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Triumph der erzählenden Geschichtsdarstellung

Vor acht Jahren machte sich ein Verlagshaus mit Sitz im chinesischen Schanghai auf die Suche nach einem Buch, das den Chinesen einen möglichst guten Blick auf die Geschichte Deutschlands ermöglichen sollte. Der Verlag entschied sich schließlich für das Werk "Deutsche Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert" von Golo Mann. Im Verlag S. Fischer ist nun eine Biographie von Mann erschienen. Zeitgleich mit einer Sammlung von Essays und Erzählungen.

Von Hans-Joachim Föller | 06.04.2009
    Am 27. März 2009 wäre Gottfried Angelus Mann, genannt Golo, hundert Jahre alt geworden. Zu diesem Datum hat der Historiker und Journalist Tilmann Lahme über einen der populärsten und mit mehr als zwei Millionen verkauften Büchern erfolgreichsten Verfasser geschichtlicher Werke der Bundesrepublik eine Biographie verfasst. Das lesenswerte und lesbare Buch ist aus einer Dissertation hervorgegangen. Um dieses fast das gesamte 20. Jahrhundert umfassende Leben auszuleuchten, hat Autor Lahme umfangreiche Quellenstudien betrieben. Unter anderem wertet er bislang unveröffentlichte Tagebücher und Briefe aus. Zunächst zu den Anfängen. Das Elternhaus war für Golo Mann und seine fünf Geschwister Begünstigung und Belastung zugleich. Ab 1914 wohnten Thomas Mann und die Seinen in einer Villa in München in der Poschinger Straße. Zur Sommerfrische weilte die Familie in Bad Tölz in ihrem Landhaus.

    Eine großbürgerliche Welt mit Komfort und Bediensteten nach außen hin. Welchem Gewerbe der Vater in seinem Arbeitszimmer nachging, erfuhren die Kinder erst, als sie größer waren. Vorher nur dies: Das zentrale Gebot des Hauses lautete: Ruhe. Der Arbeitsfriede das Vaters war "heilig", ihn zu stören, wurde scharf geahndet.
    Der Schatten Thomas Manns legt sich von Anbeginn auf das Leben seiner sechs Kinder. Und keines war dazu fähig, sich ganz von diesem Einfluss zu befreien. Noch am ehesten gelang dies Golo. Doch ging er da schon auf die Fünfzig zu und der Vater, er starb 1955, war bereits tot. Erst danach schrieb Sohn Golo seine großen Werke. Das Buch über die deutsche Geschichte und sein Hauptwerk, die monumentale Biographie des böhmischen Adeligen und Feldherrn "Wallenstein", das große öffentliche Beachtung fand und ein Bestseller wurde. Zu den prägenden Jugenderfahrungen gehörte der Besuch des bekannten Internats Salem am Bodensee. Für ihn war es auch eine Befreiung von der ungeduldigen und schon mal prügelnden Mutter. Das anschließende Studium von Philosophie, Soziologie und Geschichte schloss er in Heidelberg mit einer Dissertation bei Karl Jaspers ab. Wenig später folgte das Exil: erst Prag, dann Frankreich. Die Eltern waren schon dort und hatten sich in Sanary-sur-Mer eingerichtet. Golo Mann wurde Lehrer an der berühmten "École Normale Supérieure" in der Nähe von Paris, dann Lektor für deutsche Sprache an der Universität Rennes in der Bretagne. Nachdem er von 1936 bis 1940 wieder bei den Eltern in Zürich gewohnt hatte, wo er sich Studien zu einer Biographie von Friedrich Gentz widmete, ging er als Kriegsfreiwilliger nach Frankreich. Für das Land, dem er sich verbunden fühlte, wollte er kämpfen. Die Franzosen internierten ihn jedoch im Süden. Im September 1940 folgten Entlassung und Flucht in die Vereinigten Staaten, wo er wieder als Dozent arbeitete. Die Rückkehr nach Deutschland führte über Zwischenstationen nach Stuttgart, wo er einen Lehrstuhl für Politikwissenschaft inne hatte. Fast hätte er auch einen Ruf an die Universität Frankfurt erhalten. Den haben jedoch zwei Ikonen bundesdeutscher Aufklärung verhindert.
    Die vielleicht erbittertste Feindschaft im Leben Golo Manns verband ihn mit Theodor Adorno und Max Horkheimer. In einem Fernsehinterview mit Gero von Boehm, kurz vor Manns achtzigstem Geburtstag im Januar 1989 gesendet, bezeichnete er die beiden Begründer der 'Kritischen Theorie' der Frankfurter Schule als "Lumpen" und fügte hinzu, er wisse, was er sage.
    Der sich daraufhin entzündende publizistische Streit gipfelte in einer Protestliste, auf der so bekannte Namen standen wie: Jürgen Habermas, Niklas Luhmann, Alexander Kluge und Norbert Elias. Golo Mann seinerseits rechtfertigte sich in der FAZ. Lahme rekonstruiert diese Auseinandersetzung akribisch. Danach hatten Adorno und Horkheimer Manns Ruf nach Frankfurt zweimal durch Interventionen beim Hessischen Kultusminister verhindert - durch den Hinweis auf dessen vor der Öffentlichkeit stets verborgene Homosexualität, und den perfiden Vorwurf, Mann, der nach den Nürnberger Rassegesetzen als "Halbjude" Geltende, sei ein "heimlicher Antisemit". In der Jugend hegte Mann deutliche Sympathien für sozialistische Ideen und wurde noch in der Frühzeit der Bundesrepublik der Linken zugeordnet. Mutig hatte er sich für die neue Ostpolitik Willy Brandts eingesetzt und frühzeitig für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze plädiert. Solche und andere zum Teil unveröffentlichte Texte hat Tilmann Lahme als Herausgeber eines weiteren Bandes mit dem Titel: "Man muss über sich selbst schreiben" publiziert. Zur damals noch hochemotional beladenen Frage der deutschen Ostgebiete schrieb Mann 1964:

    Wenn die deutsch-polnische Grenze einmal das bedeutet, was die deutsch-österreichische oder deutsch-holländische Grenze heute bedeutet, dann hat die Frage, wo diese Grenze verläuft, ihre Tragik verloren. Politik muss Ziele verfolgen, von denen, wenn sie auch schwer zu erreichen sind, doch immerhin gezeigt werden kann, dass und wie sie zu erreichen sind. Ansprüche anzumelden, sich in Ansprüche zu verbeißen, zu deren Erfüllung überhaupt kein Weg führt, ist verantwortungslos.
    Damit machte er sich damals in konservativen Kreisen keine Freunde. Negative Erfahrungen mit der Studentenbewegung und vor allem der Terror der RAF förderten später eine Annäherung an die Union. Und im Bundestagswahlkampf 1980 engagierte er sich schließlich für den Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß. Das hat ihm das linksliberale Milieu bis heute nicht vergeben. Tilmann Lahme hat mit seinen Büchern diesen bedeutenden Intellektuellen und hervorragenden Stilisten der deutschen Sprache aus dem beginnenden Vergessen ins Licht der Öffentlichkeit zurückgeholt und mit seiner Biographie Maßstäbe gesetzt.

    Golo Mann - so hat Tilman Lahme seine Biographie betitelt. 551 Seiten für 24,95 Euro. Das Buch ist bei S. Fischer erschienen, genauso wie der zweite Titel: Golo Mann: "Man muss über sich selbst schreiben" - Erzählungen, Familienportraits, Essays. Herausgegeben vom Verfasser die Biographie, Tilman Lahme. Der Sammelband hat 275 Seiten und kostet 19 Euro 95.