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Tromso - Metropole im Eismeer

Tromso ist eine pulsierende Metropole am Rande der bewohnbaren Welt. 400 Kilometer nördlich des Polarkreises liegt die Stadt wie eine Insel im Eismeer. Als "Pforte zum Eismeer" begründete Tromso früh seinen guten Ruf als blühendes Handelszentrum. Heute ist die Metropole ein Zentrum der Gelehrsamkeit. Wissenschaftler aus aller Welt erforschen hier die Folgen des Klimawandels für Flora und Fauna der Arktis.

Von Alexander Budde |
    Tromso lässt den Winter leuchten: 10.000 Studenten bevölkern die nördlichste Universitätsstadt der Welt und machen die Nacht zum Tage. Die Literatur-Studentin Katinka sitzt im angesagten Club "Driv" auf einer Sofaecke unter mächtigen Holzbalken, den Laptop auf den Knien, das Bierglas vor der Nase.

    "Mich hat es aus Kristiansand in Südnorwegen hierher in die Arktis verschlagen. Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich da einlasse. Tromso, das war weit weg im Norden: Nordlicht und Finsternis. Das hat mich fasziniert. Und es gefällt mir, denn für junge Leute ist hier oben erstaunlich viel los: Es gibt Ausstellungen und Konzerte. Und Kneipen wie diese, wo ich lesen und an meiner Seminararbeit schreiben kann."

    Als die Universität in den siebziger Jahren gegründet wurde, hielten viele Wissenschaftler das damals noch für eine Schnapsidee. Doch die Einrichtung war ein Erfolg. Institutionen wie die Fischereihochschule und der Schwerpunkt Telemedizin an der Medizinischen Fakultät machten die Stadt zu einem Zentrum der Polarregion. Vom Polarinstitut, einem modernen Glasbau am Hafen, brechen Forscher zu ihren Expeditionen in die auftauende Arktis auf.

    Ihre Vorliebe für treibende Eisschollen teilen die Gelehrten mit fünf munteren Bartrobben, die im "Polaria"-Museum gerade eine Meute von Kleinkindern in ihren Bann ziehen. Espen Refter kümmert sich liebevoll um seine molligen Schützlinge, die von der Insel Spitzbergen stammen.

    "Bartrobben sind sehr verschmust und viel ruhiger als andere Robbenarten, nicht so ausgeprägte Jäger. Aber es sind auch sehr starke Persönlichkeiten. Für uns sind diese Tiere die besten Botschafter der Arktis. Und die Kinder können sie hier ganz aus der Nähe erleben."

    Der Kindergarten aus dem Nachbarort zieht weiter durchs Aquarium.
    Muscheln, Mollusken, Krebse und anderes Seegetier gibt es zu bestaunen.
    Ein Lachs wird gesichtet und die mächtige Königskrabbe - ein Monster aus der Barentssee.

    Als "Pforte zum Eismeer" begründete Tromso früh seinen guten Ruf als blühendes Handelszentrum. Die Stadtrechte reichen bis ins späte 18. Jahrhundert zurück.
    Im Hafen stapelten sich Robbenfelle, Fässer mit Tran und die Harpunen der Walfänger. Tromso machte Schlagzeilen mit legendären Polarexpeditionen ins ewige Eis. Fritjof Nansen, Roald Amundsen, Thor Heyerdahl: Die Ahnengalerie norwegischer Abenteurer und Entdecker kann sich sehen lassen, weiß der Historiker Torbjörn Trulssen:

    "Norwegen ist erst seit 100 Jahren selbständig. 1905 lösten wir uns von Schweden und setzten auf unseren eigenen König. Für die junge Nation war es von größter Bedeutung, sich mit der Eroberung der Polargebiete einen Namen zu machen. Allerdings setzten die Leute damals noch ihr Leben aufs Spiel. Die wussten nie, ob sie zurückkommen würden, brachen in gewisser Weise alle Brücken hinter sich ab."
    Die alte Zollstation am Hafen birgt heute das üppig dekorierte Polarmuseum.
    Alte Petroleumlampen und Navigationsinstrumente, verblichene Fotos und ausgestopfte Eisbären künden von ausgedehnten Jagdzügen auf die Pelztiere der Arktis.

    "Dies hier ist die einzige erhaltene Jagdhütte von der Insel Spitzbergen. Hier sehen wir, wie spartanisch die Einrichtung war: zwei Schlafkojen, ein paar Schemel. Die Hütte wurde aus Treibholz gezimmert. In der Mitte ein großer Ofen, ohne den konnten sie bei 30 oder 40 Grad minus im Winter nicht überleben. Auch die Eisbären waren eine ständige Gefahr."

    Viele Exponate erinnern an den tragischen Helden der Stadt: Roald Amundsen war der erste Mensch, der den Südpol erreichte. Im Juni 1928 brach er in Tromso zu einer Rettungsaktion für den Italiener Umberto Nobile in die Arktis auf.
    Der Erzrivale kam am Ende mit dem Leben davon, doch Amundsen blieb verschollen. Vor einigen Jahren tauchten Überreste seines Flugboots in der Barentssee auf.

    Draußen im Hafen schiebt sich die Fähre "Finnmark" an die Kaimauer.
    Ihre Passagiere reisen bequemer als die Pioniere von einst. Die Hurtigrute ist bis heute die Nabelschnur der abgelegenen Küstenstädte. Auf ihrer Fahrt zum Nordkap wagen frierende Besucher den Landgang, rutschen über die spiegelglatte Storgatan und steuern auf eines der empfohlenen Fischlokale zu.

    In ihrem Gourmetrestaurant "Emma´s Drømmekjøkken" kredenzt Anne Brit Andreassen für die Weitgereisten geräucherten Wal, Kabeljau-Zungen und Königskrabben. Und natürlich "mölje". Der gekochte Kabeljau mit Leber und Rogen ist die unangefochtene Leibspeise der Wikinger-Nachfahren.

    "Die Fangsaison für den "Skrej" läuft von Januar bis März. Die Fische werden zwei bis drei Wochen zum Trocknen in den Wind gehangen. Und vor dem Dünsten nehmen sie eine Nacht lang ein Wasserbad."

    Im Sommer lockt Tromso mit seinem Filmfestival und nächtlichen Konzerten in der berühmten Eismeerkathedrale, die mit ihren spitzen Giebeln an Felsen und Gletscherspalten erinnert.

    Doch im Winter erfüllt weit gereiste Besucher wie Nigel Jordan eine andere Sehnsucht: Dick eingemummelt, Polarponcho am Leib, Fellmütze über den Ohren nimmt er auf dem mit einem flauschigen Rentierfell gepolsterten Hundeschlitten Platz. Der Unternehmensberater aus London will zu später Stunde mit einem Rudel Huskys in die eisige Wildnis der kvalöja aufbrechen. In klaren Nächten hat man auf der "Walinsel" besonders gute Aussichten, den rätselhaften Schleiertanz eines Nordlichts zu erleben.

    "Es ist furchtbar kalt und ich bin das erste Mal in der Tundra unterwegs. Man hat mir gesagt: "Fang bloß keinen Streit mit dem Leithund an". Das werde ich wohl beherzigen. Sonst darf ich den Schlitten am Ende noch selber ziehen."

    Zehn aufgeregte Schlittenhunde hat Nadja aus Deutschland angespannt. Und die können kaum erwarten, dass es endlich losgeht.

    "Unsere Leithunde sind Elf und Fant. Ein Weibchen und ein Männchen. Die wollen zusammen laufen. Einen guten Leithund macht aus, dass er sehr intelligent ist, dass er den Respekt der anderen Hunde genießt. Er muss den Weg auch finden, wenn es dunkel ist und wenn wir Schneesturm haben und ich nichts mehr sehen kann."

    Während Nadja und Nigel nach dem Nordlicht suchen, erzählt Olaf Storö in der kleinen Kunstgalerie von Tromso von eigenen Stippvisiten in einer sich dramatisch wandelnden Welt. Der Maler und Musiker aus dem Süden Norwegens hat sich das arktische Archipel Spitzbergen für seine künstlerischen Streifzüge ausgesucht.

    Einen Großteil des Jahres verbringt er in seinem Atelier in Longerbyen, der winzigen Hauptstadt der Inseln. Auf seinen Bildern leuchtet das blaue Licht der Arktis. Winzige Gestalten stolpern durch die eisige Ödnis. Die Konturen lösen sich auf.

    "In der Arktis ist der Mensch ganz klein. Du musst die Demut lernen. Wir haben vier Monate Mitternachtssonne, aber auch vier Monate Finsternis. Im Dunkeln ziehst Du Dich in Deine eigene Seele zurück. Da ist ein Gedanke, der immer klarer wird. Das ist vielleicht schwer zu verstehen, aber für mich ist es absolut logisch."
    Dem Künstler aus der Wildnis kommt ein Lied in den Sinn: Es geht um Einsamkeit an kalten Küsten und um den Aufbruch in eine neue Zeit. Und das, schmunzelt Storö, sei doch eine ganz gute Beschreibung für das Lebensgefühl am Ende der Welt.