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Traurige Aussichten

Biologie. - In Frankreich grassiert eine Seuche unter den Austern. Offenbar ist ein ganzer Jahrgang der begehrten Muscheln einer Virusinfektion zum Opfer gefallen. In den nächsten beiden Jahren werden Austern daher sehr teuer werden. Gestern nachmittag versammelten sich Wissenschaftler, Regierungsvertreter sowie Vertreter der Austernzüchter-Verbände im Agrarministerium zu einer Krisensitzung.

Von Suzanne Krause | 21.08.2008
    Die Brasserie Terminus Nord, direkt gegenüber dem Nordbahnhof, gilt als eines der traditionsreichsten Restaurants in Paris. Dazu gehören das originale Jugendstildekor. Und die Meeresfrüchte-Theke mit Hummern, Langusten, Muscheln im verglasten Raum, der von Straße und Speisesaal einsehbar ist. Gerade bereitet Monsieur Ahmed eine Austernplatte vor, drei Sorten sind im Angebot und: Dauerbrenner. Das Austernsterben war hier noch kein Thema, versichert Geschäftsführer Laurant Carsault:

    "Bislang haben unsere Austernhändler noch nicht Alarm geschlagen. Sie sind sehr treue Geschäftspartner und unbedingt auf die Qualität ihrer Ware bedacht. Von daher bin ich im Moment nicht beunruhigt. Sollte es bei den Austern irgendwann zu einem Engpass kommen, wird das natürlich die Preise hochtreiben. Austern sind heute schon eine teure Leckerei, dann werden sie noch mehr zu einem Luxusprodukt."

    Das dies so kommen wird, scheint absehbar. Meint jedenfalls Joseph Costard. Costard ist Präsident der Sektion der Meeresfrüchte-Züchter in Normandie und Nordsee und war gestern in Paris, zur Krisensitzung im Agrarministerium. Und seine Hiobsbotschaft ähnelt der aller Kollegen im Land:

    "Bei uns sind die Schäden sehr, sehr groß. Ein ganzer Jahrgang an Austern ist vernichtet: alle Tiere, die noch nicht ein Jahr alt waren. Und bei den ein- bis zweijährigen Austern ist knapp die Hälfte tot. Bei den Austern, die zu den Festtagen Ende des Jahres auf den Markt kommen, gibt es keine Probleme, sie sind gesund. Aber bei der Ware für 2009, 2010 und vielleicht sogar für 2011 - da schaut es schlecht aus. Wir Züchter haben also wohl drei Jahre Krise vor uns. Und es wäre dringend angesagt, einen mehrjährigen Hilfsplan für die Branche aufzustellen. Da hat aber die Krisensitzung im Agrarministerium nichts Konkretes erbracht."

    Bei der Krisensitzung waren auch Vertreter des Ifremer anwesend: seit Wochen erforschen die Wissenschaftler beim nationalen Institut für Fragen der Meeresausbeutung intensiv die Gründe des Austernsterbens. Henri Gerard ist Leiter des Ifremer-Krisenstabs:

    "Unsere bisherigen Untersuchungen scheinen zu belegen, dass das massive Austernsterben wohl von einem Virus, dem Herpes OsHV-1, ausgelöst wurde. Dass er so durchschlagen konnte, liegt an den speziellen klimatischen Bedingungen in diesem Jahr. Der Winter war sehr mild. Auch im Frühling war es zu warm und zu nass. Das Wasser verlor an Salzgehalt, der Phytoplankton wucherte. Da haben sich die jungen Austern viel zu schnell entwickelt. Und bislang noch nicht identifizierte Gründe sorgten dafür, dass der Organismus der Tiere sehr gestresst wurde. All das schwächte die Austern. Und so konnten der Virus und einige Bakterien ihnen den Garaus machen."

    Derzeit erstellt das Ifremer eine epidemiologische Studie aller Phänomene, die zum massiven Austernsterben führten. Gerard:

    "Wir möchten herausfinden, welche hydroklimatischen Bedingungen für eine solch rasante Entwicklung dieser Krankheit verantwortlich sind. Damit hoffen wir, in den kommenden Jahren solche Bedrohungen besser vorhersagen zu können. Denn die Krankheitserreger sind bekannt, sie sind in unseren Gewässern und sie haben sich dieses Jahr einfach explosionsartig vermehrt."

    Langfristig angestrebt wird, ein landesweites Überwachungssystem für die Austernzucht aufzubauen, eine Methode der Frühdiagnose zu entwickeln. Anfang August wurden in der Zucht von Sete, im Mittelmeer, erneut Babyaustern ausgesetzt. Laut Angaben des Agrarministeriums scheinen sie normal zu wachsen. Anfang September will das Ifremer eine erste offizielle Bilanz zur Wiederansiedelung ziehen. Dennoch werden Austern als Festspeise zumindest Ende 2009 Seltenheitswert haben.