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Trotz Corona-Pandemie
Warum Japan an den Olympischen Spielen festhält

Ob die Olympischen Spiele von Tokio in diesem Jahr stattfinden oder nicht, ist unklar. Die japanische Bevölkerung ist dagegen. Dazu werden die Spiele wahrscheinlich ein Verlustgeschäft. Doch Geld und Popularität sind nicht die einzigen Kräfte, die die Organisatoren an den Spielen festhalten lassen.

Von Felix Lill | 13.03.2021
Olympic rings monument Photo shows an Olympic rings monument in Tokyo s Odaiba waterfront area on Feb. 11, 2021. PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY
Die Olympischen Ringe in Tokio. (IMAGO / Kyodo News)
Anfang dieses Monats zeigte sich in Tokio ein äußerst ungewöhnliches Bild. Junichiro Koizumi und Naoto Kan saßen bei einer Pressekonferenz gemeinsam an einem Tisch. Eigentlich sind diese beiden ehemaligen Premierminister politische Rivalen. Koizumi ist ein Konservativer der regierenden "Liberaldemokratischen Partei" – Kan gehört zur linksliberalen "Demokratischen Partei."
In einer Sache sind die beiden Ex-Premiers aber vereint: Dem Kampf gegen Atomenergie. Vor zehn Jahren havarierte im nordostjapanischen Fukushima ein Kernkraftwerk. Seitdem polarisiert wohl kein Thema in Japan so sehr wie die Frage nach einem Atomausstieg. Koizumi und Kan stellen sich also gemeinsam gegen die aktuelle Regierung.
Doch die beiden politischen Rivalen sind sich noch bei einer anderen Frage einig, die zuletzt ähnlich kontrovers geworden ist: Sollten die für Juli geplanten Olympischen Spiele von Tokio stattfinden oder nicht?
"Also ich weiß nicht… In dieser Situation", sagt Junichiro Koizumi – und Naoto Kan ergänzt: "Ich sage mal so: es ist sehr, sehr schwierig."
Das ist fast schon historisch: zwei Ex-Premierminister aus widerstreitenden Parteien äußern durch die Blume offene Zweifel daran, dass es die Olympischen Spiele von Tokio diesen Sommer wirklich geben sollte. Noch kaum ein Jahr ist es her, da hat in Japan fast niemand etwas gegen die größte Sportveranstaltung der Welt gesagt. Dann aber breitete sich die Pandemie aus – und mit ihr die Skepsis im einst so olympiabegeisterten ostasiatischen Land.

90 Prozent der Bevölkerung will keine Spiele

Ende letzten Jahres gaben in einer Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo 80 Prozent an, diesen Sommer keine Spiele in Tokio zu wollen. Anfang März waren es laut einer Onlineumfrage von Yahoo sogar fast 90 Prozent. "Tokyo 2020" steht mittlerweile für die vielleicht unbeliebtesten Spiele der Geschichte. Warum also noch daran festhalten?
Das Ganze hat mit Beliebtheit nicht viel zu tun, sagt Koichi Nakano, Politikprofessor an der Sophia Universität in Tokio: "Es stimmt schon, dass sich die öffentliche Einstellung zu den Spielen von hoher Popularität zu hoher Unbeliebtheit geändert hat. Aber Japan ist eine Gesellschaft, in der die öffentliche Meinung kein besonders guter Indikator dafür ist, was passieren wird. Auch Yoshiro Mori, der vorige Vorsitzende des Organisationskomitee, der wegen sexistischer Äußerungen zurücktreten musste, war nie beliebt. Er war auch nicht beliebt, als er vor 20 Jahren Japans Premierminister war. Aber er ist in bestimmten Kreisen sehr gut vernetzt und deshalb mächtig. Da wollte sich niemand mit ihm anlegen."
Seiko Hashimoto steht an einem Rednerpult
Skandale als Konstante
Die Präsidentin des Tokioter olympischen Organisationskomitees, Seiko Hashimoto, soll nach einem Sexismusskandal ihres Vorgängers Ruhe bringen. Dabei wurde Hashimoto selbst schon zum Problem.
Und so sei es eben auch bei den Olympischen Spielen, meint Nakano: "Immer mehr Menschen, die sich mit Sport gar nicht weiter beschäftigen, fragen sich, ob es bei den Olympischen Spielen vielleicht gar nicht so sehr um Sport geht. Wenn die Spiele nämlich eigentlich kaum mehr jemand will, wem sollen sie dann nützen? Und vielleicht geht es hier um viel Geld. Und deshalb wird die öffentliche Meinung ignoriert."
Dabei hat sich in letzter Zeit zumindest die Rhetorik verändert. Seiko Hashimoto, die seit kurzem das Tokioter Organisationskomitee leitet, sagte gegenüber japanischen Medien letzte Woche: "Die Einschätzung der Bürger ist wichtig. Wenn sie keinen Frieden empfinden, ist es schwierig, die Olympischen Spiele durchzuführen."
Und so versuchen die Organisatoren die öffentliche Unterstützung wieder hochzutreiben. Unter anderem damit, die Frage nach den Zuschauern vor Ort neu zu stellen. Weiterhin ist unklar, ob die Stadien, von denen viele eigens für diese Spiele gebaut wurden, womöglich leer bleiben sollten. Umfragen zeigen, dass die Meinung hierzu geteilt ist. Nur: wenn es bei Olympia um nichts als Geld geht, sind leere Stadien eine schlechte Idee.

Auch "Legacy Effect" würde verloren gehen

Eine Studie der Kansai Universität in Osaka hat ergeben, dass auf diese Weise Einnahmen in Höhe von 19 Milliarden Euro entgehen würden. Der Ökonomieprofessor Katsuhiro Miyamoto erklärt das so: "Wenn es keine Zuschauer in den Stadien gibt, gehen nicht nur die Ticketeinnahmen verloren. Es gibt noch zwei weitere Arten von Verlusten. Erstens bleiben all die neugebauten Hotels leer, rund um die Spielstätten würde der Konsum ausfallen und Werbeaktivitäten gehen zurück. Und dann gibt es den entgangenen Effekt, der dadurch entsteht, dass Gäste, die nach Japan kommen, daheim davon erzählen, wie schön es in Japan war. So würden sich dann noch mehr Menschen für Tourismus nach Japan interessieren. Das wäre auch ein legacy effect, und der würde auch verloren gehen."
Zum Vergleich: 19 Milliarden entsprachen in etwa den geschätzten Kosten der Spiele, bevor sie wegen der Pandemie um ein Jahr verschoben werden mussten. Der so genannte "Legacy Effect", also der auch nach den Spielen bleibende Nutzen durch Investitionen, würde sich auf etwa sieben Milliarden halbieren.
Kugelstoßerin Christina Schwanitz
Schwanitz für Verschiebung bis 2024: "Dann geht es wieder um Sport"
Kugelstoßerin Christina Schwanitz hat sich für eine Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio bis in das Jahr 2024 ausgesprochen.
Seit dieser Woche aber wird eine neue Option diskutiert: Zuschauer dürfen in die Stadien, allerdings nicht solche, die aus dem Ausland kommen. Die Nachrichtenagentur Kyodo meldete am Dienstag schon, dass dies bereits entschieden sei. Das Organisationskomitee will dies auf Anfrage noch nicht bestätigen. Ende des Monats wolle mein seine Entscheidung verkünden.
Mit Zuschauern, die ausschließlich aus dem Inland kommen, würde man sozusagen den finanziellen Super-Gau vermeiden. Aber ein riesiges Verlustgeschäft – und außerdem ein unbeliebtes – bliebe "Tokyo 2020" trotzdem noch.

Auch politische Interessen als treibende Kraft

Eiichi Kido, Politikprofessor an der Universität Osaka, sieht neben Geld auch Politik als treibende Kraft dafür, dass Olympia noch immer nicht abgesagt worden ist. Das erkenne man unter anderem an Tokios Gouverneurin Yuriko Koike: "Also warum ist sie Gouverneurin in Tokio? Für sie ist das nur eine Etappe, um Ministerpräsidentin zu werden. Das ist für sie Inszenierung. Koike ist auch eine Populistin. Die japanische Regierung will auch unbedingt die Olympischen Spiele durchführen."
Die japanische Regierung wiederum, so Kido, wolle aus einem Grund an den Spielen festhalten, der die zwei kritischen Ex-Premiers Junichiro Koizumi und Naoto Kan besonders skeptisch machen dürfte: "Das Motiv von Tokio, die Olympischen Spiele in Japan zu veranstalten, ist Fukushima vergessen zu machen. Damit Japan weiter mit der Atomkraft machen kann. Und Sie wissen sicherlich, dass die Lage in Fukushima überhaupt nicht unter Kontrolle ist."
Als Tokio im Spätsommer 2013 das olympische Austragungsrecht erhielt, hatte der damalige Premierminister Shinzo Abe das Gegenteil behauptet: alles sei unter Kontrolle.
Um das zu zeigen, sollen dieses Jahr auch in Fukushima olympische Wettkämpfe im Baseball stattfinden. Allerdings 60 Kilometer von der Kraftwerksruine entfernt, in einer Stadt, die ohnehin nie evakuiert wurde.