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Treppentürme mit Verfassungsrang

Noch haben sich weder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte noch der UNO-Sicherheitsrat noch die intergalaktische Kommission für kosmische Existenzfragen mit der Berliner Bauruine namens "Topographie des Terrors" beschäftigt, aber das ist sicher nur eine Frage der Zeit, denn der 61-jährige Schweizer Architekt Peter Zumthor ist offenbar entschlossen, seinen Streit mit der Senatsverwaltung in der deutschen Hauptstadt durch die groteskesten Gerichtsinstanzen zu treiben. Jetzt hat er das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe angerufen, weil er die Tatsache, dass ein mit ihm geschlossener Vertrag gekündigt wurde, als einen Angriff auf seine verfassungsmäßig garantierten Persönlichkeitsrechte versteht.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Nun werden die Verfassungsrichter das Grundgesetzt aufschlagen und nachsehen, ob da in Artikel 2, Absatz 1 vielleicht steht: "Grandiose Kunstwerke des Schweizer Architekten Peter Zumthor müssen um jeden Preis gebaut werden; bereits gebaute Treppenhäuser sind auf keinen Fall abzureißen." Als "grandioses Kunstwerk" wird das komplizierte, filigrane und nach mancher Experten Meinung technisch annähernd unbaubare Betonstabbauprojekt von Enthusiasten ja immer bezeichnet, wobei leicht in Vergessenheit gerät, dass es sich um eine Ausstellungshalle für Gestapokeller plus ein paar Büros zur Verwaltung dieses Terrordenkmals handelt. In dem Zusammenhang möchte eigentlich niemand, der noch recht bei Trost ist, das Wort "grandios" hören.

    Freilich steht in Artikel 2, Absatz 1 des Grundgesetzes etwas ganz anderes, und zwar: "Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt." Hier werden also die so genannten bürgerlichen Freiheitsrechte definiert, keineswegs Vertrags- und Verfahrensfragen für den Aufbau oder Abriss von Treppenhäusern. Allerdings gehört zu diesen Freiheitsrechten, dass es einem Zumthor unbenommen ist, über der Verfolgung seiner Persönlichkeitsrechte zum Kohlhaas zu werden.

    Denn es liegt etwas Tragisch-Lächerliches - und wenn man es einmal mit Ernst betrachtet: auch etwas Obszönes - in dem Versuch, jenes Gericht, das so grandiose Dinge wie die Menschenwürde, Gleichheit vor dem Gesetz oder Glaubens- und Gewissensfreiheit zu beurteilen hat, für eine preußische Provinzposse zu instrumentalisieren. Es mag ja wahr sein, dass sich eine ebenso korrupte wie bescheuerte, ebenso großspurige wie bankrotte Stadtregierung, die leider ausgerechnet die der deutschen Hauptstadt ist, in sträflicher Weise an dem internationalen Architekturstar Peter Zumthor vergangen hat. Doch von der Höhe seines Weltruhms herab sollte der Mann eher mit mitleidiger Milde auf den planerischen Scherbenhaufen blicken statt schweizerisch zu krampfen.

    Dass ihm jetzt, von einer schweizerischen Architekturzeitschrift angestachelt, alle möglichen Solidaritätsadressen prominenter Kollegen zufliegen, macht die Sache weder leichter noch besser: Am Kampf für das Persönlichkeitsrecht laben sich doch alle. Nur dient das Persönlichkeitsrecht vorrangig zum Schutz vor etwas und nicht zur Erzwingung von etwas. Die Architekturgeschichte ist wie die Weltgeschichte überhaupt voller Fehlschläge, Absagen, und Stornierungen. Mit Hinweis auf das Persönlichkeitsrecht hat noch kein wütender Lufthansa-Passagier seinen annullierten Flug zum Starten gebracht. Auch Zumthors Wut ist verständlich, aber er sollte sich der Überlegung nicht verschließen, dass es für einen Star auf die Dauer schlecht ist, für Nichtexistentes berühmt zu sein. Je verbissener er aber das Sinnlose verfolgt, desto mehr verfällt er dieser Negativität.