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Tropfen ohne Spritzer

Physik. - Warum eigentlich zerplatzen Tropfen beim Aufprall in Unmengen kleiner Spritzer? Physiker der Universität Chicago gingen diesem Phänomen jetzt mit wissenschaftlicher Akribie auf den Grund und fanden heraus: Im Vakuum zerplatzt der Tropfen gar nicht, die Luft ist also schuld.

Von Frank Grotelüschen |
    Graue Locken bis auf die Schulter, dazu der Schnauzbart und die funkelnden Augen hinter der Brille. Sidney Nagel von der Universität Chicago könnte glatt in Hollywood Karriere machen - in der Rolle des Bilderbuch-Professors mit den genialen Geistesblitzen und dem leichtem Spleen. Und ein wenig spleenig wirkt es in der Tat, was Nagel in seinem Labor so treibt.

    " Wir haben lange untersucht, wie sich ein Tropfen an einem Wasserhahn bildet, wie er immer dicker wird und schließlich abreißt. Und da lag es natürlich nahe nachzuschauen, was passiert, nachdem sich der Tropfen abgelöst hat. Was passiert mit ihm, wenn er irgendwo auftrifft?"

    Nun, der Tropfen zerplatzt in Hunderte von Spritzern, das war Nagel und seinen Leuten natürlich klar. Doch dann nahmen sie sich vor, das Phänomen wirklich mal im Detail zu untersuchen - und erdachten sich folgendes Experiment.

    " Wir nahmen einen Tropf mit gefärbtem Alkohol und quetschten einzelne Tropfen heraus. Die Tropfen fielen und trafen auf ein Glasplättchen. Also ein äußerst simples Experiment. Sie könnten es bei sich zu Hause machen."

    Um das Glasplättchen herum legten die Physiker weißes Papier. Traf der Tropfen auf das Plättchen, zerplatzte er wie erwartet in lauter Spritzer. Diese landeten auf dem Papier und hinterließen lauter Pünktchen. Die Pünktchen haben die Forscher systematisch abgezählt und ausgemessen.

    " Wir erkannten, dass einige Spritzer sehr, sehr klein waren, sagt Nagel. Das war für uns der Hinweis, dass die Luft eine wichtige Rolle spielt, wenn der Tropfen zerplatzt. Also wiederholten wir das Experiment unter Bedingungen, bei denen wir den Luftdruck kontrollieren konnten."

    Und das ging so: Die Physiker packten ihren Tropf unter eine Art Käseglocke, bei der eine Pumpe die Luft absaugen kann. Die Tropfen fielen also im Vakuum, gefilmt von einer Hochgeschwindigkeitskamera. Als Nagel die Zeitlupe sah, blieb ihm die Spucke weg.

    " Die Ergebnisse haben uns unglaublich überrascht. Als die Luft raus war, spritzten die Tropfen beim Auftreffen überhaupt nicht mehr auseinander. Stattdessen breiteten sie sich aus wie ein Pfannkuchenteig auf der Herdplatte - glatt und flach, ohne jeden Spritzer. Im Vakuum zerplatzen die Tropfen nicht - sie zerfließen. Und das hat uns schlicht umgehauen."

    Doch Physikprofessor Nagel hat schon eine Erklärung parat. Und die lautet: Im Vakuum ist nichts da, was den Tropfen bei Aufprall stören könnte. Er kann sich also wie ein Pfannkuchen ungehindert auf dem Glasplättchen breit machen, nichts hindert ihn daran. Luft hingegen bietet dem Tropfen einen Widerstand. Dieser kleine, aber merkliche Widerstand genügt, um den auftreffenden Tropfen erst zu destabilisieren und dann in Hunderte von Spritzern zu zerreißen.

    Nun - ist es allein die pure Forscherlust, die Nagel antreibt, der hehre Drang, grundlegende Weisheiten aus der Welt der Tröpfchen und Spritzerchen zusammenzutragen? Nicht nur, meint der Professor, und die Augen blitzen hinter der Brille.

    " Wenn man sich das Ergebnis ansieht, wird einem doch klar: Da muss es viele Anwendungen geben. Etwa beim Tintenstrahldrucker. Da möchte man natürlich keine Spritzer haben; die machen das Druckbild unsauber. Nun können wir diese Spritzer im Prinzip in den Griff kriegen, indem wir den Druckkopf in einem leichten Vakuum arbeiten lassen. Und in der Pharmaindustrie verteilen Roboter für Reihenuntersuchungen feinste Tröpfchen in winzige Reagenzgläschen. Dabei können Spritzer in benachbarte Gläschen fallen und sie verunreinigen. Genau das könnte künftig dank unserer Ergebnisse vermieden werden."

    Klingt nicht schlecht. Aber wie will Nagel seine Resultate, geschaffen in den Labors eines Grundlagenforschers, in den rauen Alltag der Industrie transferieren?

    " Das würden wir liebend gerne tun. Vorher aber sind noch weitere, detaillierte Studien nötig. Doch unsere Ergebnisse ändern unser Denken über das Tropfen ganz radikal. Und die Industrie wird schon sehen, dass das wirklich zu gebrauchen ist."