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Trümmer der Treuhand

Kahlschlagsanierung haben Kritiker der Treuhand vorgeworfen und eine systematische Deindustrialisierung der ehemaligen DDR. Eine Entleibung, die besten Stücke herausgeschnitten, die anderen auf den Müll geworfen. Von diesem Schlag hat sich die ostdeutsche Wirtschaft bis heute nicht erholt. Neugründungen konnten den Mangel an Industriedichte nicht wettmachen. Die Technologieintensität im Lande ist gering; die Unternehmen sind kaum in der Lage, Forschung und Entwicklung zu betreiben. Die findet vor allem in den alten Bundesländern statt. Ostdeutschland ist zu einem Land der Klein- und Kleinstunternehmen geworden.

Von Heinz-Jörg Graf | 16.11.2003
    Natürlich blieb der Treuhand oft nichts anderes übrig, als Betriebe zu schließen, weil sie nicht wettbewerbsfähig waren. Doch bei den Firmen, die eine Lebenschance erhielten, hat sie zu wenig darauf geachtet, sie in Produktionsverbünden, in Kooperationen international wettbewerbsfähig zu machen. Stattdessen wurden sie aufgespalten, vereinzelt und an westdeutsche und ausländische Investoren für ihren Ergänzungsbedarf verkauft - als verlängerte Werkbänke im Osten.

    Verpasste Chancen. Was damals nicht erkannt wurde, auch nicht gewollt war, will die Politik heute fördern. Vor allem dort, wo sich Branchenkonzentrationen erhalten haben, soll die Kooperation unter den Firmen gestärkt und Forschung und Entwicklung voran gebracht werden. Das Zauberwort dabei lautet: Kooperation.

    Darauf setzt der InnoRegio-Wettbewerb des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der seit drei Jahren die Kooperation von kleinen Unternehmen und der Forschung fördert und dabei Innovationsspotentiale im Osten weckt, aufzeigt und in tragfähige Geschäftsideen ummünzen will. Als der Wettbewerb 1999 ausgeschrieben wurde, ausgestattet mit erklecklichen 250 Millionen Euro Fördergeldern, da löste das eine wahre Antragsflut aus: Über 400 Projekt-Verbünde aus allen neuen Bundesländern bewarben sich, ganze 23 machten schließlich das Rennen; Ideen mit Chancen auf Marktpotential waren in den Anträgen nur dünn gesät. Hans-Peter Hiepe, im Bundesministerium für Bildung und Forschung zuständig für den InnoRegio Wettbewerb, skizziert das Programm:

    Also das neue an InnoRegio war, als es 1999 gestartet wurde, dass man ein besonderes innovationspolitisches Programm konzipiert hat, das den Bedürfnissen in den neuen Ländern Rechnung tragen sollte. Auf der einen Seite haben wir in Ostdeutschland eine lebendige und gut ausgestattete Forschungs- und Bildungslandschaft geschaffen in den letzten Jahren und darüber hinaus bestehen auch sehr viele Kompetenzen, Qualifikationen und Potentiale aus der Vergangenheit. Auf der anderen Seite haben wir eine sehr stark durch kleine und mittlere Unternehmen geprägte Wirtschaftslandschaft, die sich nachteilig auf die Innovationsfähigkeit der neuen Länder auswirkt, die sehr viel mehr gestärkt wird, wenn große Unternehmen mit ihren Headquarters in den neuen Ländern existierten, zu denen dann eben auch die Forschungsabteilungen der Unternehmen gehören, die eine bestimmte Ausstrahlungskraft und Wirkung haben. Das fehlt in den neuen Ländern.

    Dass die Jury, prominent besetzt u.a. mit dem Vorsitzenden Klaus von Dohnanyi, sich durch so viele Anträge arbeiten musste, hing vor allem mit dem themen- und akteursoffenen Ansatz zusammen, der in ostdeutschen Landen auf großes Interesse stieß. Die Ministerialen aus Berlin gaben einen Förderrahmen vor, der den Antragstellern ein hohes Maß an Unabhängigkeit im Projektentwurf und Selbststeuerung in der Projektausführung bescherte. Nicht der Geldgeber gab hier vor, was gefördert werden sollte - sondern die Regionen. Unternehmensberater Holger Weiss, aus Markneukirchen, er ist spiritus rector von "Musicon Valley", einem InnoRegio im Vogtland:

    Ganz begeistert war ich vom Ansatz der InnoRegio Ausschreibung, dass Partner aus verschiedenen Bereichen selber Ideen und Projekte entwickeln konnten, ob das Marketing, Tourismus, Medizin oder Produktion waren, dass sich Partner dort zusammensetzen konnten und haben gesagt: Das hier brauchen wir in unserer Region, das nützt uns am meisten, das und das müssten wir machen. Also eine uneingeschränkte Ideenentwicklung, das ist der sehr geniale Ansatz von InnoRegio.

    InnoRegio kam 1999 aber auch deshalb gut an, weil die Unternehmer langsam wieder angefangen hatten, aufeinander zuzugehen. Nach der Wende war zunächst nacktes Überleben angesagt. Der Einzelkämpfer als Unternehmertyp stand hoch im Kurs, den Mitbewerber am Markt beäugte man misstrauisch. Auch persönliche Befindlichkeiten spielten eine Rolle. Franz Rudolph, der "InnTex" leitet, das InnoRegio in der Textilregion Mittelsachsens:

    Viele Unternehmer waren nach der Wende erst mal froh über ihre Selbständigkeit und dann haben sie gesehen, dass ihr ehemaliger Vorgesetzter aus der Kombinatszeit auch einen Betrieb aufgebaut hat, aber mit dem wollten sie nichts zu tun haben. Die subjektive Bereitschaft zu kooperieren war nicht sehr ausgeprägt.

    Der Musikinstrumentenbau hat im Vogtland eine lange Tradition. Schon Ende des 18. Jahrhunderts wurden hier Violinen, Bässe und Lauten gefertigt. Zu DDR-Zeiten fristeten die Meisterbauer aus Sachsen eher ein Schattendasein: Im Stillen fertigten sie ihre Instrumente, während der Vertrieb von der zentralen Außenhandelsorganisation der DDR gesteuert wurde. Nach der Wende war es dann eine der großen Herausforderungen für die Instrumentenbauer, ihren Markt zu finden. Vor allem fehlte es ihnen aber an Geld, um ihre Stellung am Markt zu halten und gar auszubauen.. Ideen dazu lagen manchmal schon seit Jahren in der Schublade. Da kam InnoRegio gerade richtig. Auch das Vogtland bewarb sich auf die Ausschreibung - und gewann. Genauer gesagt: "Musicon Valley" gewann, denn so lautete der Titel des Konzeptes, das in Berlin eingereicht wurde. "Musikwinkel Deutschland", der Name, unter dem das Vogtland schon immer bekannt gewesen ist, hätte etwas langweilig geklungen und wäre vor allem für die Auslandsvermarktung des Projekts unbrauchbar gewesen.

    Über 200 Leute aus der Region brachte Holger Weiss an einen Tisch. Vom Landrat über den Kurdirektor bis hin zu den Chefs der Tourismusverbände und natürlich die Musikinstrumentenbauer, auf die es in den Gesprächsrunden besonders ankam: Jetzt konnten die Handwerksfirmen ihre Projektideen endlich aus der Schublade holen und loslegen: Zum Beispiel ein Akkordeon entwickeln mit 106 Tönen. Oder eine Knopfgriff-Blasharmonika für Schüler, kurz: KGB genannt. Ein Prototyp soll im nächsten Sommer auf der Frankfurter Musikmesse vorgestellt werden.

    Auch ein Geigenbauer, ein Cellobauer und ein Bogenmacher sind seit kurzem im Projekt-Verbund dabei. Frank Bilz, Marketing-Leiter im "Musicon Valley":

    Die wollten alte historische Instrumentenformen wieder reproduzieren. Es fehlt ihnen dazu die historische Grundlage, das heißt, man muss sich sehr lange mit dem historischen Musikinstrumentenbau beschäftigen, man braucht gleichwertige oder ähnliche Instrumente, die muss man vermessen, betrachten, erforschen und man muss natürlich bestimmte Holzqualitäten und Lackdichten und Verarbeitungsqualitäten, erforschen, ergründen. Und das kann ein einzelner Musikinstrumentenbauer nicht. Ich habe erzählt, dass es jemanden gibt, der innerhalb von "Musicon Valley" an der Erforschung von historischen Musikinstrumentenlacken arbeitet. Und das ist genau das, was die jungen Musikinstrumentenbauer suchten. Von dessen Existenz konnten sie nichts wissen, der ist zwar einige Ortschaften entfernt, aber so etwas hat sich noch nicht herumgesprochen, weil es auch immer ein bisschen geheimniskrämerisch ist. Auf der anderen Seite konnte ich ihnen mitteilen, dass es ein Institut für Musikinstrumentenbau gibt, wo sie die ganze Sache noch fachlich, also wissenschaftlich prüfen konnten und dass es mir kein Problem macht, die an einen Tisch zusammenzubringen und wenn sich die zusammensetzen, könnte man ja daraus was machen und was entstand: Es entstanden zwei Projektvorschläge.

    Obwohl "Musicon Valley" gerne Verbundprojekte fördert, bei denen verschiedenen Firmen kooperieren, ist das InnoRegio aber keinesfalls darauf beschränkt. Im Gegenteil. Richtig spannend wird es im Vogtland, wenn plötzlich Menschen aus ganz unterschiedlichen Branchen zusammensitzen: Instrumentenbauer, Touristiker, Ärzte aus den Kurbädern und gemeinsam Ideen entwickeln: spezielle Kuren etwa für berufsgeschädigte Musiker mit den dazu passenden Instrumenten. Hier springen plötzlich Funken über, entstehen branchenübergreifend Ideen und Projekte, an die man vorher im Traum nicht gedacht hat.

    "Musicon Valley" hat Bewegung in das Vogtland gebracht, formt langsam aber sicher das Profil der Region neu. Zur Zeit werden 29 Projekte gefördert, daran sind fast 90 Handwerksfirmen beteiligt und viele Dienstleister.

    "Musicon Valley" ist eins von 23 InnoRegios in den neuen Bundesländern. Sie decken unterschiedlichste Branchen ab: Biotechnologie, Maschinenbau oder Textilindustrie, wobei die Fragen gleich sind, auf die alle InnoRegios eine Antwort finden müssen: Was können wir? Was wollen wir? Was tun wir? Und: Wie entwickeln wir daraus eine Kernkompetenz?

    Kernkompetenzen spielen auch bei "InnTex" eine wichtige Rolle in der Region Chemnitz. Dort siedelt schon seit altersher das Textilgewerbe. Nach der Wende sank bis 1993 die Zahl der Beschäftigten in den Kleidungsunternehmen von 93.000 auf 10.000. Danach konsolidierte die Branche. Heute prägen 154 Industrieunternehmen, vier Forschungsinstitute und eine Fachhochschule mit textilen Studienrichtungen das Profil der Region. Kaum war der Wettbewerb ausgeschrieben, da hatte Franz Rudolph schon 54 Unterschriften von Firmen beisammen, die mitmachen und ihre Chance nutzen wollten. Für das InnoRegio waren die Firmen vorbereitet, sie hatten auch vorher schon gut zusammengearbeitet. Da passte das Förderprogramm wie die Faust aufs Auge, meint der Unternehmensberater und Initiator von "InnTex". Franz Rudolph, sieht seine Aufgabe vor allem darin, den Brückenschlag zwischen Forschung und Unternehmen zu organisieren:

    Das klingt etwas simpel, ist es aber nicht, weil Forschung nach wie vor in hohem Maße bedeutet, Forschung in Instituten. Dafür gibt es sehr viele Förderprogramme, aber wenn man sich anschaut, was am Ende an neuen Produkten und Technologien beim Unternehmen herauskommt, so ist die Quote doch relativ gering, von dem, was an Mitteln in Instituten eingesetzt wird. Und das ist auch eine der Zielrichtungen von InnoRegio, diese Mittel effizienter einzusetzen, also das heißt, unternehmenskonkreter am Markt orientierter das geschieht nicht automatisch, weil viele Unternehmen sind nicht in der Lage, ...die können zwar sagen, in dem Produkt hätten wir eine Idee, etwas weiterzuentwickeln, wir wissen aus der internationalen Entwicklung, da müssten wir hin, aber das zu beschreiben, wissenschaftlich zu beschreiben, als Förderprojekt, das man einen Antrag stellen kann, das schaffe ich nicht. Entweder macht das ein Institut oder ich habe einen Dienstleister, der mir dabei hilft und einen Verbund organisiert, denn die meisten Forschungsprojekte sind ja ein Verbund von Instituten und mehreren Unternehmen. Das ist ein extra Job. Das ist ein Job des Netzwerkmanagements.

    Wichtig ist dem Netzwerkmanager auch die strategische Orientierung der Branche. Er meint zunächst damit, dass viele Unternehmen kaum über den Tellerrand hinausschauen. Und wenn doch, dann oft durch die Brille der westdeutschen Konkurrenz, was die machten. Das reiche aber nicht aus. Man müsse weiterblicken, ins Ausland, nach Italien zum Beispiel, um auf neue Ideen zu kommen.

    Vielleicht liegt die Zukunft bei leuchtenden Textilien? "InnTex" jedenfalls hat eine Kooperation von zehn Unternehmen und zwei Instituten gebildet, die dieses Thema auf Produktchancen überprüft. Bei Schutzkleidung könne es noch eine große Rolle spielen; in Italien und in Japan wird dazu geforscht und entwickelt. Auch bei den technischen Textilien versucht "InnTex" der Branche Wege aufzuzeigen, die zu neuen Produkten und Märkten führen - und zu Standortvorteilen. Betriebe, die solche Textilien herstellen, lassen sich nur schlecht nach Indien, China oder in die Türkei auslagern: zu verschieden sind die vielen Einsatzmöglichkeiten, zu speziell das Know-How.

    Einer, der bei "InnTex" auch über neue Einsatzmöglichkeiten nachsinnt, ist Paul Plesken, Inhaber der VTT Vliestextilien GmbH in Chemnitz. Der 59jährige, früher Betriebsdirektor bei Malimo, einem Textilunternehmen, wollte es auf seine älteren Tage noch einmal wissen und gründete Mitte der 90er Jahre seine eigene Firma, die technische Textilien für Automobilzulieferer fertigt und für die Möbelindustrie. Ein neues Produkt steht bei Vliestextilien bald vor der Markteinführung. Paul Plesken:

    Es ist ein so genanntes Absorptionstextil, das heißt, mit diesem Textil werden Öle absorbiert, das Ganze basiert auf Altlederfasern, Leder ist ja ein Faserstoff, ein Naturrohstoff, das wird zerschreddert und dieses Leder kann ja sehr viel Öl binden und das ganze haben wir in eine textile Hülle gebracht, weil wir den Vorteil, den dieses Leder bieten kann als Naturrohstoff, indem dort Mikroorganismen leben können, nutzen wollten, indem man dieses Produkt mehrfach anwenden kann, also, das Alleinstellungsmerkmal für das Produkt heißt auf der Basis von Naturrohstoff Öl zu binden, ein Naturrohstoff, der ein genügend hohes Aufkommen in Deutschland hat, in Form von Altleder und zweitens haben wir die Möglichkeit mit Mikroorganismen eine Mehrfachanwendung dieses Produktes sicherzustellen. Und diese beiden Alleinstellungsmerkmale reichen uns eigentlich schon, um auf einen erfolgreichen Markteinstieg zu glauben.

    Entwickelt hat Paul Plesken das Produkt mit zwei Partnern: dem Sächsischen Textilforschungsinstitut und einer Chemitzer Entwicklungsfirma für Textilmaschinen. Die Mittel für Entwicklungsarbeiten, Material- und Personalaufwendungen stellte "InnTex" bereit. Ein zweites Projekt ist bei Paul Plesken schon in der Pipeline. Auch spielt "InnTex" eine wichtige Rolle. Mit den Fördermitteln aus Berlin und seinem 50%-Eigenanteil wird der Unternehmer sein Wachstum beschleunigen. Einen Zugewinn sieht er aber auch für die Textilregion Mittelsachsen:

    Es hat schon Leben in die Landschaft gebracht. A) kennen sich die Firmen untereinander besser, man weiß, wer was macht und man kann mehr auf Zulieferung zueinander zurückgreifen und b) bin ich der Überzeugung, es wären vielleicht einige Firmen gar nicht mehr da. Wenn es InnoRegio nicht gäbe, beziehungsweise, es würden einige Firmen gar nicht erst gegründet sein. Es hat schon ein buntes Leben in die Landschaft gebracht, indem man sich auf die eigenen Stärken, die man hat, besinnt und das ganze versucht, zu bündeln, zu einer gemeinsamen Linie, um irgendetwas auf den Markt zu bringen.

    Spielt Konkurrenz bei InnoRegio keine Rolle? Immer weniger. Natürlich hatten nicht wenige Unternehmer anfangs Angst davor, sich in die Karten schauen zu lassen. Doch die Angst hat sich inzwischen gelegt. Die Unternehmer entdecken, dass Kooperation den eigenen Geschäften förderlich sein kann. Dass man gemeinsam stärker ist am Markt, wenn man z.B. System- statt Einzelprodukte entwickelt. Etwa in der Automobil- oder Werftindustrie. Martin-Christoph Wanner von der "Maritimen Allianz", einem InnoRegio in Mecklenburg-Vorpommern:

    Es gibt hier die Mecklenburger Metallguss in Waren, ein Hersteller von Schiffspropellern, der auf dem Weltmarkt recht gut platziert Man hat im Rahmen von InnoRegio diesen Hersteller zusammengeführt mit einem Ruderanlagenhersteller, um komplette Antriebssysteme und Manöveriersysteme zu entwickeln in Kombination mit einem Ingenieurbüro in Rostock. Ziel von InnoRegio ist gewesen, Firmen zu bündeln, die auf ein Systemprodukt zuarbeiten, also nicht nur eine Schiffsschraube liefern, sondern zu der Schiffsschraube auch die Ruderanlage und zu der Schiffsschraube auch noch die ganzen hydromechanischen Berechnungen.

    Nur soweit darf InnoRegio Forschungs- und Entwicklungsvorhaben fördern. Sonst wäre schnell von Wettbewerbsverzerrung die Rede. Das Endprodukt müssen die Unternehmer selbst herstellen und die Markteinführung organisieren.

    InnoRegio traf einen Nerv der Zeit. Wohl auch den der Beteiligten. Als Programm musste InnoRegio anfangs regelrecht eingeübt werden. Anders gesagt: Man musste sich erst einmal zusammenraufen. Hans-Peter Hiepe:

    Also, das was heute mit dem Wort auf der Suche nach den Alleinstellungsmerkmalen beschrieben wird, das fällt einigen InnoRegios, das fällt einer ganzen Reihe von InnoRegios in diesem Prozess nicht leicht, das fällt aber auch einzelnen Akteuren nicht leicht, weil, jeder hat natürlich und das ist ja auch gewollt, sein eigenes unternehmerisches Interesse oder das Interesse einer Forschungseinrichtung oder auch sein persönliches Interesse eingebracht in einen solchen Prozess. InnoRegio ist keine Harmonieveranstaltung. Das ist ein dynamischer Prozess in einer Region, in dem vor allen dingen sehr stark die Interessen der Beteiligten ausgehandelt werden müssen, das ist eines der Erfolgsgeheimnisse, dass die Interessen kommuniziert werden und ausgehandelt werden müssen.

    Was Hans-Peter Hiepe hier als kreativen Prozess beschreibt, muss in den letzten Jahren manchmal auch ziemlich dröge gewirkt haben. Es war nicht immer leicht, aus dem Wolkenkuckucksheim schöner Ideen den Weg in die Praxis zu finden und die Ideen immer wieder auf ihre wirtschaftlichen Chancen abzuklopfen. Auf Evaluierungsworkshops sind da schon die Fetzen geflogen, wenn insistent gefragt wurde etwa nach der Praxisrelevanz der neu erdachten Produkte. Oder, ob diese die Kernkompetenz der InnoRegio wirklich stärken. Manche Teilnehmer sollen bei den Auseinandersetzungen auch bleich geworden sein, wird erzählt.

    Bei den 23 InnoRegios ist inzwischen die Halbzeit eingeläutet. Was haben sie bisher geleistet? Wie passen ihr Anspruch und ihre Wirklichkeit nach drei Jahren zusammen? Der Anspruch ist ja hoch. Da sollen regionale Wachstumszentren mit innovativen Produkten entstehen, natürlich auch Arbeitsplätze und die Akteure erwarten, dass sich neue Zulieferer und Dienstleister in den Regionen ansiedeln. Noch ist das alles mehr Theorie als Praxis. Natürlich sind durch InnoRegio inzwischen viele Arbeitsplätze geschaffen worden und haben sich etwa 50 Unternehmen neu gegründet. Von den 600 Einzelprojekten sind allerdings erst 130 Forschungs- und Entwicklungsvorhaben ausgelaufen. Jetzt muss sich in den nächsten Jahren zeigen, ob daraus tatsächlich marktfähige Produkte entstehen und die InnoRegio-Regionen wirtschaftlich voranbringen.

    Als großes Plus ist aber schon heute zu verbuchen, dass das spezifische Regionen-Know-How durch InnoRegio vielerorts gebündelt und geschärft werden konnte, lauter Pfunde, mit denen in Zukunft gewuchert werden kann, ob es sich nun um die "Maritime Allianz" in Mecklenburg-Vorpommern oder "MAHREG" in Sachsen-Anhalt handelt, Zulieferer der Werft- und. Automobilindustrie.

    InnoRegio hat in den letzten Jahren die Gemüter erregt. Manche sehen in dem Programm das Allheilmittel für den Osten, andere nennen es einen Notgroschen für die kleinen Unternehmen. Beide Meinungen werden InnoRegio nicht gerecht. Weder kann InnoRegio die Wirtschaftspolitik und eine gute Konjunktur ersetzen, noch ist es eine mitleidige Gabe für den armen Osten. Aber: InnoRegio hat ökonomische Selbstheilungskräfte in den Regionen geweckt. Ein Leben ohne InnoRegio können sich viele Teilnehmer nicht mehr vorstellen. Damit sind nur zum Teil die Fördergelder gemeint, sondern ist vor allem die Erfahrung angesprochen, dass man mehr als vorher aufeinander zugeht, Ideen austauscht und neue Produktpotentiale entwickelt.

    Doch gibt es auch InnoRegios, die sich als als unrealistisch erwiesen haben? Hans-Peter Hiepe:

    Das würde ich nicht so sagen, als unrealistisch hat sich bislang noch kein Konzept erwiesen, die 23 InnoRegios haben ein Konzept, das nach wie vor tragfähig ist, die Frage ist immer, ob es die Akteure auch schaffen, das umzusetzen. Das ist das Problem. Und das ist ja nichts Ungewöhnliches, dass es auch die Möglichkeit, das sehe ich im Moment noch nicht, dass es die Möglichkeit des Scheiterns gibt. Das ist ja nicht ehrenrührig. Das ist wie bei einer Unternehmensgründung. Da gibt es ja viele Analogien dazu. Man hat sich einen gemeinsamen Geschäftsplan gegeben und versucht jetzt, den umzusetzen und da gibt es sehr viele Einflussfaktoren, die auch dazu führen können, dass ein Konzept nicht aufgeht. Das ist aber das Risiko, dafür ist ja staatliche Finanzierung und Förderung da und damit muss man leben.

    Auf die Unternehmenslandschaft im Osten wirkt InnoRegio belebend. Viele Unternehmen hätten ohne InnoRegio gar nicht die Möglichkeit, Forschung zu betreiben - dafür fehlt die Zeit und das Geld. Weitere Programme sind aufgelegt, die schon existierende Wachstumskerne in Ostdeutschland fördern sollen. Sie machen zwar die Kahlschlagsanierung nicht rückgängig, die die Treuhand in der ostdeutschen Industrielandschaft hinterlassen hat, setzen aber Kontrapunkte, emotional, sozial und wirtschaftlich.