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Treier: Lebensmittelknappheit und Preissteigerung

Ausgangssperren in Ägypten verhinderten Warentransporte, die Güterverknappung führe zu Preissteigerungen, sagt der Außenhandelschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Volker Treier. Trotz der "dramatischen Lage": Den Standort zu verlassen, sei "das schlechteste, was man tun kann."

Volker Treier im Gespräch mit Birgid Becker |
    Birgid Becker: Zum Start der Sendung ein Blick nach Ägypten und die Lage der deutschen, der ausländischen Unternehmen dort. Mit Volker Treier, mit dem Außenhandelschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, habe ich vor der Sendung gesprochen und ihn zunächst gefragt, ob es stimmt: Die Büros der deutsch-arabischen Handelskammer in Kairo und in Alexandria sind geschlossen?

    Volker Treier: Ja, das trifft zu. Das ist eine Vorsichtsmaßnahme den Mitarbeitern gegenüber, aber auch eine Frage der schwierigen Verhältnisse in den Städten, nämlich als Person sich im Moment frei bewegen zu können, und da ist es besser, wenn man dann von zuhause erreichbar ist, auch für die Nöte der deutschen Unternehmen vor Ort.

    Becker: Insgesamt ist es doch eine recht hohe Zahl an Beschäftigten deutscher Produktions- und Vertriebsstätten, die in Ägypten arbeiten. Von 24.000 spricht der DIHK. Herr Treier, fächern Sie doch etwas auf: Was für Unternehmen sind das?

    Treier: Vielfach sind das Unternehmen, die Produkte in Ägypten verkaufen, also Vertriebsgesellschaften. Es sind aber auch 20 Unternehmen dabei, die produzieren. Das geht vom Kfz-Bau, Endmontage von Automobilen oder Automobilzulieferprodukten über elektrotechnische Produkte bis hin zu chemischen Waren und auch Dienstleistungen in diesem Bereich.

    Becker: Nun haben einzelne Unternehmen ja schon erklärt, dass sie Konsequenzen ziehen aus den blutigen Unruhen. Elektrolux etwa, der AEG-Mutterkonzern, sagte, dass die Produktion vorerst gestoppt werden soll. Die Zentrale von Metro in Kairo soll vorübergehend geschlossen werden und die zwei Metro-Großmärkte dort sollen früher schließen, damit die Mitarbeiter vor der Sperrstunde nachhause kommen. Das heißt, normales Arbeiten ist in Ägypten im Moment nicht möglich?

    Treier: Ja, das ist es definitiv nicht. Das heißt aber andererseits auch, dass die Unternehmen das aus einer Sorgfaltspflicht machen für ihre Mitarbeiter, aber auch für ihre Kunden, dass sie aber weiterhin dem Standort Ägypten die Treue halten. Uns erreichen hier keine Nachrichten, dass die Unternehmen das Land verlassen. Vielmehr wollen sie sich ruhig verhalten und sich an die jetzt schwierigen Bedingungen anpassen, um die Zeit dann zu überstehen und hoffentlich bald wieder in eine Normalität zu kommen.

    Becker: Raten Sie denn auch den Unternehmen zum Stillhalten, zum Durchhalten?

    Treier: Die Unternehmen müssen das selbst entscheiden und wir raten unserer Handelskammer, die die Unternehmen wiederum berät, dass sie den Unternehmen beiseite steht und sie dann mit Ratschlägen unterstützt und mit Informationen, die wichtig sind. Auch das Auswärtige Amt hat ja jetzt keine Evakuierungen vorgenommen, noch nicht, aus dem Land. Insofern sollten wir jetzt Ruhe walten lassen. Die Ratschläge aus Berlin sind weniger wichtig als von den Institutionen, die vor Ort sind, und da haben wir unsere Handelskammer.

    Becker: Wie ist Ihre grundsätzliche Position zur Lage in Ägypten? Schon vor den jüngsten Ausschreitungen war die Situation ja nicht unproblematisch. Anders gefragt: Muss man da nicht fast zwangsläufig dazu kommen, dass man sagt, man schreibt diesen Standort ab, zumindest vorerst?

    Treier: Nein, gerade nicht. In einer schwierigen Lage das Land zu verlassen, ist das schlechteste, was man tun kann. Man hilft dem Land nicht, man hilft den Menschen nicht und am Ende schadet man auch sich selbst, weil die Menschen werden nicht vergessen, ob jemand bei der Stange gehalten hat oder nicht. Die deutschen Unternehmen sind ja jetzt auch nicht erst jüngst in das Land gekommen, die meisten davon, das heißt, haben sich lange Beziehungen aufgebaut, und die bricht man nicht so einfach ab. Gleichwohl: die Lage ist schwierig und auch die Situation der vergangenen zweieinhalb Jahre nach der sogenannten Arabischen Revolution oder den Umbrüchen in Ägypten war nicht immer leicht. Das ist jetzt wirklich aber nicht vergleichbar, die jetzige Situation ist viel dramatischer.

    Becker: Was bereits geschehen ist, das ist ja, dass der deutsche Handel mit Ägypten deutlich eingebrochen ist. In den ersten fünf Monaten des Jahres haben sich die Exporte um 80 Prozent reduziert, die Importe aus Ägypten rutschten sogar um mehr als 90 Prozent ab. Wie viel Unruhe kann die Wirtschaft des Landes noch vertragen?

    Treier: Für die Wirtschaft des Landes ist das, was jetzt passiert, sehr schwierig. Das erste Quartal war eigentlich noch ein vernünftiges und der Handel hat funktioniert und die Auseinandersetzungen haben sich da noch nicht niedergeschlagen. Das ist jetzt erst zuletzt wirklich so dramatisch geworden. Wenn man sich vorstellt, dass ganze Logistikketten einfach abreißen, weil Menschen sich nicht mehr auf die Straße trauen, oder auch nicht mehr auf die Straße dürfen, geschweige denn dann auch Warenlieferungen durchkommen, die man braucht, um weiterzuproduzieren und die Menschen letzten Endes zu versorgen, dann zeigt sich daran die ganze Misere. Das sieht man auch an den Preissteigerungen. Die Güterverknappung führt dazu und die Menschen brauchen die Lebensmittel und die Mittel des täglichen Bedarfs, und dann steigen die Preise. Das verschärft die Situation. Wir haben es mit einer dramatischen Situation zu tun. Glücklicherweise gab es Hilfen und gibt es Hilfen, Kapitalhilfen für Ägypten, diese Phase zu überstehen, aber vielleicht ist jetzt auch der Moment, dass die Handelnden nachdenken und sagen, so können wir jetzt nicht mehr weiteragieren.

    Becker: Wenn wir den noch größeren Bogen schlagen – es wurde ja stets gesagt, dass wirtschaftliche Unsicherheiten, dass mangelnder Wohlstand und die unsicheren Perspektiven gerade für die Jugend der arabischen Welt, nicht nur Ägyptens, dass das alles die größten Risiken sind für den jetzt schon sehr welken arabischen Frühling. Jetzt die Lage in Ägypten – wie pessimistisch muss man da sein für die weitere ökonomische und damit auch die politische Entwicklung?

    Treier: Ägypten macht zumindest dahingehend Hoffnung, dass wir bislang den Eindruck hatten, dass man sich dort als gemeinsame Nation versteht, egal auf welcher politischen oder gesellschaftspolitischen Seite man auch steht, und diese Hoffnung soll man jetzt nicht über Bord werfen, auch wenn es an einem Tag wie heute und in diesen Tagen sehr schwer fällt. Die Jugendarbeitslosigkeit – ja, die ist ein Riesenproblem. Wir haben von deutscher Seite begonnen, hier Abhilfe zu schaffen. Vielleicht ein Tropfen auf den heißen Stein, aber mehr als nichts, nämlich in berufliche Bildung über Projekte im Land, in Ägypten zu initiieren. Da ist es auch wichtig, dass die Unternehmen wieder arbeiten können, weil sonst können sie auch berufliche Bildung nicht vorantreiben. Das schafft es, den Menschen Kompetenzen zu geben und dann letztlich auch Zuversicht. Das ist prekär, das muss den handelnden Personen klar sein.
    Ein anderes, auf das Ägypten unbedingt setzen muss: Es sind auch viele wirtschaftspolitische Herausforderungen noch nicht angegangen worden. Es werden viele Bereiche des öffentlichen Bedarfs subventioniert und man hat keine Einnahmen dafür. Andererseits hat man viele Staatsunternehmen, die nicht besonders produktiv agieren. Es ist viel zu tun. Umso wichtiger ist, dass die Unruhen beendet werden.

    Becker: Zur ökonomischen Lage in Ägypten war das ein Gespräch mit dem Außenhandelschef des DIHK, Volker Treier.


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