Beatrix Novy: Dem Buchmarkt geht es gar nicht schlecht, hieß es kürzlich zum Jahresende. Auch zur deutschsprachigen Literatur gibt es gute Nachrichten, nämlich, es gibt mehr Übersetzungsanfragen als je zuvor. Da sollte man sich allerdings nichts vormachen: Autoren von hier haben besonders in angelsächsischen Ländern nicht annähernd soviel Resonanz wie das umgekehrt der Fall ist, ein Erfolg wie der von Bernhard Schlinks "Vorleser" zeigt eher die Eingegrenztheit des Interesses: Um Nazis sollte es vielleicht schon gehen, wenn man für den amerikanischen Markt schreiben will. Oder aber jetzt um die Mauer. Auch die Geschichte der deutschen Teilung interessiert mittlerweile international. Und das passt ganz gut, denn Familienromane, zumal mit DDR-Hintergrund sind eine anerkannte, eine auffallende Tendenz in der deutschen Literatur des letzten, jetzt zurückliegenden Jahres – eine Literatur, auf die jetzt Deutschlandfunk-Literaturredakteur Hubert Winkels zurückblickt.
Hubert Winkels: Ja, Sie haben die entscheidende Mischung schon genannt. Tatsächlich ist es der Rückblick auf die Geschichte der deutschen Teilung mit Schwerpunkt DDR plus quasi notwendige Zusatzbedingung Familienroman. Wenn beides zusammenkommt, rastet irgendwas ein: der Familienroman, der in der Lage ist, historische Epochen oder Zäsuren in sich aufzunehmen und über eine intime Geschichte zu erzählen, im Grunde wie beim 20:15 Uhr großen Drama in der ARD. Das war zum ersten Mal signifikant so bei Arno Geigers "Es geht uns gut", dem ersten Buchpreisgewinner, und die analoge Konstruktionsform hat jetzt Eugen Ruge mit seinem Buch "In Zeiten des abnehmenden Lichts". Das war ja das erfolgreichste deutsche Buch dieses Jahr, kann man sagen, und es war für die Kritik absolut akzeptabel, es hat den Buchpreis gewonnen, und es war wochenlang Platz eins der "Spiegel"-Bestsellerliste – eine Konstellation, die es sonst überhaupt nicht gibt. Das ist ja die Familiengeschichte von Eugen Ruge, die er selber erzählt, im Kern – das merkt man auch – dieser Authentizitätscharakter, der vermittelt sich bei der Lektüre. Das ist kein gescheites Kriterium, aber man muss es, glaube ich, einfach mal sagen. Er schafft es tatsächlich, diese Intimität einer Familienfeier – es zieht sich eine Geburtstagsfeier eines alten, kommunistischen Parteikaders durch das ganze Buch, immer wiederkehrend –, anhand dieser Feier in Rückblenden so 60, 70 Jahre deutscher Geschichte zu erzählen aus der Perspektive von Kommunisten, die erst im Exil waren während der Nazizeit, dann das neue Deutschland mit aufgebaut haben, also die Zeitungen, dann die DDR selber mit aufgebaut haben, bis hin zum verlorenen Sohn, der abhaut und in einer schweren existenziellen und körperlichen Krise nach Mexiko verschwindet, im Grunde, um zu sterben, der das Ganze erzählt. Dann stellt sich aber raus, dass der Ort, wo er zum Sterben hingeht, der Ort ist, wo seine Großeltern im Exil waren während der Nazizeit. Dann schließt sich auch dieser historische Kreis. Das Ganze ist a well made Play, würde man im Theater sagen – es ist ein perfekt gebauter Roman, der das Allgemeine historisch und das Persönliche familiär auf eine sehr gelungene Weise miteinander verschränkt – ein bisschen schematisch manchmal für den Kritiker, manchmal hört man es klappern, diesen Mechanismus. Es gibt aber ein besseres Buch zu diesem Thema, wenn man so will von Judith Schalansky, das Buch "Der Hals der Giraffe". Und das ist die Geschichte einer Lehrerin im langsam sich entvölkernden Nordosten Deutschlands – in Anklam müsste man sagen, weil da kommt die Autorin her, der Ort taucht nie auf –, die in einer extremen Bitterkeit DDR sozialisiert in sozialdarwinistischer Radikalität eigentlich, wirklich mit darwinistischem Vokabular ihre Schüler fertig macht und in einem endlos langen Monolog die Welt bekämpft. Und man spürt in der zynischen Bitterkeit dieser Inge Lohmark, so heißt sie, langsam die Traumatisierung, die ihr zugrunde liegt, raus, und dann bekommt man manchmal die Stellen, wo sie weich ist, wo sie ein Gefühl hat, das sie nicht Kontrollieren kann – ganz, ganz subtil. Und dann ist man auf einmal hingerissen von dieser Frau, muss über sie lachen und hat sogar positive Gefühle, obwohl sie nur bitter und böse ist. Und dieser Kunstgriff von einer so jungen Autorin wie Judith Schalansky ist genial, weshalb ich dieses Buch eigentlich unterm Strich – wenn Sie mich fragen würden, Sie haben es nicht getan, weil sie Superlative nicht mögen, ich auch nicht –, trotzdem mal vorsichtshalber für das beste Buch oder den besten Roman dieses Jahres erkläre.
Novy: Dann können Sie ja noch mal zurückschauen auf das, was in diesem Jahr zu den besten erklärt worden ist, nämlich durch die großen Preise, die wir haben, die Literaturpreise.
Winkels: Ja, also das war natürlich Eugen Ruge mit dem Deutschen Buchpreis, ist klar. Im Falle des – wie man immer sagt – wichtigsten deutschen Literaturpreises, im Falle des Büchner-Preises kann man es gar nicht auf ein aktuelles Buch beziehen, da war Friedrich Christian Delius der Preisträger, was eine skandalnahe Diskussion ausgelöst hat, nämlich es waren einige Journalisten sehr bitter, dass ausgerechnet Delius, den man für einen mittelmäßigen, Zeitgeschichte verarbeitenden Erzähler hält, ausgerechnet diesen Preis bekäme. Also Friedrich Christian Delius stand eine ganze Zeit im Mittelpunkt der Diskussion, Preise bekommen hat er sehr, sehr zurecht. Der Erzählungsband – seltenes Genre geworden – "Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes" von Clemens J. Setz, das war der Leipziger Buchpreis im Frühjahr, weil dieser eben über- und überbelesene junge Österreicher gerade nicht diese sprachspielerische Tradition fortsetzt, sondern dieses böse, sadistische – also im buchstäblichen –, auf de Sade zurückgehende perverse Unterfutter der Gesellschaft in mehreren großen Romanen, in diesem Fall eben in Erzählungen von großer äußerer Klarheit hervorruft, aber in bösen SM-Settings sozusagen entweder anfängt oder da endet. Wenn ich SM-Settings sage, meine ich Sadomaso-Settings. Die können sexuell konkret so gemeint sein, sie können aber auch in einem psychologisch übertragenen Sinne oder im sozialen oder zivilisationsgeschichtlich übertragenen Sinne so gemeint sein. Es ist sicherlich eines der härtesten und grausamsten Bücher, die seit Langem geschrieben und darüber hinaus von der Kritik und vom Publikum akklamiert wurden, also Clemens J. Setz, "die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes". Das waren jetzt drei von vielleicht fünf, sechs wichtigen Preisen. Aber einen muss ich trotzdem unbedingt noch erwähnen, weil der Deutschlandfunk ihn vergibt, zusammen mit der Stadt Braunschweig, und der Preisträger, die Preisträgerin, die eines der besten Bücher, nahe am Superlativ dieses Jahres, vorgelegt hat, und zwar Sibylle Lewitscharoff, sie hat den Raabe-, den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis bekommen – einer der sicherlich zehn wichtigsten Preise inzwischen, auch von der Dotierung her. Der Roman von Sibylle Lewitscharoff heißt "Blumenberg", und tatsächlich steht im Mittelpunkt dieses Romans auch der Philosoph Hans Blumenberg. Und die Handlung ist quasi ganz einfach zu erzählen, wenn man sie knapp erzählen will, fast kürzer als Fontane seinen Roman "Stechlin" wiedergegeben hat: Man könnte mit einem Satz sagen, Blumenberg sieht einen Löwen. Das ist die Handlung des Romans. Blumenberg sieht einen Löwen zuhause, in den Vorlesungen, wie Hieronymus im Gehäuse lebt er mit einem Löwen. Und das ist in einer sprachlichen Urgewalt sozusagen stuttgarterisch oder von mir aus auch bulgarisch-stuttgarterisch-berlinerisch da hingehauen, wenn man das positiv verstehen will, das Hauen. Das ist die ganze literarische Welt kurz einmal zum Aufschreien gebracht.
Novy: Schöner Anschub für die kommenden Tage, da kann man sich den Roman ja noch in diesem Jahr besorgen. Und zum Schluss würde ich gerne noch eingehen auf die großen Toten des Literaturlebens. Zuletzt Christa Wolf, aber sie war nicht die Einzige.
Winkels: Ja, Christa Wolf war sicherlich der in jeder Hinsicht bedeutsamste Todesfall. Man könnte aber auch fast politisch-ästhetisch sagen, die bedeutsamste Todesfeier, die Deutschland gesehen hat seit Langem, vielleicht die wichtigste überhaupt, seit Jahrzehnten, kann man sagen, weil wenn man das mitbekommen hat, in Berlin, was passiert ist, rund um zwischen Tod und Begräbnis: Im Grunde die alte DDR oder sagen wir, das an der DDR, was demokratischer Sozialismus geheißen hat, und wo man glaubte, dass ja eine gewisse intellektuelle Redlichkeit und eine sozialistische Idee zusammengehen können – diese Haltung ist zu Grabe getragen worden. Ansonsten würde ich gerne auch im Sinne des Deutschlandfunks Heinz Ludwig Arnold erwähnen. Der große Publizist, der das "kritische Lexikon der Gegenwartsliteratur" erfunden und gemacht hat, "Lexikon der fremdsprachigen Gegenwartsliteratur", der den "Kindler" rausgegeben hat, die Reihe "Text und Kritik" begründet und herausgegeben hat – ein unendlich fleißiger, sozusagen reich in seinem publizistischen Leben agierender Mensch, ist in seinen späten 60ern von uns gegangen und hat gerade diesen – ich glaube – 15-bändigen, dickbändigen "Kindler" noch fertiggestellt. Und er hat bei uns viel mitgearbeitet, vor allen Dingen bei der literaturhistorischen Themengruppe 47, und danach – und nicht nur deswegen, auch wegen seiner allgemeinen Bedeutung möchte ich ihn hier doch eigens erwähnen.
Novy: Hubert Winkels zog Bilanz des belletristischen Jahres 2011.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Hubert Winkels: Ja, Sie haben die entscheidende Mischung schon genannt. Tatsächlich ist es der Rückblick auf die Geschichte der deutschen Teilung mit Schwerpunkt DDR plus quasi notwendige Zusatzbedingung Familienroman. Wenn beides zusammenkommt, rastet irgendwas ein: der Familienroman, der in der Lage ist, historische Epochen oder Zäsuren in sich aufzunehmen und über eine intime Geschichte zu erzählen, im Grunde wie beim 20:15 Uhr großen Drama in der ARD. Das war zum ersten Mal signifikant so bei Arno Geigers "Es geht uns gut", dem ersten Buchpreisgewinner, und die analoge Konstruktionsform hat jetzt Eugen Ruge mit seinem Buch "In Zeiten des abnehmenden Lichts". Das war ja das erfolgreichste deutsche Buch dieses Jahr, kann man sagen, und es war für die Kritik absolut akzeptabel, es hat den Buchpreis gewonnen, und es war wochenlang Platz eins der "Spiegel"-Bestsellerliste – eine Konstellation, die es sonst überhaupt nicht gibt. Das ist ja die Familiengeschichte von Eugen Ruge, die er selber erzählt, im Kern – das merkt man auch – dieser Authentizitätscharakter, der vermittelt sich bei der Lektüre. Das ist kein gescheites Kriterium, aber man muss es, glaube ich, einfach mal sagen. Er schafft es tatsächlich, diese Intimität einer Familienfeier – es zieht sich eine Geburtstagsfeier eines alten, kommunistischen Parteikaders durch das ganze Buch, immer wiederkehrend –, anhand dieser Feier in Rückblenden so 60, 70 Jahre deutscher Geschichte zu erzählen aus der Perspektive von Kommunisten, die erst im Exil waren während der Nazizeit, dann das neue Deutschland mit aufgebaut haben, also die Zeitungen, dann die DDR selber mit aufgebaut haben, bis hin zum verlorenen Sohn, der abhaut und in einer schweren existenziellen und körperlichen Krise nach Mexiko verschwindet, im Grunde, um zu sterben, der das Ganze erzählt. Dann stellt sich aber raus, dass der Ort, wo er zum Sterben hingeht, der Ort ist, wo seine Großeltern im Exil waren während der Nazizeit. Dann schließt sich auch dieser historische Kreis. Das Ganze ist a well made Play, würde man im Theater sagen – es ist ein perfekt gebauter Roman, der das Allgemeine historisch und das Persönliche familiär auf eine sehr gelungene Weise miteinander verschränkt – ein bisschen schematisch manchmal für den Kritiker, manchmal hört man es klappern, diesen Mechanismus. Es gibt aber ein besseres Buch zu diesem Thema, wenn man so will von Judith Schalansky, das Buch "Der Hals der Giraffe". Und das ist die Geschichte einer Lehrerin im langsam sich entvölkernden Nordosten Deutschlands – in Anklam müsste man sagen, weil da kommt die Autorin her, der Ort taucht nie auf –, die in einer extremen Bitterkeit DDR sozialisiert in sozialdarwinistischer Radikalität eigentlich, wirklich mit darwinistischem Vokabular ihre Schüler fertig macht und in einem endlos langen Monolog die Welt bekämpft. Und man spürt in der zynischen Bitterkeit dieser Inge Lohmark, so heißt sie, langsam die Traumatisierung, die ihr zugrunde liegt, raus, und dann bekommt man manchmal die Stellen, wo sie weich ist, wo sie ein Gefühl hat, das sie nicht Kontrollieren kann – ganz, ganz subtil. Und dann ist man auf einmal hingerissen von dieser Frau, muss über sie lachen und hat sogar positive Gefühle, obwohl sie nur bitter und böse ist. Und dieser Kunstgriff von einer so jungen Autorin wie Judith Schalansky ist genial, weshalb ich dieses Buch eigentlich unterm Strich – wenn Sie mich fragen würden, Sie haben es nicht getan, weil sie Superlative nicht mögen, ich auch nicht –, trotzdem mal vorsichtshalber für das beste Buch oder den besten Roman dieses Jahres erkläre.
Novy: Dann können Sie ja noch mal zurückschauen auf das, was in diesem Jahr zu den besten erklärt worden ist, nämlich durch die großen Preise, die wir haben, die Literaturpreise.
Winkels: Ja, also das war natürlich Eugen Ruge mit dem Deutschen Buchpreis, ist klar. Im Falle des – wie man immer sagt – wichtigsten deutschen Literaturpreises, im Falle des Büchner-Preises kann man es gar nicht auf ein aktuelles Buch beziehen, da war Friedrich Christian Delius der Preisträger, was eine skandalnahe Diskussion ausgelöst hat, nämlich es waren einige Journalisten sehr bitter, dass ausgerechnet Delius, den man für einen mittelmäßigen, Zeitgeschichte verarbeitenden Erzähler hält, ausgerechnet diesen Preis bekäme. Also Friedrich Christian Delius stand eine ganze Zeit im Mittelpunkt der Diskussion, Preise bekommen hat er sehr, sehr zurecht. Der Erzählungsband – seltenes Genre geworden – "Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes" von Clemens J. Setz, das war der Leipziger Buchpreis im Frühjahr, weil dieser eben über- und überbelesene junge Österreicher gerade nicht diese sprachspielerische Tradition fortsetzt, sondern dieses böse, sadistische – also im buchstäblichen –, auf de Sade zurückgehende perverse Unterfutter der Gesellschaft in mehreren großen Romanen, in diesem Fall eben in Erzählungen von großer äußerer Klarheit hervorruft, aber in bösen SM-Settings sozusagen entweder anfängt oder da endet. Wenn ich SM-Settings sage, meine ich Sadomaso-Settings. Die können sexuell konkret so gemeint sein, sie können aber auch in einem psychologisch übertragenen Sinne oder im sozialen oder zivilisationsgeschichtlich übertragenen Sinne so gemeint sein. Es ist sicherlich eines der härtesten und grausamsten Bücher, die seit Langem geschrieben und darüber hinaus von der Kritik und vom Publikum akklamiert wurden, also Clemens J. Setz, "die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes". Das waren jetzt drei von vielleicht fünf, sechs wichtigen Preisen. Aber einen muss ich trotzdem unbedingt noch erwähnen, weil der Deutschlandfunk ihn vergibt, zusammen mit der Stadt Braunschweig, und der Preisträger, die Preisträgerin, die eines der besten Bücher, nahe am Superlativ dieses Jahres, vorgelegt hat, und zwar Sibylle Lewitscharoff, sie hat den Raabe-, den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis bekommen – einer der sicherlich zehn wichtigsten Preise inzwischen, auch von der Dotierung her. Der Roman von Sibylle Lewitscharoff heißt "Blumenberg", und tatsächlich steht im Mittelpunkt dieses Romans auch der Philosoph Hans Blumenberg. Und die Handlung ist quasi ganz einfach zu erzählen, wenn man sie knapp erzählen will, fast kürzer als Fontane seinen Roman "Stechlin" wiedergegeben hat: Man könnte mit einem Satz sagen, Blumenberg sieht einen Löwen. Das ist die Handlung des Romans. Blumenberg sieht einen Löwen zuhause, in den Vorlesungen, wie Hieronymus im Gehäuse lebt er mit einem Löwen. Und das ist in einer sprachlichen Urgewalt sozusagen stuttgarterisch oder von mir aus auch bulgarisch-stuttgarterisch-berlinerisch da hingehauen, wenn man das positiv verstehen will, das Hauen. Das ist die ganze literarische Welt kurz einmal zum Aufschreien gebracht.
Novy: Schöner Anschub für die kommenden Tage, da kann man sich den Roman ja noch in diesem Jahr besorgen. Und zum Schluss würde ich gerne noch eingehen auf die großen Toten des Literaturlebens. Zuletzt Christa Wolf, aber sie war nicht die Einzige.
Winkels: Ja, Christa Wolf war sicherlich der in jeder Hinsicht bedeutsamste Todesfall. Man könnte aber auch fast politisch-ästhetisch sagen, die bedeutsamste Todesfeier, die Deutschland gesehen hat seit Langem, vielleicht die wichtigste überhaupt, seit Jahrzehnten, kann man sagen, weil wenn man das mitbekommen hat, in Berlin, was passiert ist, rund um zwischen Tod und Begräbnis: Im Grunde die alte DDR oder sagen wir, das an der DDR, was demokratischer Sozialismus geheißen hat, und wo man glaubte, dass ja eine gewisse intellektuelle Redlichkeit und eine sozialistische Idee zusammengehen können – diese Haltung ist zu Grabe getragen worden. Ansonsten würde ich gerne auch im Sinne des Deutschlandfunks Heinz Ludwig Arnold erwähnen. Der große Publizist, der das "kritische Lexikon der Gegenwartsliteratur" erfunden und gemacht hat, "Lexikon der fremdsprachigen Gegenwartsliteratur", der den "Kindler" rausgegeben hat, die Reihe "Text und Kritik" begründet und herausgegeben hat – ein unendlich fleißiger, sozusagen reich in seinem publizistischen Leben agierender Mensch, ist in seinen späten 60ern von uns gegangen und hat gerade diesen – ich glaube – 15-bändigen, dickbändigen "Kindler" noch fertiggestellt. Und er hat bei uns viel mitgearbeitet, vor allen Dingen bei der literaturhistorischen Themengruppe 47, und danach – und nicht nur deswegen, auch wegen seiner allgemeinen Bedeutung möchte ich ihn hier doch eigens erwähnen.
Novy: Hubert Winkels zog Bilanz des belletristischen Jahres 2011.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.