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Treffen der Neurochirurgen in Tübingen

Neben dem "Meister" Madjid Samii gilt auch der betagte amerikanische Arzt Professor Peter Jannetta als einer der größten Neurochirugen. Am Allegheny General Hospital hat er tausende Patienten am Stammhirn operiert. In dieser Hirnregion vermutet er die Ursache für 95 Prozent aller Diabeteserkrankungen.

Von Klaus Herbst |
    " Die bei Diabetikern krankhaft veränderte Gehirn-Region liegt im Bereich des Stammhirns, der Medulla ablongata. Lädierte Arterien und deren krankhafte Pulsschläge behindern den rechten Vagus. Wir sind sicher, dass wir mit einem neurochirurgischen Eingriff Diabetes vorbeugen oder heilen können, vor allem wenn kleine Arterien den rechten Vagus stören und wenn wir diese beseitigen oder verlegen. "

    Ziel des diffizilen neurochirurgischen Eingriffs ist es, den schädlichen Druck vom Vagus-Nerv zu nehmen, indem beschädigte große und kleine Arterien verlegt werden. Anschließend wird der Vagus durch eine winzige Einlage abgeschirmt und dauerhaft geschützt. Peter Janetta:

    " Ich habe etwa 8000 solcher Operationen durchgeführt. Die Sterblichkeitsrate ist bei sechs auf 8.000 Patienten nicht übermäßig hoch. Sonstige Komplikationen kommen in zwei Prozent der Fälle vor. Mitunter werden Nerven beschädigt, aber das werden wir mittel- und langfristig noch deutlich verringern. Die Patienten werden auf der Seite fixiert, wir stehen hinter ihnen. Die Operation dauert etwa zwei Stunden. Wir entfernen die blutführenden, aber verengten und kranken Gefäße und machen Platz für ein Implantat, das aus Silikon besteht. Dann verschließen wir die Öffnung. Mitunter treten Kopfschmerzen auf, aber die meisten Patienten fliegen am nächsten Tag wieder nach Hause, einige fünf Tage später. "

    Der amerikanische Forscher bezeichnet diese Operation als zukunftsträchtige Option für Diabetiker. Weltweit, in Pittsburgh, aber auch in Deutschland und Europa, will er sieben Zentren aufbauen, die diese Operation durchführen sollen. Aber ist wirklich eine Nervenstörung im Stammhirn Ursache von Diabetes? Immerhin ist bestens erforscht, dass die Beta-Zellen der Langerhanschen Inseln in der Bauchspeicheldrüse nicht mehr genügend Insulin produzieren. Also könnten die gestörten Arterien, die auf den Vagus drücken, eine Folge von Diabetes sein - und nicht dessen Ursache, wie Janetta postuliert. Das Rätsel ist noch nicht gelöst. Gewiss ist die Hirnoperation noch keine Patentlösung. Tagungspräsident Professor Klaus von Wild aus Münster:

    "Der zehnte Hirnnerv der Vagus, geht ja nicht nur zum Herzen, sondern er hat auch einen Einfluss auf die Gefäßweite unserer so genannten Innerbauchgefäße. Und das Bauchfett, was als erstes bei den Diabetikern kommt, also dieser Spitzbauch, hängt ab von dem Vagus. Und wenn man jetzt diesen deren Hirnnerv entlastet, also eine über Übererregung beseitigt, dann könnte es durchaus sein, dass das eine Möglichkeit wäre. Nur muss man natürlich in Betracht ziehen, dass eine solche Operation ein Hochrisikoeingriff ist. Und ich denke, es wäre vernünftiger, wenn die Patienten erst einmal ihre Diätet umstellen und Sport betreiben. Aber für therapieresistente Fälle könnte das tatsächlich die Hoffnung sein."

    Neue Hoffnung durch Neurochirurgie gibt es auch für Epileptiker. Der brasilianische Arzt Professor Elyseu Paglioli vom der Pontificia Universita Catollica in Portalegre benutzt bei seinen Operationen das so genannte Brain Mapping. Dieses identifiziert auf Basis modernster bildgebender Verfahren einzelne Bereiche im Gehirn, deren Funktionen. Es zeigt auch die Verletzungen, die die epileptischen Anfälle auslösen.

    "In der Epilepsie-Neurochirurgie ist es besonders wichtig, dass wir Patienten, die ja, wenn sie keinen Anfall haben, unauffällig sind, keine unnötigen, zusätzlichen Verletzungen beibringen. Der Patient soll aber natürlich auch keine epileptischen Anfälle mehr erleiden. Wir benutzen modernste bildgebende Verfahren, vor allem Kernspintomographie, mit der wir die Läsionen darstellen, die Anfälle auslösen. Diese lassen sich deswegen gut entfernen, weil sie normalerweise funktionslos sind. Wir entfernen sie, heilen Epilepsie und bewirken dabei keine neuen Störungen. Es gibt Dutzende Epilepsietypen. Deswegen ist es vor jeder Operation entscheidend, die individuelle Gehirnsverletzung zu genau wie möglich zu bestimmen und die bildgebenden Verfahren selbstverständlich auch während der gesamten Operation einzusetzen. "