungen, die auf diesem Wege entstehen, fragil.

    Somit wird ein Prozess auf die Spitze getrieben, der schon vor dem ersten PC begonnen hat und den man als Ökonomisierung aller Lebensbereiche beschrieben hat. Diese Ökonomisierung setzt voraus, dass die entsprechenden Lebensbereiche auch formal erfasst, in gewisser Weise berechnet werden können. Dieser Prozess erfuhr durch die mikroelektronische Revolution der letzen Dekaden eine ungeheure Beschleunigung: Alles, was digital zu erfassen ist, kann auch nach rationalen Kriterien gestaltet werden.

    "Tatsächlich könnten Singlebörsen dazu verhelfen, dass wieder mehr Ehen aus jenen nichtromantischen Gründen entstehen, wie sie zu praktisch allen vormodernen Zeit-perioden üblich waren."

    Im Gegensatz zu frühen Kulturen existiert aber heute gleichzeitig das Versprechen des großen Glücks einer romantischen Liebe, und das wird ständig durch die Realität verraten. Die Moderne verändert alle Sitten der Menschen; mit ihr geht ein radikaler Schnitt durch die Tradition. Zu Beginn wurde die Frage gestellt, ob mit dem Internet ein neues Stadium im Verhältnis der Geschlechter zueinander definiert ist. Das lässt sich bejahen, denn mit dem weltweiten Netz wird in der Partnerfindung die alte Balance von Zufall und systematischer Suche, von Schicksal und Zweck aufgehoben.

    Die Metaphysik des wahren Partners, das Ideal der optimalen Wahl wird auf eine reale Ebene gebracht, was ein fortlaufendes Scheitern jeder Beziehung wahrscheinlich macht. Das Resultat ist eine gewisse Vorläufigkeit jeder Partnerschaft. Gleichermaßen wird durch das Netz der Individualitätsanspruch auf die Spitze getrieben: Die Anpassungsbereitschaft wird minimiert, wenn man einen Partner nach seinem Gusto gestalten kann.

    Das ist der aktuelle Stand der Sitte in den westlichen Ländern heute. Man sollte bei der Bewertung aber vorsichtig sein, denn Tugenden wie Treue, Beständigkeit, Anpassungsbereitschaft werden immer auch durch die vorherrschende Form der Sitten definiert, die wiederum Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklungen sind; sie sind also als Werte historisch relativ. Wenn etwa früher die Partnerwahl stark eingeschränkt war, wurde das nachträglich gerechtfertigt, indem man die Treue zur Tugend erhob. Ein Kriterium jedoch gibt es, um den gegenwärtigen Prozess des Paradigmenwechsels in der Partnerfindung zu beurteilen: Das Ausmaß des Leidens, den er hervorbringt.

    Und da zeigen die Statistiken der Psychotherapeuten, dass der Leidensdruck rund um die Partnersuche gewaltig zunimmt. Depressionen, Angstzustände, die direkt oder indirekt durch die ewige Suche nach dem, der in idealer Weise zu einem passt, ausgelöst werden, sind im Vormarsch. Vielleicht sind dies aber nur Geburtswehen und eines Tages wird es einen neuen Menschen geben, der mit den neuen Sitten der Vorläufigkeit jeder Partnerschaft und der individualisierten und konsumorientierten Ausrichtung von Beziehungen zurecht kommt - allein, wahrscheinlich ist das nicht.