Dienstag, 19. März 2024

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True Oil - Ein Symposium zur Petromoderne
"Das Erdöl hat uns frei und reich gemacht"

Zur Moderne, wie wir sie kennen, gehören politische Teilhabe, Automatisierung der Arbeit, Massenwohlstand. Ohne Erdöl ist das alles nicht zu denken, gedacht wird daran aber selten. Diese grundlegende materiale Voraussetzung unserer Lebensform will das Symposion "True Oil" in den Blick nehmen.

Benjamin Steininger im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 26.10.2018
    Eine Farbpalette mit unterschiedlichen Ölfarben und -tuben
    Ölfarben (imago / fStop Images / Norman Posselt)
    Maja Ellmenreich: Öl im Museum – das hat keine Seltenheit in unserer Kultursendungen: etwa in Form von großformatigen Gemälden, die in schweren Holzrahmen an Ausstellungswänden hängen. Im Kunstmuseum Wolfsburg wird es im kommenden September auch um Öl gehen - aber so ganz anders als sonst üblich in einem Museum: Im Herbst 2019 wird dort eine Ausstellung eröffnet über "Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters".
    Und jetzt, ein knappes Jahr zuvor, findet als Vorbereitung ein internationales Symposium in Wolfsburg statt – über "Paradigmen und Glaubenssätze der Petromoderne". Was das bedeutet, wollten wir von dem Kulturwissenschaftler und Kurator Benjamin Steininger wissen. Mit ihm habe ich am Nachmittag gesprochen.
    Was macht Erdöl, Herr Steininger, diesen Rohstoff, der uns ja – bewusst oder unbewusst – im modernen Leben stets und ständig in ganz unterschiedlichen Formen begegnet…was macht den für einen Kulturwissenschaftler interessant?
    Benjamin Steininger:Wir sind gewohnt, die Moderne normalerweise als ein politisches oder ästhetisches oder für die Kunst wichtiges Phänomen zu betrachten, als eine Epoche, die sich von anderen Epochen zuvor unterscheidet. Als Kulturwissenschaftler, der auch aus der Wissenschafts- und Technikgeschichte seine Anregungen holt, kommt eine weitere Dimension hinzu: dass wir mit der Nutzung fossiler Rohstoffe, insbesondere des Öls im 20. Jahrhundert auf eine molekulare oder materielle Art und Weise in eine neue Epoche eingetreten sind, und zwar auf der Ebene von Materialien als auch auf der Ebene von Energien und damit auf der Ebene von Prozessen. Das heißt, wenn wir von der Moderne sprechen und auch damit von allen Formen der Reflexion der Moderne in der Kunst, dann befinden wir uns in einem historisch neuen Koordinatensystem, das von diesen Stoffen eigentlich nicht mehr abstrahieren kann. Wir müssen diese Stoffe, die uns auf Schritt und Tritt umgeben, aber trotzdem speziell in den Blick nehmen, weil wir uns abgewöhnt haben, auf diese Weise über Materialien nachzudenken.
    Ellmenreich: Sie sprechen von Epochen, nun ist ja die Epoche des Erdöls absehbar bzw. das Ende ist absehbar, die Erdölvorräte sind endlich und die Erkenntnis, dass wir alternative Energieformen finden und nutzen müssen, ist ja eigentlich eine Binsenweisheit. Ist die Endlichkeit dieses Rohstoffs auch Teil des Faszinosums für Sie?
    Steininger: Die Endlichkeit des Rohstoffs begleitet den Rohstoff seit seiner Entdeckung, d.h. die Endlichkeit liegt immer (bei) ungefähr 30 Jahren, leider hat diese Endlichkeit selbst bis heute keine praktischen Folgen gezeitigt, wir agieren immer noch so, als würde es unendliche Vorräte von Erdöl geben, und tatsächlich ist das Ende faktisch nicht auf die Art und Weise absehbar, wie wir vor 10 Jahren noch hoffen konnten. Das Ende des Erdöls wird nicht kommen, weil es kein Erdöl mehr gibt, sondern weil wir uns für andere Energieformen entscheiden müssen. Tatsächlich ist aber dieser Blick von einer Art imaginiertem Ende des Erdöls aus auch für unser Ausstellungsprojekt und sehr viele Projekte der Reflexion dieses Zeitalters sehr wichtig, weil wir damit eine gewisse Verfremdung der Gegenwart erzeugen können. Das heißt, wir können einen fiktiven Standpunkt der Zukunft einnehmen, um dann von diesem Standpunkt aus der Zukunft eine Art Archäologie des gegenwärtigen Zeitalters schreiben und uns damit eine andere Perspektive begeben.
    "Das Öl, das fast Geld ist, sprudelt nur so heraus"
    Ellmenreich: Dann nehme ich noch einmal zwei ganz andere Perspektiven ein, nämlich die Perspektive auf den Alleskönner Erdöl auf der einen Seite, das Wundermittel, und auf der anderen Seite natürlich auch das Erdöl als flüssiges Gold, mit dem Macht und Geschäfte gemacht werden. Sind das die Glaubenssätze, von denen im Titel Ihres Symposiums die Rede ist. Also, hat das Erdöl einen Imagewandel hingelegt?
    Steininger: Erdöl steht zunächst einmal im chemischen Sinn für enorme, geballte Energie. Kohlenwasserstoffe stellen tatsächlich eine der konzentriertesten Formen chemischer Energie dar. Insofern schließen sich auch Formen der politischen Macht natürlich gerne mit so einem konzentrierten Stoff zusammen. Kriege werden mit und um Erdöl geführt. Enormer Reichtum entsteht deswegen, weil man die Erde sozusagen an manchen Orten der Erde nur anzapfen muss und das Öl, das fast Geld ist, sprudelt nur so heraus. Insofern haben wird damit eine Seite des Erdöls und damit der Moderne entdeckt - dass sie vollkommen neue Kraftreserven für sich entdeckt, und diese entweder für die Akkumulation von Reichtum auf der einen Seite, aber schon auch durchaus für Steigerung des Massenwohlstands auch einsetzen kann. Und wir haben uns in den letzten Jahrzehnten daran gewöhnt, dass diese Art von Wohlstand, diese Art auch von Wachstum wie naturgegeben hingenommen wird.
    Das heißt, wir nehmen eigentlich die Spezialität dieser Epoche, dass nahezu unerschöpfliche Energiequellen einfach auf uns zuströmen, nehmen wir als naturgegeben an und das, würde ich sagen, ist doch einer der wichtigsten Glaubenssätze, den wir mit diesem Symposium ansprechen. Weil es geht dabei sowohl um eine, wie man so sagen kann, Wachstumsideologie, es geht aber auch um persönliche Freiheit, die Freiheit, heute ins Flugzeug steigen zu können und jeden Punkt der Erde im Prinzip erreichen zu können, es geht um individuelle Mobilität, es geht aber durchaus auch um politische Teilhabe, auch um die Vermeidung anstrengender Arbeit. Wenn man sich heute auf einer Baustelle umsieht, dann ist körperliche Arbeit fast nur noch die Kontrolle von Maschinen. Vor wenigen Jahrzehnten war das noch vollkommen anders. Das heißt, das Erdöl hat uns auf der einen Seite tatsächlich frei gemacht, es hat uns reich gemacht, es hat uns auch ein politisches System gegeben, in dem wir eben nicht mehr zwischen einem Schwerarbeitenden auf der einen Seite und Großgrundbesitzer auf der anderen Seite unterscheiden. Aber indem wir uns an diese faktische, materielle, soziale, politische Ordnung des Erdöls gewöhnt haben, haben wir diese Ordnung gewissermaßen internalisiert und da kann man dann schon von Glaubenssätzen sprechen.
    Ellmenreich: Von Glaubenssätzen der sogenannten Petromoderne. Das war Benjamin Steininger, der Kurator eines Wolfsburger Symposiums über "True Oil", das wahre Öl.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.