Mittwoch, 24. April 2024

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Tristesse Royale - Das popkulturelle Quintett

Im Scheinwerferlicht zu posieren und banale Dinge abzusondern, die plötzlich enorm wichtig zu sein scheinen, gilt heutzutage als extrem marktwertsteigernd, also persönlichkeitsfördernd. Man existiert, wenn man auf Sendung ist. Die Medien schaffen ihre eigene Realität. Und so ist es kein Wunder, daß Autoren wie Benjamin von Stuckrad-Barre Bücher schreiben, um ins Fernsehen zu kommen. Andere sind noch nicht so weit. Zum Beispiel der Hamburger Kolumnist Joachim Bessing. Doch der kennt Stuckrad-Barre und noch ein paar andere, die sich ähnlich kleiden und ähnlich denken wie er. So hatte der No-Name Bessing die Idee, über einen kleinen Umweg zum Ziel zu gelangen. Er mietete ein "geräumiges Kaminzimmer" im Hotel Adlon und lud seine Freunde zu einem dreitägigen Gesprächsmarathon ein - außer Stuckrad-Barre den mäßig bekannten Romancier Christian Kracht, den sportwagenfahrenden Autor Eckhart Nickel sowie den Gesellschaftsreporter Alexander von Schönburg. Zeitgeist- und medientauglich nannten sie sich "Das popkulturelle Quintett" und veröffentlichten das Protokoll der Sitzungen unter dem Titel "Tristesse Royale" im Ullstein Verlag. Nicht weniger als ein "Sittenbild" ihrer Generation, also der Anfang Zwanzig- bis Anfang Dreißigjährigen, sollte entstehen. In der Berliner "Bar jeder Vernunft" stellten sie es vor.

Ralph Gerstenberg | 26.01.2000
    "Wir kommen nicht in die Hölle, wir leben schon lange darin." - "Platt, aber gut. Oder wie Alexander von Schönburg immer sagt: traurig und interessant. In Wirklichkeit ist doch alles so: Neulich kam Wolfgang Joop in die Paris Bar in Berlin, und dann wurde Essen bestellt, und Joop sagte: "Ich glaube, ich brauche Fleisch mit Fritten, oder will ich vielleicht doch zuerst kotzen? Ich weiß es nicht." Also genau so ist es nämlich. Er hat dann das Entrecôte bestellt und aufgegessen und sich danach bei mir beklagt, daß er Luxus nie kennengelernt hat. Er spürt ihn einfach nicht, und das findet er todtraurig. Das sagte der und hatte Schuhe von Comme des Garçons an und eine Riesenbrille von Cutler & Gross - die anderen Dinge lasse ich mal weg, es ging ja um den Moment."

    Promi-Anekdoten wie diese, mit denen das Buch immer wieder garniert wird, sollen die Popularität der selbsternannten Pop-Literaten suggerieren. Wenn einen auch sonst niemand kennt, man hat schon mal mit Prince bei Käfer in München Flußkrebssülze und Veilchenschaumsuppe gegessen und ist anschließend mit dem Star in einer Limousine zum Hilton gebraust. Pop kommt von populär, und wer nicht populär ist, hat in einem "popkulturellen Quintett" nichts zu suchen, in dem außerdem Anzug- und Krawattenpflicht zu herrschen scheint. Das kann man dem Autorenfoto auf der Rückseite des Buches entnehmen. Doch in unserer schnelllebigen Zeit der Reizüberflutung und des Massenkonsums, ist selbst ein Anzug nicht mehr das, was er mal war. So wird es heutzutage im Club der jungen Dichter immer schwieriger, exquisit zu sein und das mit Statussymbolen auszudrücken. Der Werteverfall, ist nicht mehr aufzuhalten.

    "Daß seit geraumer Zeit jedermann einen Anzug tragen kann, das hat eine komplette Verwaschung des Profils des Anzugs als Statussymbol verursacht. Der Anzug ist jetzt etwas Ordinäres. Er bedeutet rein gar nichts mehr. Jeder Mensch sieht in einem Anzug eben genauso aus, wie er ist."

    Gepflegter Zynismus gehört im Kreise der erlesen betuchten jungen Herren zum guten Ton. Schnell ist man sich einig, daß Wohnungen mit nur einer Toilette ein Elend seien, daß Kunst, die staatlich subventioniert wird, keine Existenzberechtigung habe und daß unsere Kultur sowieso nur noch aus Zitaten bestehe und es deshalb nicht mehr möglich sei, eine eigene Meinung zu haben - was sie jedoch nicht daran hindert, ihre Meinung über alles mögliche kundzutun - zum Beispiel über Rockmusik:

    "Diese Angst, daß alles so bleiben soll, wie es ist, wie es gut ist - das ist Rock" - "Demzufolge ist Rock ja eigentlich Kindermusik, der Kinder-Style, das ewige Kinderleben." - "Nein, genau umgekehrt. Die Entdeckung des Rock ist der Moment, in dem man zum ersten Mal ein Greis ist. Die erste Rockerfahrung ist immer die erste Greisenerfahrung eines Jugendlichen". - "Wie ja auch Mick Jagger schon in frühester Jugend so greisenhaft aussah wie jetzt." - "Das ist der satanische Spiegel - der erste Moment, in dem der Rock-Säugling seiner selbst im Spiegelbild gewahr wird; das wird dann der Mensch, der zum Rock findet." - "Er lächelt nämlich dann und sieht: Rock lächelt auch."

    Ob es um Langeweile geht, den "Hauptfeind" ihrer Generation, oder um Selbstironie als Form der kulturellen Verwahrlosung, meistens herrscht Einigkeit in der Runde. Vor allem darin, einer ästhetischen Elite anzugehören. Verwöhnte bundesrepublikanische Wohlstandserben haben die Bühne betreten und stellen fest, daß es Spaß macht, in Ledersesseln herumzulümmeln und der Öffentlichkeit ihre eigene Leere zu präsentieren:

    "Das stimmt doch nicht mit der Leere. Was willst du denn? Es ist doch immer alles da, man vergißt es nur immer wieder, wie Rainald Goetz ganz richtig gesagt hat. Verstehst du? Was willst du denn noch?" - "Eine Liste der Begehrlichkeiten will ich dir gerne liefern: Ich begehre nichts so sehr wie den Nissan President und ein Lied, von Momus komponiert, nur über mich" - "und die kleinen Kugelglasvase aus weißem Murano-Kristall mit eingeschliffenen Prismen von Hermès. Ein Haus von Rem Koolhas, für mich gebaut, in der Nähe der Zoroaster-Feuertempel von Aserbaidschan. Die Centurion Card von American Express. Lampen von Serge Mui. Den Comme-des-Garcons-Smoking. Töpfe von Le Creuset. Das Falling-Water-Haus von Frank Looyd Wright. Vielleicht Kinder."

    Manchmal wirken die Versuche einer gemeinsamen Positionierung beinahe verzweifelt. Spürt man dahinter doch den bislang versagt gebliebenen Wunsch, endlich einmal ernst genommen zu werden. Doch mehr als eine Plauderei über Banalitäten und das Fachsimpeln über Dresscodes kommt leider dabei nicht heraus. Wie sollte es auch, wenn man grundsätzlich Haltung mit Pose verwechselt und sein Selbstbewußtsein aus der Fähigkeit bezieht, mit der "richtigen" Kreditkarte auf die "richtige Weise" Kokain zu zerhacken? Was bleibt einem anderes übrig, als sich mit Lifestyle und Markenartikeln von der verachteten 08/15-Konsumentenschar abzugrenzen und selbst zu einem "Stilgott" zu erklären, wenn es keine erkennbaren gesellschaftlichen Utopien mehr gibt, die zur Sinnstiftung dienen? Königliche Langeweile - Tristesse Royale!

    "Unsere Langeweile bringt den Tod. Langsam komme ich zur Überzeugung, daß wir uns in einer ähnlichen Geistesverfassung befinden wie die jungen Briten, die im Herbst 1914 enthusiastisch die Rugby-Felder von Eton und Harrow, die Klassenzimmer von Oxford und Cambridge verließen, um lachend in den Krieg gegen Deutschland zu ziehen (...). In einer ganz ähnlichen Verfassung befindet sich unsere Generation heute. Wir werden von vorne und von hinten entertained. Die Spannung ist weg. Das geht sogar so weit, daß sich völlig gesunde und vernünftige Menschen, wie wir es sind, für Geld im Adlon einsperren lassen, um über unsere Wohlstandsverwahrlosung zu lamentieren. Wäre das hier Cambridge und nicht Berlin, und wäre es jetzt der Herbst des Jahres 1914 und nicht der Frühling des Jahres 1999, wären wir die ersten, die sich freiwillig meldeten."

    Die Provokation ist kalkuliert und die narzistische Lust an der Selbstdarstellung kommt so unverblümt daher wie in einer Nachmittagstalkrunde. Doch das Konzept scheint aufzugehen: Erregte Moralisten schreiben wütende Verrisse über Autoren, die sonst nicht der Rede wert wären. Ihre Egozentrik, ihr Snobismus und ihre marktorientierte Cleverness passen in das Bild von der neuen Mitte, die niemand so recht zu bestimmen wagt. Die Generation der sogenannten Berliner Republik hat nur eine einzige Botschaft: Die Form ist der Inhalt.