Katja Lückert:Brasilien ist das Land das bekanntermaßen Fußball noch am ehesten zur Kultur gehört. Brasilien präsentiert sich in einer Vielzahl von Veranstaltungen und in noch nicht da gewesenem Umfang in Deutschland. Copa de Cultura heißen die brasilianischen Kulturwochen die weltmeisterschaftsbegleitend in Kooperation zwischen dem Ministerium für Kultur, dem Goethe-Institut und dem Haus der Kulturen der Welt in Berlin stattfinden. Im Zentrum steht die Ausstellung Tropicália, so benannt nach der vielleicht wichtigsten südamerikanischen kulturellen Bewegung der vergangenen 50 Jahre. Eine Revolution in Musik, Bildender Kunst, Theater und Kino. Die Frage an Peter B. Schumann: Was ist der Hintergrund für diese Vielfalt an brasilianischen Kulturäußerungen zurzeit in Berlin?
Peter B. Schumann: Das ist die Idee eines Kulturministers und Sängers Gilberto Gil, der glaubte, dass Brasilien sich nicht nur als Fußballland, sondern auch Kulturnation darstellen muss, und deswegen gibt es hier seit Wochen Konzerte, ein großes Tanzfest, acht Theaterensembles ,die hier gespielt haben. Und nun kommt mit der Tropicália auch die zeitgenössische Kunst in dieses Land, ins Haus der Kulturen, aber auch an anderen Orten. Durch einen großen Galerienrundgang in der Auguststrasse kann man das, was hier historisch retrospektiv gezeigt wird, auch mit der zeitgenössischen Kunst verbinden.
Lückert:Vielleicht müssen wir kurz erklären: Was versteht man unter Tropicália? Und warum so eine Rückschau?
Schumann: Also Tropicália ist zunächst mal ein Installation von Hélio Oiticica, dem großen Modernisten Brasiliens, der in den sechziger Jahren (1967) gebaut hat, ein hüttenartiges Gebilde in sich verschoben und mit bunten Plastikplanen verkleidet. Sie steht auf Sand in einer tropischen Gartenlandschaft auch mit den entsprechenden Pflanzen und lebenden Papageien. Man geht da etwas irritiert hindurch, weil sich die Innenwände bis mannshohen Spalt verengen. Das war sozusagen ein großes Skandalon damals 1967, das die Kunstschaffenden mit offenen Armen empfangen haben, weil es einen radikalen Bruch mit dem bis dahin üblichen Tafelbild gegeben hat. Alles was wir in Europa in dem zwanzigsten Jahrhundert mit den ganzen Ismen , Surrealismus, Dadaismus, Formalismus, Konstruktivismus, das ist in Brasilien erst mit einer großen zeitlichen Verzögerung in die Öffentlichkeit gelangt. Deswegen war das ein Objekt, ein Kunstgebilde, das nicht auf einem Bild stattfindet, sondern in einem Raum steht, das war wirklich ein großer Bruch mit der Tradition und hat geradezu revolutionäre Auswirkungen gehabt.
Lückert:Was bedeutete denn diese Hütte?
Schumann: Das war einfach ein Symbol des Aufbruchs und wurde dann auch entsprechende rezepiert. Die Künstler wollten ja raus aus den Ateliers, sie hatten Happenings auf den Straßen gemacht. Den Zuschauer wollten sie einbeziehen, so hieß die Devise. Kunst als eine kollektive und zumindest partizipative Aktion. Und dieser Geist hat den Film des berühmten "Cinema Nuovo" beherrscht. Die Graphik, das Design, die Architektur verändert und sogar Auswirkungen auf die Mode gehabt. Und all diese Einflüsse, werden hier bravourös in dieser Ausstellung "Tropilália" in Haus der Kulturen der Welt veranschaulicht.
Lückert:Es ist denn eine reine Retrospektive oder wird auch zeitgenössische Kunst gezeigt?
Schumann: Also es gibt sogenannte Interventionen, die in dieser Ausstellung selbst stattfinden. Es gibt zum Beispiel einen älteren Künstler, einen der wenigen Überlebenden der künstlerischen Eruption der sechziger Jahre, Nelson Lerner. Der hat damals zum Beispiel ein Schwein in Originalgröße in ein Holzgatter gestellt. Und dieses so verengt, das es praktisch bewegungslos war. Es kann als eine Vision von der sich verhärtenden Militärdiktatur, die ja damals herrschte und wenig später durch eine brutale Repressionspolitik das Land erstarren ließ, betrachtet werden. In einem anderen Raum, zeigt der bald 75-jährige einen riesigen Strom von kleinen farbigen Gipsfiguren, wohlgemerkt Männlein und Tierlein, also die Welt wie sie kreucht und fleucht und wie sie die Volkskunst hervorbringt, die alle vor einem winzigen Fußballfeld Schlange stehen. Es ist ein ungemein ironischer Beitrag zu dem Ereignis, das gerade die ganze Welt bewegt.
Lückert:Wenn Sie sagen, die Kunstentwicklung kam später nach Brasilien, würden sie denn sagen, dass es gut ist, dass auch diese ganze Installationskunst nach Brasilien gekommen ist? Hat das die Kunst befruchtet?
Schumann: Es hat ja nicht nur in der bildenden Kunst stattgefunden, es hat eigentlich 1922 sich begonnen mit einem großen Aufbruch mit der ganzen Bewegung der Anthropophagie, also der Kannibalisierung der Einflüsse, des sich Einverleibens fremder Richtungen. Damals galt es als etwas typisch Brasilianisches, eine Reaktion auch darauf das Brasilien das Land der Kannibalen sozusagen, nun mal sich als ein solches dargestellt hat und gesagt hat: Nein, wir nehmen diese ganzen Einflüsse in uns auf und verarbeiten sie zu etwas ganz Eigenem. Das hat auch Picasso gemacht , das haben die Künstler des 20. Jahrhunderts, bis heute macht man das in der Modernen Kunst. Und der Tropicalismus war eine kurze Tendenz die von 1967 bis 1972 dauerte und sich neben der Kunst ganz besonders in der Musik Gilberto Gil, Caetano Veloso, teilweise auch im Film ausgedrückt hat. Man darf nur nicht glauben, dass diese beiden Konzepte, diese beiden Begriffe - die Anthropophagie und der Tropicalismus - nun das typisch Brasilianische an der Kunst und Kultur dieses großen Landes sind, sondern das geht wirklich weit darüber hinaus. Die Vielfalt der zeitgenössischen Kunst, die hier in der ganzen Stadt präsentiert wird, belegt das.
Peter B. Schumann: Das ist die Idee eines Kulturministers und Sängers Gilberto Gil, der glaubte, dass Brasilien sich nicht nur als Fußballland, sondern auch Kulturnation darstellen muss, und deswegen gibt es hier seit Wochen Konzerte, ein großes Tanzfest, acht Theaterensembles ,die hier gespielt haben. Und nun kommt mit der Tropicália auch die zeitgenössische Kunst in dieses Land, ins Haus der Kulturen, aber auch an anderen Orten. Durch einen großen Galerienrundgang in der Auguststrasse kann man das, was hier historisch retrospektiv gezeigt wird, auch mit der zeitgenössischen Kunst verbinden.
Lückert:Vielleicht müssen wir kurz erklären: Was versteht man unter Tropicália? Und warum so eine Rückschau?
Schumann: Also Tropicália ist zunächst mal ein Installation von Hélio Oiticica, dem großen Modernisten Brasiliens, der in den sechziger Jahren (1967) gebaut hat, ein hüttenartiges Gebilde in sich verschoben und mit bunten Plastikplanen verkleidet. Sie steht auf Sand in einer tropischen Gartenlandschaft auch mit den entsprechenden Pflanzen und lebenden Papageien. Man geht da etwas irritiert hindurch, weil sich die Innenwände bis mannshohen Spalt verengen. Das war sozusagen ein großes Skandalon damals 1967, das die Kunstschaffenden mit offenen Armen empfangen haben, weil es einen radikalen Bruch mit dem bis dahin üblichen Tafelbild gegeben hat. Alles was wir in Europa in dem zwanzigsten Jahrhundert mit den ganzen Ismen , Surrealismus, Dadaismus, Formalismus, Konstruktivismus, das ist in Brasilien erst mit einer großen zeitlichen Verzögerung in die Öffentlichkeit gelangt. Deswegen war das ein Objekt, ein Kunstgebilde, das nicht auf einem Bild stattfindet, sondern in einem Raum steht, das war wirklich ein großer Bruch mit der Tradition und hat geradezu revolutionäre Auswirkungen gehabt.
Lückert:Was bedeutete denn diese Hütte?
Schumann: Das war einfach ein Symbol des Aufbruchs und wurde dann auch entsprechende rezepiert. Die Künstler wollten ja raus aus den Ateliers, sie hatten Happenings auf den Straßen gemacht. Den Zuschauer wollten sie einbeziehen, so hieß die Devise. Kunst als eine kollektive und zumindest partizipative Aktion. Und dieser Geist hat den Film des berühmten "Cinema Nuovo" beherrscht. Die Graphik, das Design, die Architektur verändert und sogar Auswirkungen auf die Mode gehabt. Und all diese Einflüsse, werden hier bravourös in dieser Ausstellung "Tropilália" in Haus der Kulturen der Welt veranschaulicht.
Lückert:Es ist denn eine reine Retrospektive oder wird auch zeitgenössische Kunst gezeigt?
Schumann: Also es gibt sogenannte Interventionen, die in dieser Ausstellung selbst stattfinden. Es gibt zum Beispiel einen älteren Künstler, einen der wenigen Überlebenden der künstlerischen Eruption der sechziger Jahre, Nelson Lerner. Der hat damals zum Beispiel ein Schwein in Originalgröße in ein Holzgatter gestellt. Und dieses so verengt, das es praktisch bewegungslos war. Es kann als eine Vision von der sich verhärtenden Militärdiktatur, die ja damals herrschte und wenig später durch eine brutale Repressionspolitik das Land erstarren ließ, betrachtet werden. In einem anderen Raum, zeigt der bald 75-jährige einen riesigen Strom von kleinen farbigen Gipsfiguren, wohlgemerkt Männlein und Tierlein, also die Welt wie sie kreucht und fleucht und wie sie die Volkskunst hervorbringt, die alle vor einem winzigen Fußballfeld Schlange stehen. Es ist ein ungemein ironischer Beitrag zu dem Ereignis, das gerade die ganze Welt bewegt.
Lückert:Wenn Sie sagen, die Kunstentwicklung kam später nach Brasilien, würden sie denn sagen, dass es gut ist, dass auch diese ganze Installationskunst nach Brasilien gekommen ist? Hat das die Kunst befruchtet?
Schumann: Es hat ja nicht nur in der bildenden Kunst stattgefunden, es hat eigentlich 1922 sich begonnen mit einem großen Aufbruch mit der ganzen Bewegung der Anthropophagie, also der Kannibalisierung der Einflüsse, des sich Einverleibens fremder Richtungen. Damals galt es als etwas typisch Brasilianisches, eine Reaktion auch darauf das Brasilien das Land der Kannibalen sozusagen, nun mal sich als ein solches dargestellt hat und gesagt hat: Nein, wir nehmen diese ganzen Einflüsse in uns auf und verarbeiten sie zu etwas ganz Eigenem. Das hat auch Picasso gemacht , das haben die Künstler des 20. Jahrhunderts, bis heute macht man das in der Modernen Kunst. Und der Tropicalismus war eine kurze Tendenz die von 1967 bis 1972 dauerte und sich neben der Kunst ganz besonders in der Musik Gilberto Gil, Caetano Veloso, teilweise auch im Film ausgedrückt hat. Man darf nur nicht glauben, dass diese beiden Konzepte, diese beiden Begriffe - die Anthropophagie und der Tropicalismus - nun das typisch Brasilianische an der Kunst und Kultur dieses großen Landes sind, sondern das geht wirklich weit darüber hinaus. Die Vielfalt der zeitgenössischen Kunst, die hier in der ganzen Stadt präsentiert wird, belegt das.