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Treffpunkt von Independent-Produktionen

Beim diesjährigen Sundance Filmfestival in der Nähe von Salt Lake City hat der Zuschauer die Wahl aus rund 160 Spiel- und Dokumentarfilmen und über 80 Kurzfilmen. Neben den hauptsächlich US-amerikanischen Produktionen stehen auch 42 internationale Filme auf dem Programm. Darunter vier deutsche Koproduktionen und die beiden deutschen Spielfilme "Schneeland" von Hans W. Geißendörfer und das Debüt "Der Wald vor lauter Bäumen" von Maren Ade, der beim Premierenpublikum bereits sehr gut ankam.

Von Jörg Albrecht |
    Erstmals in der 21jährigen Geschichte des Festivals werden am kommenden Samstag nicht nur amerikanische Produktionen mit Preisen ausgezeichnet, sondern auch 28 internationale Filme. Das ist neu, um der ständig wachsenden Zahl ausländischer Produktionen bei diesem eigentlich amerikanischen Festival gerecht zu werden. Wessen Filme hier gezeigt werden, egal ob mit oder ohne Preis, der hat sich fast schon von selbst einen respektablen Namen in der Filmwelt geschaffen. Denn "Sundance", das ist eben auch so etwas wie ein Gütezeichen für anspruchsvollen Film.

    Das wissen auch die großen Hollywood-Studios und scheinen sich von dem Rummel um dieses Festival eine Scheibe abschneiden zu wollen. Da Major Label bei einem unabhängigen Festival aber nicht vertreten sein sollten, hat der Medienriese AOL Time Warner kurzerhand seinen Titel "The Jacket" mit Adrien Brody in der Hauptrolle unter dem Label "Warner Independent Pictures" an den Start gebracht.
    Auch andere Konzerne aus dem Nicht-Filmbereich tummeln sich im Sponsoren-Pool. Bleibt zu hoffen, dass die Festivalveranstalter trotzdem ihre eigene Unabhängigkeit bewahren.

    Aber vielleicht bedeutet "Independent" im heutigen Amerika nicht die Unabhängigkeit von großen Medienkonzernen, sondern die Unabhängigkeit das zu sagen, was vielen Menschen unter den Nägeln brennt.
    Die Kritik in den Filmen in diesem Jahr zielt weniger in Richtung Bush-Regierung, sondern konzentriert sich vielmehr auf die allgemeinen Probleme der amerikanischen Gesellschaft. Vor allem das weiße und christliche Amerika scheint ganz oben auf der "wir-haben-die-Nase-voll"-Liste zu stehen.

    Im Dokumentarfilm "The Education of Shelby Knox" begleiten die Regisseure Marion Lipschutz und Rose Rosenblatt die 15jährige Shelby Knox aus einer Kleinstadt in Texas. Shelby wundert sich, dass sie fast jede Woche eine schwangere Mitschülerin an ihrer Schule trifft, aber das Fach Sexualkunde nicht einmal ansatzweise gelehrt wird. Sie beschließt der Jugend Kommission ihres Heimtortes beizutreten und für diesen Unterricht zu kämpfen. Neben dem engagierten Kampf der High-School Schülerin zeigt der Film aber vor allem auch die Ignoranz, mit der auch noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts Kirche und US-republikanische Politik sich vor den Gefahren wie AIDS und Teenagerschwangerschaften verschließen, von der Benutzung von Kondomen abraten und stattdessen Enthaltsamkeit bis zur Ehe propagieren. Gegen Ende des Films fragt Shelby Knox ihre Eltern: "Bin ich ein schlechter Mensch, wenn ich Demokratin wäre?"

    Bei den Spielfilmen ist auf jeden Fall Richard Shepards "The Matador" zu erwähnen, mit Pierce Brosnan in der Rolle des ungepflegten und verlotterten Berufskiller Julian. Julian, der gerade einen Auftrag in Mexiko erledigt hat, trifft an der Hotelbar auf den braven Geschäftsmann Danny Wright, gespielt von Gregg Kinnear. Über ein paar Drinks Freunden beide sich an und Julian offenbart seine Profession dem arglosen Danny. Der kann es zunächst gar nicht glauben und freut sich bereits über eine tolle Cocktailparty-Story, bis der Killer Danny um Hilfe bei seinem nächsten Auftrag bittet.
    Neben der Story mit einigen interessanten Wendung besticht der Film hauptsächlich durch Brosnans Spiel, der als fluchender Prolet ganz im Gegensatz zur James Bond Figur agieren darf.

    Weniger "independent" sind die Kosten, die der Filmfan auf sich nehmen muss, um einer der ersten sein zu können, die neue Talente entdecken. Wer die 10 Dollar Tickets nicht mehr ergattern konnte, musste sich wohl oder übel einen Festivalpaß kaufen, der auch dann noch Zutritt zu den Vorführungen lässt, wenn die Einzeltickets bereits vergriffen sind. Allerdings mit Preisen von 200 Dollar fürs Wochenende bis 2.500 Dollar für den All Access Paß kein preiswertes Vergnügen. Hinzu kommt, dass der Festivalort Park City eher als teurer Skiort gilt, dementsprechend gestalten sich die Übernachtungspreise.
    Wer allerdings genügend Zeit mitbringt und bereit ist, außerhalb des Filmeguckens täglich acht Stunden zu arbeiten, konnte sich als freiwilliger Festivalhelfer bewerben. 1.200 Freiwillige reißen Eintrittskarten ab, räumen die Kinosäle auf oder schieben Parkplatzwache. Dafür gibt es eine Unterkunft und Freikarten. Damit ist man dann wieder "independent", nämlich unabhängig vom Geldbeutel.