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Trügerische Algenträume

Umwelt. – Die wachsende Not mit dem menschgemachten Kohlendioxidausstoß treibt zahlreiche merkwürdige Blüten. Eine davon ist die großflächige Düngung bestimmter Ozeangebiete mit Eisen, um dort eine Algenblüte hervorzurufen. Die könnte große Mengen CO2 binden. Doch Wissenschaftler warnen, dass diese theoretisch bestechende Idee praktisch wohl bestenfalls ins Leere laufen würde.

    Von Dagmar Röhrlich

    Weil in vielen Meeren das Eisen Mangelware ist, wachsen die Algen längst nicht so optimal, wie sie könnten. Das haben zahlreiche Dünge-Experimente erwiesen, erklärt Ulrich Bathmann vom Alfred Wegener Institut in Bremerhaven:

    Sobald man in diesen offenen Ozeangebieten Eisen dem Plankton zuführt, bilden sich Planktonblüten, sowohl im zentralen Pazifik, im äquatorialen Pazifik, im Nordpazifik und im Südozean.

    Wird durch eine künstliche Algenblüte tatsächlich mehr Biomasse - und damit das vom Menschen freigesetzte Kohlendioxid - im Speicher Tiefsee begraben? Bislang lief kein Experiment lange genug für eine Bilanz, weshalb das Alfred-Wegener-Institut sein vor Jahren begonnenes Eisendüngungsexperiment Eisenex im Januar fortsetzen wird. Algen wachsen in eisengedüngten Gebieten etwa doppelt so schnell wie in ungedüngten. Diese Planktonblüten jedoch locken das algenfressende Zooplankton an. Es kommt von nah und fern und macht sich über die Algen her, wie eine Kuh über die fette Weide. Bathmann:

    Bei diesem Fraßvorgang wird dann sehr viel veratmet, und unter dem Strich würde so eine weggefressen Planktonblüte sehr wenig zum Export von Kohlenstoff aus den Oberflächenschichten des Ozeans in die Tiefe beitragen.

    Ein zweiter Unsicherheitsfaktor: Algen reagieren unterschiedlich auf Eisen. Bei Schaumalgen verändert sich durch die Düngung so gut wie nichts. Die dickwandigen Kieselalgen, die keiner gerne frisst, bilden nur noch dickere Glaspanzer, anstatt sich - wie zur "Rettung des Weltklimas" gewünscht - explosionsartig zu vermehren. Bathmann:

    Andere Arten, die nicht einen starken Panzer haben, auch Kieselalgen, reagieren auf Eisendüngung durch verstärkt schnelles Wachstum, und die wachsen dann praktisch den Fraßfeinden davon. Allein diese Gegenüberstellung von zwei sehr nahe verwandte Arten zeigt, dass in der Biologie der einzelnen Arten der Schlüssel zum Verständnis liegt, wie ein Ökosystemen reagiert auf Veränderungen.

    Unbekannt sind auch die Mechanismen, denen die anderen Akteure im Plankton des antarktischen Ökosystem unterliegen. Bathmann:

    Eine weitere Schlüsselart ist der antarktische Krill, und es sind die Kopepoden, eine Reihe von Krebstieren, die bisher übersehen wurden, weil sie durch die gängigen Netzweiten geschützt sind. Wir werden jetzt beim nächsten Experiment unsere Fang- und Analysenmethoden auf diese Schlüsselarten abstimmen, um zu lernen, wie das antarktische Ökosystemen heute reagiert, mit und ohne Eisen Zugabe, um auch zu verstehen, wie ist denn während der Wechsel von Warm- zu Kaltzeiten reagiert hat.

    Während der Eiszeiten war mehr Eisen im Meerwasser gelöst, weshalb die Ozeane rund um die Antarktis zehn Prozent mehr Algen produziert haben als heute, die wiederum den Treibhauseffekt senkten. Nach der gängigen Theorien brachten damals starke Winde große Mengen an Eisen bis in die Antarktis und düngten so die Meere. Gabriel Filipelli von der Indiana Universität in Indianapolis ist anderer Ansicht:

    In den Eiszeiten scheint es eine stark erhöhte Eisenzufuhr in Gebiete wie die Antarktis gegeben zu haben. Wir haben jetzt aber Meeressedimente untersucht und sehen darin Hinweise auf eine sehr hohe Eisenzufuhr samt biologischer Antwort. Diese Zufuhr ist zu hoch, als dass sie von eingewehtem Staub stammen könnten. So gewaltige Mengen kommen aus dem ozeanischen Tiefenwasser.

    In den Eiszeiten lag der Meeresspiegel 120 Meter tiefer als heute. Die Küsten waren dort, wo die Kontinente in die Tiefsee abfallen. Diese Hänge waren instabil: Zahllose submarine "Lawinen" machten die Tiefsee "schmutzig", und aus dem aufgewirbelten Schlick löste sich das Eisen. Die Strömungen verfrachteten es in die Meere rund um die Antarktis, wo es aufwallte und an der Oberfläche die Algen düngte. Filipellis Theorie ist für das Befürworter der Idee einer Algendüngung fürs Weltklima ein Schuss vor den Bug. Denn während sich eingewehter Staub vielleicht mit noch etlichen Riesentankern voll Eisendünger simulieren ließe, bei so etwas so Mächtigem wie Tiefenströmungen ist das unmöglich. Zudem brauchen Algen nicht nur Eisen zum Wachsen, sondern auch Stickstoff oder Phosphor. Wenn man die Ozeane der Antarktis mit Eisen düngt, verbraucht die resultierende Algenblüte alles, was an anderen Nährsalzen da ist. Ulrich Bathmann rechnet vor:

    Wir haben bilanziert, dass die Nährstoffe im Südozean ausreichen würden, um einmal die Jahresproduktion des Menschen an CO2, aus der Atmosphäre zu entziehen. Dann allerdings dauert es eine lange Zeit, bis sich diese Nährsalze in der Deckschicht des Ozeans erneuern würden, so dass die Eisendüngung im Südozean schon bei einfachen Überschlagsrechnungen nicht anbietet, um das globale CO2-Problem zu lösen.

    Das bedeutet: Eine so gewaltige Algeblüte, wie sie zur Bekämpfung des Treibhauseffekts notwendig wäre, würde das Ökosystem Antarktis sehr schwer schädigen. Allein bis die Tiefenströme der Ozeane die Nährsalze wieder ersetzt haben, dauert es zwischen zehn und 50 Jahre. Aber solange kann die Nahrungskette in der Antarktis nicht warten.