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Trotz Bücherverbrennungen

Die Nationalsozialisten hatten, kaum an der Macht, die Elite der deutschen Schriftsteller ins Exil getrieben und ihre Bücher verbrannt. Das wusste in Deutschland und Europa jeder, und Propagandaminister Goebbels polemisierte unentwegt gegen westliche Freiheiten, Zivilisation und Humanismus. Dennoch veranstalteten die Nazis europäische Schriftstellertreffen, und es gelang ihnen, in den besetzten und eroberten Ländern Autoren zur Teilnahme zu bewegen. Davon handelt ein Band, den Frank-Rutger Hausmann im Frankfurter Verlag Vittorio Klostermann vorgelegt hat und der ein Thema fortschreibt, das Francois Dufay vor fünf Jahren in seinem Buch "Die Herbstreise" behandelt hat.

Von Matthias Strässner |
    Im Jahr 2001 erschien bei Siedler in Berlin das Buch "Die Herbstreise", in dem der französische Journalist François Dufay eine Rundfahrt französischer Schriftsteller durch Nazi-Deutschland im Herbst 1941 beschreibt. Höhepunkt war der Besuch eines international besetzten Dichtertreffens in Weimar, in dessen Verlauf eine Europäische Schriftsteller-Vereinigung gegründet werden sollte.

    Am 25. Oktober 1941 proklamierte der französische Autor Jacques Chardonne im Beisein von Hanns Johst, dem Präsidenten der Reichsschrifttumskammer, die Vereinigung und erklärte die deutsch-französische Erbfeindschaft für beendet. Der finnische Teilnehmer Arvi Kivimaa, er war Generalintendant der Volksbühne in Helsinki, hat die Szene in seinem Reisetagebuch festgehalten:

    "Als Hanns Johst sich erhebt und ihm die Hand zum Dank hinstreckt, kann Chardonne die Tränen nicht verhalten. Der Saal schweigt für viele lange Augenblicke. In einem Kreis von einigen Menschen ist etwas Kostbares errungen worden auf dem schweren Wege zur Geburt eines neuen Europa."

    Viele Teilnehmer waren zu Tränen gerührt, und Joseph Goebbels, der im Hintergrund die Strippen zog, war hoch zufrieden. Für den Propagandaminister war die Gründung der Europäischen Schriftsteller-Vereinigung eine strategische Gegeninitiative zum damals in London residierenden PEN-Club, den er als Penn- oder Penner-Klub zu verhöhnen pflegte.

    Die Vordergründigkeit des Weimarer Unternehmens wurde schnell erkannt. Thomas Mann bezeichnete den Schriftstellerkongress in der BBC als eine "makabre Farce", an der außer dem "armen Hans Carossa" nur "allerlei Quisling-Schreiber und literarische Kooperationsknechte aus Nord, Süd, Ost und West" teilgenommen hätten.

    Als das Buch von François Dufay im Jahr 2000 in Frankreich erschienen war, diskutierte unter anderem der SPIEGEL die Frage, "wie anfällig die französischen Geistesgrößen für die Propaganda der deutschen Nationalsozialisten" gewesen seien. Jetzt hat Frank-Rutger Hausmann eine Gesamtgeschichte der "Europäischen Schriftsteller-Vereinigung" vorgelegt. Sie liefert Material für die Antwort auf diese Frage, vor allem aber insistiert sie auf die "gesamteuropäische Dimension der Reise wie des anschließenden Dichtertreffens". Vierzehn ausländische Delegationen hatten sich in Weimar eingefunden, Italien war vertreten, Spanien, Portugal, die Skandinavier und auch die Südosteuropäer. Mit John Knittel, dem Verfasser der "Via mala", hatte sogar ein Vertreter der neutralen Schweiz nach Weimar gefunden

    François Dufay sucht in seinem Buch mitunter zynisch die subjektive Erlebnis-Perspektive, vor allem die des bisexuellen Franzosen Marcel Jouhandeau, dessen "Voyage secret" weniger die verbotene Liebe zu Deutschland als die verbotene Liebe zu deutschen Teilnehmern der Delegation zu meinen schien. Dagegen liefert Frank-Rutger Hausmann den Gesamtplan, wie er in Berlin generalstabmäßig ausgeheckt worden war. Dufay ist der Journalist mit der fesselnden Story, Hausmann der Wissenschaftler, der seine Dokumente nicht nur im Buch, sondern auch in einer dem Band beigefügten CD mit Reisealbum, Photos und Faksimiles fesselnd darzubieten weiß. Dem Reisealbum wird der Leser entnehmen, wie den ausländischen Teilnehmern zwischen dem Kahlen Berge und der neuen Berliner Reichskanzlei, zwischen Rheingau und Tiefurt, das Bild eines neuen Deutschland vermittelt werden sollte.

    So sehr die literarische Reisegruppe von der brutalen Wirklichkeit abgeschottet wurde – ganz gelang es nicht. Der literarische Zensor in Paris, Gerhard Heller, der die französische Delegation begleitete, berichtet in seinen geschönten, hier aber wohl zutreffenden Erinnerungen, wie der Zug auf freier Strecke anhalten musste, weil draußen französische Kriegsgefangene Gleisarbeiten ausführten und es zu unkontrollierten Gesprächen zwischen den Dichtern und ihren gefangenen Landsleuten kam. Heller berichtet auch davon, wie Reisemitglieder in München zum ersten Mal auf den Judenstern aufmerksam wurden oder wie eine ungarische Sängerin in einem Wiener Lokal angewiesen wurde, in deutschen Landen gefälligst deutsch zu singen.

    Aber es wird umgekehrt auch unerwartete Schmeicheleien für die Ausländer gegeben haben, besonders für die Franzosen: der Bildhauer Arno Breker wird den Gästen in seinem Staatsatelier in Wriezen-Jäckelsbruch bei Berlin sicher eingestanden haben, wie sehr er sich persönlich der Kunst eines Aristide Maillol verpflichtet fühle, und der gleichfalls besuchte Staatsrechtler Carl Schmitt wird die französische Herkunft seiner Rhetorik kaum bestritten haben. Jedenfalls lieferten die Reisegefährten nach der Rückkehr in ihre Heimatländer – wie von den Nazis gewünscht - ihre Ergebenheitsadressen pflichtschuldigst ab.

    Die Gründung der Europäischen Schriftstellervereinigung entsprach einem kulturpolitischen Kalkül der Nazis, aber der Verband sei, darauf legt Hausmann großen Wert, nie eine intellektuelle "Fünfte Kolonne" des Dritten Reiches gewesen. Das mag vor allem an dem "armen Hans Carossa" liegen, der noch auf der Fahrt nach Weimar nicht gewusst haben dürfte, dass er zum künftigen Präsidenten der europäischen Schriftsteller ernannt werden sollte. Nicht nur Carossa, der bei Dufay kaum eine Rolle spielt, auch das Engagement des Generalsekretärs des Verbandes, Carl Rothe, wird bei Hausmann sehr genau untersucht. Und der Leser wird über den Nachweis nicht wenig verwundert sein, dass ausgerechnet der später hingerichtete Widerständler Adolf Reichwein seinem Freund Rothe dringend geraten hatte, das Amt anzunehmen. Hausmann attestiert Carossa und seinem Generalsekretär insgesamt "ein untadeliges Verhalten und ein Eintreten für Liberalität und Völkerfreundschaft, die in der damaligen Zeit ihresgleichen sucht." Ein besonderes Dokument, das Hausmann in seinem Buch vorlegt, ist Carossas nicht gehaltene Rede für eine noch im September 1943 vorgesehene Tagung in Weimar.

    "Denn mag es heute auch tausendmal so aussehen, als wären alle Brücken zwischen den miteinander ringenden Nationen für immer abgebrochen - die inneren, die unveräußerlichen Werte, die jedes Volk in seiner Tiefe verwahrt, sie bestehen doch weiter, und mit ihnen, wenn auch vorerst gleichsam nur unter dem Eise, das heilige Aufeinanderangewiesensein!""

    Hausmanns Buch bestätigt, dass die Kulturpolitik der Nazis sehr widersprüchlich war und dass ein deutscher Expansionismus ganz unterschiedlich begründet werden musste, je nachdem, ob dieser einfach als deutsche Großraumplanung, als großgermanische Vision oder als Paneuropa oder geistiges Europa unter deutscher Führung zu denken war. Hausmanns Buch zeigt aber auch, dass das "geistige Europa" von manchen der zur Schriftsteller–Vereinigung zählenden Autoren weit ehrlicher gewünscht und mitunter auch angesprochen wurde, als es den deutschen Machthabern recht sein konnte. Die Nazi-Kulturpolitiker, allen voran Joseph Goebbels, befanden sich nolens volens immer wieder in der prekären Situation, den Zauberlehrlingen der Kultur Besen und Spesen für Aktivitäten in die Hand gegeben zu haben, die sie dann nicht mehr kontrollieren konnten.

    Matthias Strässner über Frank-Rutger Hausmann, "Dichte, Dichter, tage nicht!" Die Europäische Schriftsteller-Vereinigung in Weimar 1941 – 1948. Der Band ist erschienen im Verlag Vittorio Klostermann in Frankfurt. Er hat 409 Seiten, ihm ist eine CD mit Fotos und Faksimiles beigefügt, und er kostet 39,-- Euro. Der in der Rezension vergleichend erwähnte Bericht von Francois Dufay ist unter dem Titel "Die Herbstreise – Französische Schriftsteller im Oktober 1941 in Deutschland" im Berliner Siedler Verlag erschienen. 192 Seiten für damals noch 36 Mark.