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Traumspiel
Applausordnung in Zeitlupe

Philipp Preuss inszeniert in den Frankfurter Kammerspielen Strindbergs "Traumspiel". Realität und Bühnengeschehen verschwimmen zu einer gemeinsamen Vision. An einem Abend, der viel mehr eine Kunstinstallation, denn eine narrative Performance ist. Philipp Preuss brilliert in Frankfurt als unangepasster Regisseur.

Von Alexander Kohlmann | 31.03.2014
    Ein Schlussapplaus als Traumbild. Bereits zwanzig Minuten nach Beginn der Vorstellung schweben die Schauspieler an die Rampe. Einer nach dem anderen bewegt sich in Zeitlupe nach vorne, grinst verschmitzt, verbeugt sich und tritt an die Seite. Ganz zum Schluss kommt, ebenfalls in Zeitlupe, ein Mann mit einem Blumenstrauß auf die Bühne. Worauf sich die hagere Frau freut, um dann zu erkennen, dass nicht sie gemeint ist, sondern die Hauptdarstellerin in der Mitte. Sekundenlang verzieht sie das Gesicht zu einer Grimasse der Enttäuschung, bevor alle unendlich langsam die Hände heben und der Technik ihren Tribut zollen.

    Ein Traum hat keine Logik und ein Traum hat keine Chronologie. Es ist eine Aneinanderreihung von Gefühlen, die unser Unbewusstes in Assoziationen und Bilder verwandelt. Philipp Preuss's Inszenierung von Strindbergs Spätwerk "Ein Traumspiel" übernimmt diese Struktur. Und das nicht erst durch den vorgezogenen Premieren-Applaus.

    Schon beim Einlass zeigt uns Preuss, dass die Dinge an diesem Abend auf dem Kopfstehen. Eine transparenter Vorhang rattert unaufhörlich auf und zu, wie eine dieser eingeklemmten Fahrstuhltüren in einem Horrorfilm. Dahinter ein Klavier, auf dem sechs Schauspieler immer wieder die gleiche Melodie wiederholen.
    Über dem Klavier flackert ein Glühbirnen-Gerüst, dass an die Beleuchtung eines altertümlichen Jahrmarkts erinnert.
    Kostüme: Schick der vorletzten Jahrhundert Wende

    Altmodisch auch die Kostüme der fünf Schauspieler. Mit ihren hochgezogenen grauen Hosen und den geschlossenen Hemden tragen sie den Schick der vorletzten Jahrhundert Wende. Die Ausstattung erinnert an Strindbergs Zeit und an sein Stück, das hier zwar nicht gespielt wird, aber wie in einer Spiegelung ständig in den Fantasien der Darsteller präsent ist.

    Eine von ihnen sieht anders aus. Mit ihrem farbig geschminkten Gesicht, den wuscheligen Haaren und einem bunten Kleid, spielt Lisa Stiegler die Götter-Tochter Agnes. Die ist auf die Erde gekommen, um das Leben der Menschen kennenzulernen. Und zu verstehen, was sie antreibt. Agnes hat Strahlkraft und Energie, ganz im Gegensatz zu den zugeknöpften Bewohnern dieses Albtraums, aus dem nur eine Fahrstuhltür am hinteren Ende der Bühne hinausführt.

    Personifizierung eines Kinder Albtraum
    Strindberg erzählt episodische Geschichten von Neid, Enttäuschung und gegenseitiger Quälerei. Preuss nimmt die Geschichten über die Sprache seiner Darsteller auf. Und lässt die Götter-Tochter immer mehr verzweifeln. Zum Beispiel bei der Episode von der traumhaften Bucht, die verführerisch als Projektion auf der Gase schimmert, mit Segeljachten und Motorboten. Die aber für die Armen gesperrt ist. Die kommen hierher, um sich zu ertränken.

    Oder die Züchtigung des Kindes durch die Lehrerin, Franziska Junge als hagere Personifizierung eines Kinder-Albtraums.

    "Nun mein Junge, kannst du mir sagen, wie viel ist zwei Mal zwei?"

    Ihr Keifen verfolgt das Kind auch noch in Erwachsenen-Tagen. In einem Traumspiel sind die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart aufgehoben.

    Kollektiver Selbstmordversuch
    Und auch die zwischen den Personen. Ein kollektiver Selbstmordversuch mit Plastiktüten führt zur Verschiebung der Identitäten. Während der eine spricht, erscheint sein Gesicht als Projektion auf der Tüte über dem Kopf des anderen. Alles verschwimmt, auch die Grenzen zur Götter-Tochter Agnes. Die ist längst von den Menschen nicht mehr zu unterscheiden. Trägt dieselbe zugeknöpfte Kleidung, als sich alle gegenseitig mit schwarzem Schlamm übergießen, im Matsch des Lebens auf der Erde wühlen und nirgendwo einen Ausgang finden.

    Im Gegensatz zu den Menschen weiß die Götter-Tochter, was sie verloren hat. Doch auch diese Erinnerung verblast in der Logik des Traumes ohne Ausweg. Der für viele Zuschauer, zumal wenn sie nicht vorher ihren Strindberg gelesen haben, ohne narrative Logik daher kommt. Wie schon bei seinem Leipziger “Reigen”, setzt Philipp Preuss nicht auf eine Realisierung der Vorlage. Wir sehen eher eine Art Schatten, eine Spiegelung dessen, was der Text in Schauspielern und Regisseur ausgelöst hat.

    Realität und Bühnengeschehen verschwimmen
    Bilder von einer ungeheuren Kraft und Sogwirkung entstehen so. "Das Traumspiel" endet an diesem Abend nicht an der Bühnenrampe, sondern zwingt jeden Zuschauer, sich selbst in Bezug zu setzen zu den Klängen und Assoziationen auf der Bühne.

    Dass dieser Traum auch nach dem finalen Black nicht aufhört, zeigt der befremdlich zögerliche Applaus. Zu genau der Applaus-Ordnung in Echtzeit, die wir eine Stunde vorher schon einmal in Zeitlupe gesehen haben. Realität und Bühnengeschehen verschwimmen zu einer gemeinsamen Vision. An einem Abend, der viel mehr eine Kunstinstallation, denn eine narrative Performance ist. Philipp Preuss ist einer der ganz wenigen Regisseure, die so etwas herstellen können. Schön, dass dieser unangepasste Künstler in den Frankfurter Kammerspielen einen Ort zum Arbeiten gefunden hat.