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Trittin kritisiert Steinmeiers "Deutschlandplan"

Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin hält Teile des "Deutschlandplans" des sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier für unglaubwürdig.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Ulrich Ziegler | 09.08.2009
    Ulrich Ziegler: Die SPD kann machen was sie will. Wenige Wochen vor der Bundestagswahl kommt sie aus dem Umfragetief nicht heraus. Herr Trittin, können wir rot-grün abhaken?

    Jürgen Trittin: Ich gehe davon aus, dass bei dieser Bundestagswahl beide ehemals größere Volksparteien verlieren werden. Das gilt auch für die CDU. Wir haben zurzeit eine etwas schiefe Wahrnehmung. Weil Frau Merkel sich irgendwo in Italien versteckt, ist alle Aufmerksamkeit auf die SPD gerichtet. Beide großen Parteien haben bei den Landtagswahlen unter der großen Koalition gelitten. Das ist die Situation, und deswegen glaube ich nicht, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass es am 27. September zu einer Koalition reicht, wo eine ehemals größere Partei mit einer ehemals etwas kleineren Partei alleine eine Mehrheit haben wird. Das ist jedenfalls unser erstes Wahlziel, schwarz-gelb zu verhindern.

    Ziegler: Es muss ja nicht unbedingt rot-grün sein. Horst Seehofer jedenfalls, der bayerische Ministerpräsident, traut den Liberalen nicht so richtig über den Weg. Er sagt: Eine Stimme für die FDP könnte am Ende auch in einer Ampel mit SPD und Grün landen. Hat er recht?

    Trittin: Das ist eine Frage der Einschätzung der FDP. In der Tat wird sich der FDP die Frage stellen, ob sie erneut zuschauen möchte, wie dieses Land bei den jetzigen Bedingungen dem Stillstand einer erneuten großen Koalition ausgesetzt wird, was übrigens für die FDP hieße, dann in das zwölfte Jahr der Opposition zu gehen, also zwölf Jahre nichts an FDP-Inhalten durchsetzen zu können.

    Ziegler: Also, Schnittmengen würde man möglicherweise finden zwischen gelb und grün?

    Trittin: Ich glaube, dass, wenn es gelingt, schwarz-gelb zu verhindern, auf alle Parteien ein enormer politischer Druck zukommen wird, eine Alternative zur großen Koalition zu finden. Die große Koalition war 2005 sicherlich von vielen, die SPD und CDU gewählt haben, gewollt, man hat sich davon die Lösung großer Probleme versprochen. Am Ende haben sie kaum eines der Projekte, im Guten wie im Schlechten - denken Sie an die Bahnprivatisierung, denken Sie an die Suche nach einem nuklearen Endlager, alles Dinge, die versprochen worden sind - nicht auf die Reihe bekommen. Ja, sie waren nicht einmal mehr in der Lage, sich zu entscheiden, wer die wachsende Zahl von Arbeitslosen im Lande betreuen soll, die Kommunen, der Bund oder irgendwas anderes.

    Ziegler: Bleiben wir noch mal kurz bei der Farbenlehre. Sollte es - man kann es ja nicht ausschließen - zu schwarz-gelb im Bund kommen, glauben manche, die CDU würde sich dramatisch verändern. Das sagt auch Claudia Roth, Ihre Parteifreundin. Wie kommt sie denn da drauf?

    Trittin: Wir erleben gerade, dass Frau Merkel "versteck mich" spielt. Sie möchte möglichst verheimlichen, was sie nach der Wahl will. Mit keinem Wort geht sie darauf ein, was zum Beispiel im Bereich der Energiepolitik geplant ist, sie wollen neue Kohlekraftwerke bauen, sie wollen Laufzeiten verlängern. Sie sind sehr, sehr still, was ihre verteilungspolitischen Überlegungen angeht. Wenn man sich das Steuerkonzept der Union anguckt, hieße das, 51 Milliarden Steuerentlastung für die reichere Hälfte dieses Landes. All dieses soll im Wahlkampf möglichst totgeschwiegen werden. In dem Moment, wo schwarz und gelb eine Mehrheit hätten, wäre in der Tat energiepolitisch der Rückmarsch in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts angesagt, ein Wiedereinstieg in die Atomenergie und gleichzeitig der Durchmarsch einer neoliberalen Wirtschaftspolitik. Dann würde - um es mal etwas personifiziert zu sagen - Friedrich Merz wieder aus dem Schrank geholt.

    Ziegler: Um das zu verhindern, wollen Sie in den Wahlkampf ziehen mit grüner Wirtschaftspolitik. "Der Blaumann muss grün werden" heißt es plakativ. Das heißt, Sie wollen sich vor allen Dingen als neue Wirtschaftspartei dem Wähler präsentieren?

    Trittin: Wir glauben, dass man auf diese Krisen, ich sage bewusst "Krisen" - die Ernährungskrise, Klima, globale Erwärmung, von der Finanzblase betroffene Weltwirtschaftskrise -, dass man aus diesen Krisen eine Antwort finden muss. Diese Antwort lautet in unseren Augen: Man muss stärker investieren in Klimaschutz, in mehr Bildung und in mehr soziale Gerechtigkeit. Wenn man das tut, dann ist es möglich, in den nächsten vier Jahren, also bis 2013, eine Million neue Jobs zu schaffen.

    Ziegler: Und dafür wollen Sie 20 Milliarden neue Schulden aufnehmen. Was machen Sie eigentlich, wenn das Projekt nicht aufgeht? Dann haben Sie noch einen größeren Haufen Schulden und müssen den auch noch abtragen.

    Trittin: Also erstens, wenn es stimmen würde mit den 20 Milliarden, dann wären wir die Solidesten von allen. CDU/CSU stehen mit 51 Milliarden, die FDP mit 80 Milliarden, von den Finanzbeträgen der SPD und der Linkspartei will ich an dieser Stelle gar nicht sprechen. Also dann wären wir finanzpolitisch super solide. Wenn Sie sich zum Beispiel anschauen: Unser Vorschlag, dass wir die Abgabenbelastung für Geringverdiener mindern, indem wir die Sozialversicherungsbeiträge für sie senken - die zahlen gar keine Steuern, wenn die mehr netto vom brutto haben sollen, dann muss man ihre Abgaben senken -, das kostet exakt so viel, wie die letzte Steuersenkung, die die große Koalition den Besserverdienenden in diesem Lande bescherte, nämlich sechs Milliarden. Also, es kann gegenfinanziert werden. Wir sind auch der Auffassung, dass man beispielsweise im Bereich der familienpolitischen Leistungen diese gegenfinanziert durch eine entsprechende Umorganisation - ein Abschmelzen des Ehegatten-Splittings. Und schließlich glauben wir, dass es nicht falsch ist, denjenigen, die sehr viel Geld verdienen, weit über dem Durchschnitt verdienen, einen Spitzensteuersatz von 45 statt 42 Prozent zuzumuten.

    Ziegler: Bleiben wir noch mal bei den künftigen Arbeitsplätzen, die Sie sich vorstellen. Wo soll denn da der Schwerpunkt liegen? Beispielsweise hat Frank Walter Steinmeier gesagt, der Staat könnte ja auch ökologisch bewusst einkaufen, bei den Unternehmen Elektroautos bestellen, insofern ziemlich Druck auf die Industrie machen, damit genau die Produkte hergestellt werden, die vielleicht nachhaltig und ökologisch sind. Ist das eine Richtung, wo Sie mitziehen würden?

    Trittin: Die SPD hat den Markt für Elektroautos gerade kaputt gemacht. Das Instrument, mit dem sie diesen Markt kaputt gemacht hat, lautet "Abwrackprämie". Wenn man heute fünf Milliarden dazu in die Hand nimmt, um Menschen dazu zu bringen, sich ein Auto mit alter Technologie zu kaufen, dann werden diese Leute in den nächsten fünf bis zehn Jahren sich kein neues Auto kaufen, also kein Elektroauto. Man muss sich das klarmachen, die SPD und die CDU haben eine Abwrackprämie gemacht, die - anders als in Frankreich, anders als in den USA - keinerlei ökologische Kriterien haben. Das Ergebnis ist: Das Geld, mit dem die Elektromobile von morgen gekauft werden konnten, ist gerade ausgegeben worden von den Bürgerinnen und Bürgern - angestiftet durch die große Koalition - für alte Technologie. Genau so geht ökologische Modernisierung, geht die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Automobilindustrie nicht. Richtig wäre es, zu sagen: Einen solchen Zuschuss nur dafür, wenn man ein Hybridfahrzeug oder ein reines Elektrofahrzeug kauft.

    Ziegler: Dann ist ja auch relativ viel Geld in die Rettung der Banken reingeflossen in den letzten Monaten. Jetzt sagen Sie, um die Banken und Unternehmen retten zu können, müssen eigentlich die Reichen noch mal richtig zur Kasse gebeten werden, die Millionäre hierzulande. Wie hoch wäre denn die Sonderabgabe, die Sie sich da vorstellen?

    Trittin: Also erstens: Die Reichen in diesem Lande werden nicht noch mal zur Kasse gebeten. Es ist eher anderes rum. Wir haben in den letzten Jahren einen Prozess erlebt, in dem sich die Vermögensverteilung in diesem Lande immer ungleicher entwickelt hat. Diejenigen, die über den Aufbau dieser Spekulationsblase große Vermögen angehäuft haben, diese müssen auch dafür gerade stehen, mit den Folgen dieser Spekulationsblase fertig zu werden.

    Ziegler: Aber es haben ja nicht alle an der Spekulationsblase verdient. Es gibt doch auch ganz normale reiche Menschen, die da nicht mitgespielt haben.

    Trittin: Es mag den einen oder anderen geben, der das nicht hat. Aber Tatsache bleibt: Kaum jemand ist reich dadurch geworden, dass er sein Geld aufs Sparbuch gepackt hat, sondern natürlich an den entsprechenden Finanzmärkten sich beteiligt hat. Wir sagen, dass jene 800.000 Menschen, die in diesem Lande als Person mehr als eine Million Euro verdienen, dass diejenigen über eine zweckgebundene Abgabe an der Bewältigung der Folgen der Finanzkrise, mir der wir zur Zeit mit 600 Milliarden im Risiko stehen - ich will gar nicht behaupten, dass die alle eintreten - 500 Milliarden Bankenrettungsfonds, 100 Milliarden Deutschlandfonds, das muss gar nicht sein. Aber das Risiko hat diesen Umfang. Und dass in dem Moment, wo dieses Risiko fällig wird, diejenigen, die damit gar nichts zu tun haben - aber wirklich Null Komma Null -, weil sie gar nicht die Liquidität hatten, dort zu investieren, dass die nun zu hundert Prozent den Schaden tragen und für die Folgen aufkommen müssen, das nennt man umgangssprachlich: Gewinne privatisieren und die Verluste dann zu sozialisieren - das kann nicht sein. Es muss zweckgebunden geschehen, es muss zeitlich begrenzt geschehen, es soll auch keine Dauerveranstaltung sein, denn wir sind der Auffassung, dass wir langfristig für Finanzprodukte zu einer Art Umsatzsteuer kommen müssen. Es ist doch absurd, dass ich auf jedes Brot, was ich kaufe, sieben Prozent Mehrwertsteuer zu bezahlen habe, während, wenn ich mit Aktien, Bons und Derivaten handle, nichts dergleichen fällig wird. Das hieße für künftige Krisen, über eine solche Finanz-Umsatzsteuer tatsächlich die Mittel zu generieren, dass man dann solche Fonds auch tatsächlich bedienen kann.

    Ziegler: Auch bei im Bildungsbereich fordern Sie eine Vermögensabgabe - befristet und einmalig -, damit man im Bereich Bildung stärker investieren kann?

    Trittin: Nun, erstens: Es findet in Deutschland zurzeit eine Umverteilung statt von denen, die wenig haben - hin zu denen, die viel haben. Wenn man das ein bisschen mildert ist man kein Umverteilungspolitiker, sondern man mindert die Umverteilung, die real an dieser Stelle sich durch die ungleichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse vollziehen. Zweitens: Für den Bereich der Bildungspolitik keine Abgabe, sondern wir wollen die Umwandlung des Solidaritätsbeitrages, den jeder bezahlt, in folgender Form: Die eine Hälfte soll für das genutzt werden, für das es ursprünglich mal gedacht war, nämlich: Die finanzielle Leistungsfähigkeit von schwachen Ländern durch Schuldenabbau entsprechend zu stärken, weil diese Länder bis 2020 schuldenfrei werden müssen. Das kann nicht beim Bundesfinanzminister bleiben. Die andere Hälfte soll in der Tat zweckgebunden in die Bildung gehen, damit jedes Kind einen Platz in einer Kinderbetreuungseinrichtung hat, dass jeder Schüler und jede Schülerin in einer Ganztagsschule unterrichtet werden kann, und dass jede und jeder, die die Befähigung zu Studien hat, auch tatsächlich einen Studienplatz angeboten bekommt. Das hieße übrigens unter'm Strich, über 180.000 neue Arbeitsplätze in den nächsten vier Jahren zu schaffen.

    Ziegler: Ist das nicht alles ein bisschen kompliziert? Könnte man nicht einfach auch sagen, wir erhöhen den Spitzensteuersatz? Damit haben wir eine klare ordnungspolitische Vorgabe. Die ist nachhaltig, die wird dauern und damit können wir diese anderen Nebenspielplätze irgendwann abräumen.

    Trittin: Sie müssen sich über die Dinge in der Situation über die Dimensionen im Klaren sein. Wir reden bei der Frage der Umwidmung des Bildungssoli von Investitionen von jährlich 19 Milliarden Euro. Da sind Sie mit jeglicher Form des Spitzensteuersatzes weit, weit entfernt, was Sie damit erreichen können.

    Ziegler: Herr Trittin, eine große Baustelle ist auch diese nicht geklärte Gesundheitspolitik. Es gab die Diskussion über die Kopfpauschale, die Bürgerversicherung. Sie sagen jetzt Praxisgebühren, Zuzahlung von Medikamenten, Eigenbeteiligung bei der gesetzlichen Krankenversicherung, die müssen abgeschafft werden. Rettet alleine eine Bürgerversicherung das Finanzsystem oder haben Sie am Schluss doch wieder das Problem, dass Sie mit einer Kostenexplosion rechnen müssen?

    Trittin: Auch da gilt, was Beitragsexplosion bei Leistungsminderung angeht, da sind Ulla Schmidt und die große Koalition die Spezialisten. Sie haben zum Jahresanfang für uns gesetzlich Versicherte die Beiträge drastisch erhöht. Jetzt haben sie die Hälfte der Erhöhung wieder zurück genommen, dafür zehn Milliarden Steuergelder in die Hand genommen. Wenn man hinguckt, wo diese zehn Milliarden gelandet sind - von zehn Milliarden sind alleine vier Milliarden in Einkommenserhöhungen für Ärzte geflossen, zwischen acht bis zehn Prozent. Sie müssen mir mal den Arbeitnehmer zeigen, der in der jetzigen Krisensituation solche Einkommenssteigerungen auf seiner Seite haben würde. Das ist eine Form, wo ich in der Tat sage, hier wird mit dem Geld der Steuerzahler und der Beitragszahler in einer Weise umgegangen, die schlicht unverantwortlich ist. Was wir wollen ist in der Tat, die Krankenversicherung auf eine breitere Basis zu stellen. Bürgerversicherung heißt, das nicht diejenigen, die ein hohes Einkommen haben, aber aufgrund ihrer Arbeitsverhältnisse ein sehr viel geringeres Krankheitsrisiko am Ende des Tages sich in die private Krankenversicherung fliehen können, geringere Beiträge zahlen als Menschen, die ein geringeres Einkommen haben. Und damit verbreitert sich auch die Finanzierungsgrundlage für die gesetzlichen Krankenkassen. Übrigens, die sogenannte Praxisgebühr war nicht gedacht als eine Form der Finanzierung, sondern sie sollte entsprechend lenkend wirken, was die Besuche von Ärzten und ähnlichem angeht. Diese Funktion hat die Praxisgebühr nicht erfüllt. Wenn etwas, was man mit einer speziellen Begründung eingeführt hat, nicht wirkt, dann ist es an der Zeit zu sagen, okay, dann wird diese Maßnahme zurück genommen.

    Ziegler: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Jürgen Trittin, dem Spitzenkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen. Herr Trittin, Stichwort Gorleben, ein Dauerthema. Weder Rot-Grün noch Schwarz-Rot haben in den vergangenen neun Jahren das Moratorium für die weitere Endlagersuche genutzt. Haben Sie eigentlich damals, als Sie noch Umweltminister waren, zu wenig Druck gemacht?

    Trittin: Nein, überhaupt nicht. Ich habe das Moratorium verhängt.

    Ziegler: Aber danach ist nichts passiert.

    Trittin: Auch das ist nicht richtig. Wir haben dann einen internationale Kommission dran gesetzt, die sich über die Kriterien für eine sichere Endlagerung sehr viele Gedanken gemacht haben, die einen solchen Kriterienkatalog erarbeitet hat und die ein Verfahren erarbeitet hat. 2005 hat das Umweltministerium einen Gesetzentwurf vorgelegt nach einem Standortauswahlverfahren, basierend auf den Empfehlungen dieser Kommission. Dieser Gesetzentwurf ist wegen der vorgezogenen Neuwahlen nicht mehr behandelt worden. Daraufhin hat die große Koalition mit großem Augenaufschlag erklärt, sie wolle in dieser Legislaturperiode ein solches Auswahlverfahren durchführen. Das ist eines der Versprechen, die die einfach schnöde gebrochen haben. Wir rechnen heute mit 4500 Tonnen hochradioaktiven Mülls, der in der Zeit von 32 Jahren Laufzeit anfallen würde. Diejenigen, die diese Menge erhöhen würden, wehren sich mit Händen und Füßen dagegen, dass wir eine sichere Lösung für die Endlager haben. Sie blockieren ein solches Endlagerauswahlverfahren. An diesem Punkt hat sich der Umweltminister Gabriel innerhalb der großen Koalition die Zähne ausgebissen. Aber ich muss hinzufügen, CDU und CSU haben es unterschrieben, dass sie diese Frage in dieser Legislaturperiode endlich einer Lösung zuführen. Sie haben es nicht getan. Stattdessen wollen sie die Menge des Mülls weiter erhöhen. Und man kann auch nicht Atommüll produzieren, sich auf einen möglicherweise hoch problematischen Standpunkt festlegen - das ist Gorleben, das Modell für Gorleben war die Asse, die säuft gerade in radioaktiver Lauge ab - und am Ende des Tages in der gleichen Situation stehen wie die USA, die mittlerweile mit Laufzeiten von 60 Jahren kein Atommülllager haben, weil das einzige, auf das sie sich konzentriert haben, ihnen von einem Gericht schlicht und ergreifend weggehauen worden ist. Das erste, wenn ich eine so schwierige Situation habe, ist ganz einfach: Ich höre auf Müll zu produzieren, wenn ich nicht weiß, wohin mit dem Müll. Und deswegen ist diese Bundestagswahl eine Auseinandersetzung auch und gerade über die Frage, wollen wir durch eine Laufzeitverlängerung den Ausbau neuer Energien weiter blockieren und mehr Atommüll produzieren, ja oder nein? Einer der Gründe, warum wir sagen, Schwarz-Gelb muss verhindert werden. Schwarz-Gelb sind nicht umsonst die Warnfarben vor Radioaktivität, das droht dann nämlich Deutschland, mehr Radioaktivität.

    Ziegler: Jetzt wären viele Verbraucher ja schon froh, wenn endlich die Strom- und Gaspreise fallen würden. Muss man denn die vier großen Energieversorger zum Verkauf ihrer Netze zwingen, damit endlich hier Wettbewerb stattfinden kann?

    Trittin: Wir brauchen eine europäische Regulierung. Wir müssen in der Energiepolitik von den nationalen Monopolen im Gas- wie im Stromsektor weg. Wir brauchen deswegen europäische Netze. Und was wir brauchen sind Netze, die dem Gemeinwohl verpflichtet sind. Wir brauchen nicht nur eine Liberalisierung auf der Anbieterseite, nicht nur eine Heraustrennung der Netze aus dem Energieversorgungsunternehmen, sondern ein zumindest mehrheitlich staatliches Eigentum an diesen Netzen. Niemand würde übrigens auf die Idee kommen, das komplette Autobahnnetz von VW betreiben zu lassen. Das ist aber die Situation im Energiesektor.

    Ziegler: Nach der Bundestagswahl - ganz egal, wie es ausgehen wird - gibt es ein großes Ereignis, das ist das Treffen in Kopenhagen. Das Nachfolgeabkommen zu Kyoto steht auf dem Programm. Die CO2-Emissionen sollen deutlich gesenkt werden, da sind sich alle einig. Die Europäer haben ehrgeizige Ziele. Aber die Frage stellt sich, werden die Europäer dies auch, was sie angekündigt haben, einhalten können?

    Trittin: Die Europäer sind unter deutscher Führung von einem Vorreiter beim Klimaschutz zu einem Bremser geworden. Es war Deutschland, das in Europa durchgesetzt hat, dass Verbrauchsobergrenzen von Autos noch weniger ambitioniert ausfallen, als selbst die Automobilindustrie in einer freiwilligen Selbstverpflichtung vorgeschlagen hat. Es war Deutschland, das in Europa durchgesetzt hat, dass fast die gesamte Industrie außerhalb der Energiewirtschaft beim Klimaschutz, beim Emissionshandel, ausgenommen wird. Das sind sehr, sehr schlechte Signale für Kopenhagen, denn auf diese schlechten Beispiele aus Deutschland, aus Europa berufen sich heute die Gegner von Präsident Obama in den USA. Für die Frage, ob es in Kopenhagen ein Ergebnis geben wird, ob es gelingt, die USA, Länder wie China und Indien dazu zu bringen, aktiv in den Prozess des Senkens der Treibhausgase einzutreten, ist die Frage, ob es gelingt, im US-Senat ein Gesetz zur Reduzierung der Treibhausgase durchzubringen, von entscheidender Bedeutung. Dafür hat Frau Merkel, hat Herr Gabriel gerade eine erhebliche Hürde aufgebaut, indem sie in Europa das, was klimapolitisch möglich und nötig gewesen war, blockiert haben. Europa ist heute zu einer Bremse beim Klimaschutz geworden. Das führt dazu, dass wir akut in der Situation sind, dass fraglich ist, ob die USA zu einem solchen Gesetz kommen werden.

    Ziegler: Es gibt innerhalb Europas den Handel mit Emissionszertifikaten. Jetzt sagen mehrere Umweltorganisationen, die sind mittlerweile so billig geworden, das macht überhaupt gar keinen Sinn mehr, damit zu handeln.

    Trittin: Das ist keine Frage gegen den Zertifikatehandel, sondern eine Frage der zugeteilten Menge. Dadurch, dass ich der gesamten Industrie die Zertifikate auf dem Stand der Technik der Vergangenheit einfach zuteile, habe ich zu viele Zertifikate auf dem Markt. Und das ist das, was Frau Merkel zu verantworten hat. Deswegen sagen wir, Komplettversteigerung der Zertifikate, nicht Abschied vom Emissionshandel, sondern einen solchen Emissionshandel endlich ernst zu nehmen und dazu zu machen, was er ist, nämlich mit sehr knappen Mengen und nach dem Prinzip der Versteigerung dafür zu sorgen, dass es einen permanenten Druck auf Unternehmen gibt, tatsächlich modernste Technik einzusetzen.

    Ziegler: Herr Trittin, Sie haben vor wenigen Tagen bei der DGAP, der deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik, eine außenpolitische Grundsatzrede gehalten und sich auch zu Afghanistan geäußert: Mehr militärische Einsätze - weniger Aufbauhilfe. Ist das die Losung der Zukunft?

    Trittin: Im Gegenteil. Die USA haben gerade in Afghanistan eine sehr, sehr breite Wende ihrer Afghanistanpolitik eingeleitet mit einer anderen militärischen Strategie, mit einer massiven Aufstockung der zivilen Hilfe. Und wenn es etwas gibt, was man den Deutschen in Afghanistan wirklich nachdrücklich vorhalten muss, ist nicht fehlendes militärisches Engagement. Das, was Deutschland zu verantworten hat, ist, dass die zivile Hilfe zu gering ist, nach wie vor deutlich unter dem Erforderlichen, was wir in Afghanistan bräuchten. Wir müssten faktisch eine Verdoppelung der Aufbauhilfe hinbekommen. Und vor allen Dingen versäumt Deutschland seine eigenen Zusagen beim Aufbau der Polizei. Wir bräuchten heute rund 2000 Polizeibeamte aus Europa, die an dieser Stelle den Aufbau ziviler Polizeistrukturen und damit ziviler Sicherheitsstrukturen auf den Weg bringen. Das hieße, ungefähr 400-500 aus der Bundesrepublik Deutschland. Davon sind wir meilenweit entfernt, obwohl wir all dieses als Bundesrepublik Deutschland zugesagt haben. Und das muss als Allererstes angegangen werden.

    Ziegler: Aber Fakt ist doch auch, dass sich die Sicherheitslage im Norden deutlich verschlechtert hat und insofern auch militärisch interveniert werden muss.

    Trittin: Die Sicherheitslage hat sich in bestimmten Bereichen verändert. Darauf ist Deutschland eingestellt. Das ist alles nicht das Hauptproblem. Die Auseinandersetzung, ob das UN-Mandat zur Stabilisierung einer afghanischen Regierung einen Erfolg haben wird, hängt nach aller Erkenntnis, die wir haben, davon ab, ob es endlich gelingt, die Zusagen, was die zivile Hilfe und was die Polizeihilfe angeht, zeitnah am Boden anzubringen. Diese Frage wird nicht militärisch entschieden, sondern in diesen Feldern.

    Ziegler: Trotzdem machen sich Länder wie Kanada, Niederlande, aber auch der britische Premier Gordon Brown Gedanken darüber, ob sie tatsächlich Ihre Truppenkontingente noch lange in Afghanistan behalten wollen oder mittelfristig auch zurückziehen.

    Trittin: Mittelfristig wird niemand eine Dauerpräsenz in Afghanistan haben ...

    Ziegler: … man redet über zwei Jahre ...

    Trittin: ... und es gibt eine ganze Reihe von Beschlüssen des kanadischen Parlamentes, des niederländischen Parlamentes, dies zu tun. Deutschland hat übrigens da noch einen knapperen Zeitpunkt. Deutschland verlängert Mandate jeweils nur für ein Jahr. Was wir in Afghanistan brauchen ist nicht ein rein militärisches Mandat. Darüber, wo der Bundestag künftig entscheiden muss, muss ein integriertes Mandat sein. Das ist die Situation. Insofern unterscheiden wir uns nicht groß von dem, was in anderen Ländern geschieht.

    Ziegler: Trotzdem braucht man eine Zeitperspektive. Sie können das nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben.

    Trittin: Das ist richtig. Wir brauchen zeitgebundene Ziele, die sagen, wir wollen bis zu diesem Zeitpunkt genau dieses und jenes erreicht haben. Das ist das, was wir von der Bundesregierung erwarten, diese konkret vorzulegen

    Ziegler: Und was haben Sie für Vorstellungen, was das Zeitfenster betrifft?

    Trittin: Sie werden die konkreten Aufbauziele mit konkreten Zeitzeilen kombinieren müssen. Das ist das, was wir von künftigen Mandaten für eine solche Situation erwarten.

    Ziegler: Herr Trittin, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

    Trittin: Ich danke Ihnen.