Zurheide: Sehen Sie denn die Chance, dass auch der britische Kollege da mitzieht? Er hat sich ja gestern deutlich anders geäußert als zum Beispiel die Deutschen und auch die Franzosen, die Sie schon angesprochen haben.
Polfer: Ich habe in der Tat im Gefühl, dass es noch ein bisschen früh ist und dass wir noch nicht auf dem Punkt angekommen sind, wo wir eben die permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates auf einer Linie haben werden.
Zurheide: Kommen wir zum zweiten großen Thema, der Konventsprozess und das, was noch abgeschlossen werden soll im Laufe des Jahres. Beginnen wir doch zunächst einmal mit den Widerständen, die vor allen Dingen von vielen kleineren Ländern kommen. Glauben Sie, dass sie ihren Widerstand aufgeben werden, weil ja jetzt gesagt wird, wer etwas verändern will, muss gleichzeitig einen neuen Kompromiss herbeiführen? Damit liegt die Hürde sehr hoch. Ist das realistisch?
Polfer: Also ich glaube, gestern war die große Mehrheit der Länder, die am Tisch saßen, eben der Meinung, dass es sich hier um eine ganz normale Regierungskonferenz handelt und dass in einer Regierungskonferenz nicht nur ein allgemeiner Konsens wie im Konvent herbeigeführt werden muss, aber eben alle, das heißt 25 Mitglieder müssen mit den Vorschlägen einverstanden sein. Ich hoffe nur, dass diese Botschaft gehört wurde. Wir können diese Aufgabe bis zum Ende des Jahres erledigen. Allerdings muss dann Verständnis von beiden Seiten aufgebracht werden für die Belange der einen und der anderen.
Zurheide: Lassen Sie uns doch zusammen auf das eingehen, was einige der Länder vorbringen, die ja vor allen Dingen als kleinere Länder das Gefühl haben, nicht ausreichend zu Wort zu kommen. Interessant finde ich übrigens, dass Sie als Benelux-Länder, auch Sie als Luxemburg das anders sehen. Wie ist denn eigentlich Ihre Haltung? Warum glauben Sie, dass Sie auch als kleines Land sich bei dem, was jetzt auf dem Tisch liegt, wiederfinden können?
Polfer: Also wir haben auch einen Aufklärungsbedarf. Es gibt ganz einfach, so wie der Text jetzt vorliegt, einige Sachen, die nicht klar sind, die nicht geklärt sind und die geklärt werden müssen. Es gibt auch Sachen - das muss ich ganz ehrlich sagen -, die für uns als Luxemburg nicht so annehmbar sind. Zum Beispiel ist im Moment vorgesehen, dass die Minimalzahl im Europaparlament vier Mitglieder sind. Ich nehme einfach mal an, dass wir zu der Minimalzahl zählen würden. Wir haben sechs Mitglieder. Das würde heißen, dass wir ein Drittel unserer Mitglieder im Europäischen Parlament verlieren würden. Das ist für uns nicht annehmbar, aber es ist ein Punkt, der das Gleichgewicht in keinem Sinne aus den Fugen bringen würde, so dass ich zum Beispiel davon ausgehe, dass Verständnis dafür da ist, was gestern klar wurde. Das hat aber nichts mehr mit kleinen und großen Ländern zu tun. Da kamen dieselben Forderungen von mehreren Ländern, wie gesagt, unterschiedlicher Größe. Einige Länder können einfach nicht damit einverstanden sein, ihren Kommissar zu verlieren. Da haben Sie Recht, da sind wir zum Beispiel als Benelux-Länder auf einer anderen Linie, weil wir schon glauben, eine kleinere Kommission könnte effizienter arbeiten. Aber es gibt eben eine ganze Reihe Punkte, wo unterschiedliche Auffassungen auf dem Tisch liegen. Wir müssen uns ganz einfach ordentlich und verständnisvoller irgendwie damit auseinandersetzen.
Zurheide: Ein anderer Punkt, der ja umstritten ist, ist die rotierende Präsidentschaft. Sehen Sie, dass man da zusammenkommen kann?
Polfer: Also wo ich glaube, dass keine Änderungen möglich sein werden, ist das Prinzip vom gewählten Präsidenten des Europäischen Rates, aber eben über die anderen Präsidentschaften ist keine Aussage in dem Text des Konvents, und das ist zum Beispiel ein Punkt - und da waren wir uns gestern auch alle einig und da liegen Vorschläge der Präsidentschaft vor -, der jetzt geklärt werden muss, nicht wie zum Beispiel noch vor einigen Wochen eher geglaubt wurde, dass man das nachher einem Europäischen Rat überlassen könnte, um das zu klären. Gestern ging klar hervor, dass dieser Punkt der Ratspräsidentschaft ein Punkt ist, der jetzt geklärt werden muss.
Zurheide: Und das letzte Stichwort, die Mehrheitsentscheidungen, worauf wird man sich da einigen können?
Polfer: Mehrheitsentscheidungen, das war ja auch ein Punkt, der in Nizza zu großen Auseinandersetzungen geführt hat. Man kann da nicht davon ausgehen, dass man einigen Ländern das imponieren kann, also sie überfallen kann. Das geht immer schief aus. Das geht immer schief. Das ging in Nizza schief. Zum Schluss in der letzten Nacht wurden dann trotzdem eben nur die Lösungen zurückgehalten, die eben von allen Mitgliedern getragen wurden, und das wird auch hier so sein. Wir zum Beispiel, sowohl Luxemburg als auch Benelux und viele andere Länder, würden gerne weitergehen in verschiedenen Punkte, aber wenn wir nicht alle 25 dieser Meinung sind, dann wird es schwierig sein, dies herbeizuführen.
Zurheide: Glauben Sie, man wird eine Balance finden zwischen auf der einen Seite diesen viel mehr und neuen Mitgliedern und auf der anderen Seite einer effizienten Struktur der Europäischen Union? Was sind Ihre Hoffnungen?
Polfer: Also ich glaube, schon. Wir sind ganz einfach dazu verurteilt. Man muss eben zusammen einen Konsens finden, und dieser Konsens muss auch von allen getragen werden und nachher von 25 Parlamenten ratifiziert werden. Es geht ja nicht nur um die Politiker, die jetzt am Tisch sitzen, die Außenminister oder nachher die Regierungschefs. Es sind auch die Parlamente, 25 Parlamente, die das ratifizieren müssen, und dann muss man eben schon den verschiedenen Sensibilitäten Rechnung tragen. Aber bis jetzt haben wir das ja immer fertiggebracht, dann gehe ich davon aus, dass wir das auch diesmal fertig bringen werden.
Zurheide: Auch noch unter italienischer Ratspräsidentschaft?
Polfer: Das ist ein Ziel, was fast niemand grundsätzlich ausschließt, was aber auch nicht das Ganze diktieren. Wenn man es fertig bringt, dann ist das ganz OK, aber die Qualität geht jetzt vor dem Timing.
Zurheide: Herzlichen Dank für das Gespräch.
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