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Truppenabzug - und dann?

Im kommenden Jahr will die NATO die Sicherheitsverantwortung für mehrere afghanische Provinzen an die Regierung des Landes übergeben. Dieser Plan sei vor allem von der inländischen Kritik der NATO-Länder am Afghanistaneinsatz beeinflusst, sagt der Politikwissenschaftler Jochen Hippler sinngemäß.

Jochen Hippler im Gespräch mit Gerwald Herter | 09.07.2010
    Gerwald Herter: Tausende Bundeswehrsoldaten sollen Afghanistan stabilisieren; tatsächlich befinden sich viele von ihnen in einem Kampfeinsatz. Sie kämpfen und sterben. Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat Anfang der Woche in einem Interview deutlich gemacht, dass er mit weiteren deutschen Opfern rechnet. Dass der Afghanistaneinsatz in der deutschen Bevölkerung nicht populär ist, weiß die Bundesregierung längst. Offenbar hat sie sich inzwischen damit abgefunden, dass das bis zum Ende des Einsatzes so bleiben wird.
    Gut möglich, dass nach dem Abzug der ISAF-Truppen in Afghanistan vor allem Spezialtruppen wie das deutsche KSK und Geheimdienste wie der deutsche Bundesnachrichtendienst präsent bleiben. Auch das hat Verteidigungsminister zu Guttenberg bereits angedeutet. Der Zeitpunkt ist noch offen. Schon jetzt beschränkt sich das deutsche Engagement in Afghanistan allerdings keineswegs auf die Bundeswehr. Ich bin nun mit dem Duisburger Politikwissenschaftler Jochen Hippler verbunden, einer der deutschen Fachleute, auch wenn es um Fragen des Umgangs mit Aufständischen in Afghanistan geht. Guten Tag, Herr Hippler.

    Jochen Hippler: Guten Tag, Herr Herter.

    Herter: Herr Hippler, schon im nächsten Jahr also will die NATO die Sicherheitsverantwortung für mehrere Provinzen an die afghanische Regierung übergeben. Ist das der richtige Zeitplan?

    Hippler: Nun, das ist ein Zeitplan, der sehr stark auch von der westlichen Innenpolitik getrieben worden wird, es ist ein Zeitplan, der auch damit zu erklären ist, dass die Politik der letzten Jahre, auch die sicherheitspolitischen Versuche, nicht besonders erfolgreich gewesen ist. Insofern: es gibt viele Skeptiker, die sich mit den afghanischen Sicherheitskräften auskennen, die darauf hinweisen, dass sie noch nicht sehr weit sein werden, und darum werden ja auch solche Äußerungen in der Regel extrem vorsichtig formuliert. Herr Westerwelle hat ja jetzt auch davon gesprochen, eine Abzugsperspektive erarbeiten zu wollen in den nächsten zwei Jahren, und das ist natürlich wieder an Voraussetzungen gebunden. Das heißt, da wird sehr vorsichtig formuliert, weil man noch nicht absehen kann, was im nächsten Jahr wirklich da vor Ort sein wird.

    Herter: Absehen können wir, dass sich die Sicherheitslage in einigen Teilen Afghanistans erheblich verschärft hat.

    Hippler: Ja! Das ist jetzt seit fünf Jahren, vielleicht vier, fünf Jahren der Fall. Auch in diesem Jahr ist es weiter schwieriger geworden, was deswegen besonders wichtig ist, weil ja die USA und das amerikanische Militär vor Ort auch darauf hingewiesen haben, dass 2010 das Jahr der Entscheidung werden könnte und werden sollte, und wenn in diesem Jahr die Lage sich verschärft, dann ist das sicher eine Sache, die im Allgemeinen zu Nervosität und zu Unruhe Anlass gibt.

    Herter: Diesen innenpolitischen Druck haben Sie angesprochen. Haben Sie die Sorge, dass innenpolitische Überlegungen völlig im Vordergrund stehen werden und das, was in Afghanistan selber passiert, eigentlich gar keine Rolle mehr spielt?

    Hippler: "Keine Rolle spielt" wäre vielleicht ein bisschen zu scharf ausgedrückt, aber wir müssen uns daran erinnern, dass eigentlich von Anfang an der Bundeswehreinsatz in Afghanistan sehr wenig mit Afghanistan zu tun hatte. Bundeskanzler Schröder hatte im Dezember 2001, als es im Bundestag um die Truppenentsendung ging, ja darauf hingewiesen, dass der erfolgte, um Solidarität mit Washington nach dem 11. September auszudrücken, und er hat damals gesagt, dass die Erfolgsaussichten nicht absehbar wären und eigentlich auch nebensächlich seien, weil die Solidarität könne man ja nicht von dem Erfolg abhängig machen. Insofern: der Ausgangspunkt der ganzen Bundeswehr-Entsendung hatte nichts mit Afghanistan, sondern sehr viel mit deutsch-amerikanischen Beziehungen, mit den Beziehungen innerhalb der NATO zu tun. Dann, danach, wenn man erst mal da ist, muss man sich natürlich auch um Afghanistan kümmern, man kann nicht 4500 Soldaten hinschicken in ein Umfeld, was man dann nicht wirklich zur Kenntnis nimmt. Aber aufgrund des zunehmenden Scheiterns in den letzten Jahren drängen sich jetzt halt wieder innenpolitische Erwägungen, die überwiegende überwältigende Ablehnung des Einsatzes in der deutschen Bevölkerung, auch zunehmend in Amerika, in den Vordergrund, und jetzt scheint wirklich die Frage, halbwegs heil rauszukommen, immer eine wichtigere Rolle zu spielen und was in Afghanistan vor sich geht eher weiter nach hinten zu rücken.

    Herter: Klare Kriterien, die erfüllt sein müssen, wenn die ausländischen Truppen aus Afghanistan abziehen sollen, gab es also von Anfang nicht. Gibt es die inzwischen?

    Hippler: Nun, es gab manchmal zwischendurch schon Kriterien, nicht direkt für den Abzug, aber für den Erfolg. Wenn sie zum Beispiel diesen Afghanistan-Compact aus der Londoner Konferenz von 2006 nehmen, da gab es schon alle möglichen Kriterien für Erfolg oder Scheitern. Die sind dann allerdings sehr schnell und sehr souverän ignoriert worden, weil es eben ziemlich unangenehm gewesen wäre, sich einzugestehen, dass die überwiegend nicht erreicht werden konnten. Ähnliche gibt es jetzt in dieser neuen Afghanistanstrategie, die von Präsident Obama im Dezember verkündigt wurde und dann im Januar in London noch mal übernommen wurde und jetzt auch zur Grundlage der deutschen Politik geworden ist. Da gibt es eine Reihe, insbesondere auf der US-Ebene von relativ deutlichen Kriterien. Etwa hat Frau Clinton als Außenministerin in einem Papier im Januar die schriftlich formuliert. Aber jetzt wird es eben darauf ankommen, ob solche Kriterien auch beachtet werden, weil frühere Kriterien wurden formuliert und dann, sobald sie lästig wurden, wieder vergessen, und wir wissen jetzt im Moment natürlich noch nicht, ob diese neuen Kriterien, also etwa ein Sinken des Gewaltniveaus, oder bestimmte andere relativ deutliche Dinge, beachtet werden, oder ob das halt wieder dann nur eine Lösung ist für eine zwischenzeitliche Öffentlichkeitsarbeit.

    Herter: Da besteht also die Gefahr, dass Erfolge, die es auch gegeben hat in Afghanistan, aufs Spiel gesetzt werden wegen eines zu frühen Abzugs?

    Hippler: Na ja, wissen Sie, Erfolge gibt es eine ganze Menge, wenn wir unsere technischen Kriterien ansehen: wie viel Kilometer Straßen wurden gebaut, wie viele medizinische Gesundheitsposten, wie viele Schulen werden gebaut? Aber das Entscheidende ist natürlich, dass die amerikanischen Truppen und die deutschen Truppen nicht nach Afghanistan gegangen sind, um dort Straßen zu bauen, oder Gesundheitsposten zu bauen, sondern sie sind nach Afghanistan geschickt worden, um eine sicherheitspolitische Stabilisierung zu erreichen, um die Gewalt zu bekämpfen, um offiziell Terrorismus zu bekämpfen und solche Dinge, und das müssen natürlich dann auch die Kriterien sein, ob man Erfolg hat oder scheitert. In diesen Kriterien, die den Kern des Einsatzes betreffen, da ist von Erfolgen im Moment wirklich überhaupt nichts zu sehen, und deswegen reden natürlich relativ viele Leute gerne dann davon, was man alles sonst noch erreicht hätte, nämlich wie gesagt Straßen bauen und Schulen bauen. Das ist alles toll, aber das ist nicht der Sinn des Afghanistaneinsatzes gewesen und deswegen kann es auch nicht zur Gesamterfolgskontrolle wesentlich herangezogen werden.

    Herter: Herr Hippler, auch wenn es weit greift, glauben Sie, dass die Tage der Regierung Karsai am Ende sind, wenn einmal ausländische Truppen abziehen, dass die Stabilität völlig am Ende ist in Afghanistan, wenn die ISAF sich davonmacht?

    Hippler: Es hängt im Wesentlichen davon ab, ob es der Regierung Karsai noch gelingt, von einer zunehmend wenig legitimierten Regierung, von einer korrupten Regierung, von einer zunehmend misstrauten Regierung doch noch zu einer zu werden, die die Afghanen annehmen. Wenn ihr das gelingt, dann ist sie trotzdem noch in großen Schwierigkeiten bei dem Abzug, aber sie hat zumindest eine Chance, während wenn sie weiterhin alles tut, um Korruption und Wahlfälschung zu ihren Markenzeichen zu machen, dann ist sie natürlich vollkommen abhängig davon, von der ausländischen Unterstützung, und dann wird in wenigen Jahren längstens sie der Vergangenheit angehören, wenn der internationale Schirm weg wäre.

    Herter: Das war der Politikwissenschaftler Jochen Hippler über die Zukunft Afghanistans. Herr Hippler, vielen Dank für das Gespräch.

    Hippler: Sehr gerne.