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Trend zu Kurz-Reden gebrochen

Wenn Professor Bazon Brock, der begnadetste Rhetor seiner Zunft, Professor Gert Ueding, der institutionalisierte Rhetor aus Tübingen und Professor Peter Sloterdijk, der tiefgründigste Analytiker gesellschaftlicher Selbstverständigungsprozesse aufeinander treffen, dann findet so etwas Banales wie eine Preisverleihung nur noch am Rande statt. Selbst wenn es sich um den Cicero-Rednerpreis handelt.

Von Karin Fischer |
    Die bronzene Büste des Namensgebers drehte sich auf einer Leinwand rechts vom Rednerpult denn auch unablässig im Kreis, so als könne sie selbst sich der Gravitationswirkung der Reden, dem Sog der Erkenntnis kaum entziehen. Die Erfahrung, dass dem Publikum bei Vorträgen von Brock oder Sloterdijk schon mal Hören und Sehen vergehen kann, formulierte Laudator Gert Ueding so:

    "Seine stupende Gelehrsamkeit, sein provokativer Gestus verbinden sich mit einem liebenswürdigen Hang zu Spiel und Übermut. Hier haben wir einen, der mit Gedanken zu jonglieren versteht und das überlieferte philosophische oder literarische Bildungsgut zu Spielbällen seiner Sprachphantasie macht."

    Brock wiederum, dem die Rolle des Festredners zugeteilt war, nahm zunächst rhetorisch überaus spitzfindig das "Modell Preisverleihung" aufs Korn, um so zu seinem Thema zu kommen, der Dialektik von Wissen und Erkenntnis und Widerstand. Odysseus am Mast liefert das Modell: Die Selbstversuchung - Odysseus wollte die verlockenden Sirenentöne ja gerade hören - steht als Motiv über dem gesamten Werk Sloterdijks. Brock zitiert ihn:

    "Ein Autor infiziert sich mit den Stoffen, an denen er arbeitet. "

    Darin dem Forscher ähnlich, der sich mit Pocken infiziert, um den Immunisierungseffekt beschreiben zu können, arbeitet auch der Philosoph an Diagnose und Prognose der Gesellschaft. Er schaut den Autoimmunerkrankungen des Geistes wie Dogmatismus oder Fundamentalismus tapfer ins Auge, und er entwickelt persönliche Strategien gegen die Verführungen zum systemkonformen Irresein. Er hört, und sagt "Nein" wie Odysseus:

    "Si si heißt nicht anderes als s - i, sacrificium intellectum oder s - i, systemkonformes Irresein. Wer JA sagt in dieser Welt muss verrückt sein, muss systemkonform verrückt sein oder eben das sacrificium intellectum begehen, also seinen Verstand an der Kasse abgeben, sonst ist das nicht zu ertragen!"

    Sloterdijk, der Politikerreden für langweilig hält und der Meinung ist, dass man nur reden sollte, wenn man eine Botschaft hat, hielt natürlich auch keine Rede, sondern eine kleine, für seine Verhältnisse kurze und im klassisch-rhetorischen Rahmen von 30 Minuten liegende Vorlesung über das Reden, Überschrift: Gesellschaften bestehen nicht aus Leuten, sondern aus Kommunikationen. Der Verweis auf Marshall McLuhan oder Niklas Luhmann kann als rhetorischer gewertet werden; doch die Diagnose, die Sloterdijk seit Jahren stellt, ist offenbar ebenso wahr wie unheilbar. Die Gesellschaft beschreibt er als hysteroides Gebilde, das sich nur noch über mediale Effekte definiert, die auf immer höher dosierte Erregungszustände hinaus laufen.

    "Wenn unsere Analyse zutrifft, so spielt die inhaltliche Seite eine immer nebensächlichere Rolle, weil ein bloßes Erregungstraining statt findet, und es wird in der dauererregten Gesellschaft offenkundig, dass es der medialen Logik nach gleichgültig ist, ob eine Gesellschaft über die Einführung einer neuen Potenzdroge oder über einen Kriegseinsatz, über das Ende der Gerontokratie in Bayreuth oder über die Hämokritwerte eines Radsportlers diskutiert, solange sie sich nur durch irgendwelche Skandalisierungen synchronisieren lässt."

    Die Arznei für diese Krankheit, so Sloterdijk, hält der Schriftsteller parat, womit er sich, den philosophierenden Schriftsteller, auch selbst beschreibt.

    "Es lässt sich jetzt mit nur einem Satz sagen, was ein Schriftsteller ist, nämlich ein Arrangeur von Zeichen, der davon überzeugt ist, dass die normale Verwendung von Sprache zur Erregung von öffentlichem und subkulturellem Themenstress nicht alles sein kann."

    Der Widerstand des Philosophen besteht darin, nicht an der Anschlussfähigkeit mitzuwirken, sondern an der Abschlussfähigkeit. "Es geht nicht um das Kommen zu einer Sache, sondern um das Ent-Kommen", sagt Sloterdijk. Gesteht allerdings zu, dass das Denken nicht aus der Sprachhaut fahren könne. Und fügt deshalb hinzu:

    "Jean Cocteau ist einmal gefragt worden, was er aus einem brennenden Haus retten würde, und er hat gesagt: Das Feuer. Wenn Sie mich fragen würden, was ich aus einer lichterloh kommunizierenden Gesellschaft retten würde, ich würde wohl sagen: Die Wörter."

    Dass das nicht versöhnlich gemeint ist, haben wir bei dieser Rede verstanden.