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Tschaikowsky/Myaskovsky - Violinkonzerte

Am vergangenen Sonntag konnte ich Ihnen um diese Zeit an dieser Stelle zwei russische Klavierkonzerte vorstellen; heute fällt die Wahl auf zwei Violinkonzerte russischer Komponisten, wieder ausgeführt von russischen Musikern. In beiden Fällen stammen die Aufnahmen von großen westlichen Schallplattenkonzernen wie Deutsche Grammophon oder Philips. Nicht auszuschließen ist, dass die Manager und Produzenten dort in letzter Zeit zunehmend ihr Herz für russische Musik entdeckt haben; wahrscheinlich ist in diesen für die Branche nicht ganz einfachen Krisenzeiten aber auch der kühle Kopf beteiligt mit der ökonomischen Überlegung, dass man deutlich preiswerter zu ausgesprochen guten Ergebnissen kommt, wenn man anstelle westeuropäischer Musiker deren osteuropäische Kollegen verpflichtet, zumal die auch vertraglich weniger gebunden und was ihre gewerkschaftlich erkämpften Rechte angeht auch deutlich flexibler sein dürften. Wenn dann noch ein weltweit anerkannter Solist hinzukommt und das ausgewählte Repertoire klug etwas Gängiges und Bekanntes mit einem etwas weniger vertrauten Werk koppelt, ist der Erfolg fast vorprogrammiert. Das könnte auch für die vorliegende Aufnahme des Violinkonzertes (eins hat er nur geschrieben) von Peter Tschaikowsky zutreffen: gekoppelt ist es mit dem Violinkonzert von Nikolai Myaskovsky; gespielt werden beide Werke von Vadim Repin und dem Kirov Orchester unter der Leitung von Valery Gergiev. * Musikbeispiel: Peter Tschaikowsky - 1. Satz (Ausschnitt) aus: Konzert für Violine und Orchester D-Dur, op. 35 Der in Sibirien geborene Geiger Vadim Repin studierte bei Zakhar Bron und begann seine internationale Karriere, nachdem er einen der begehrtesten Violin-Wettbewerbe, den Concours Reine Elisabeth, gewonnen hatte. Seitdem ist er mit den bedeutendsten Orchestern der Welt aufgetreten, z.B. mit dem Koninklijk Concertgebouworkest, dem Cleveland und dem Los Angeles Philharmonic Orchestra und mit den Münchner Philharmonikern unter Dirigenten wie Pierre Boulez, Neville Marriner, James Levine, Zubin Mehta, Kent Nagano oder Simon Rattle. Seinen guten Ruf erlangte er nicht zuletzt durch seine Interpretationen Neuer Musik. Immer wieder gerne wird im Zusammenhang mit seinem Spiel Yehudi Menuhin zitiert, der Repin einfach für den besten, perfektesten Geiger hielt, den er je gehört habe... Daran mag die wunderbare Violine von Giuseppe Guarneri von 1736, auf der er bei der vorliegenden Aufnahme spielt, einen gewissen Anteil haben - der wichtigere liegt sicherlich begründet in musikalischem Talent, durch steten Fleiß erworbener, sagenhafter Spieltechnik und scharfem analytischen Verstand. In komprimierter Form können Sie alles das auf vorliegender CD in der Kadenz des Myaskovsky-Konzerts erleben. * Musikbeispiel: Nikolai Myaskovsky - 1. Satz (Ausschnitt) aus: Konzert für Violine und Orchester d-moll, op. 44 Überhaupt ist es dieses bislang nicht auf Platte verfügbare, entdeckenswerte Konzert von Nikolai Myaskovsky, das den besonderen Reiz dieser Neuveröffentlichung ausmacht, zumal Vadim Repin das Tschaikowsky-Konzert bereits einmal Mitte der 90er Jahre für Erato eingespielt hat.

Ludwig Rink |
    Nikolai Myaskovsky wurde 1881, also im Jahr der Uraufführung von Tschaikowskys Violinkonzert geboren und bleibt auch heute noch eine geheimnisumwitterte Figur. Daran mag sein wohl eher verschlossener Charakter Schuld sein und die Tatsache, dass seine Musik bis heute wenig bekannt ist. Aber es dürften auch die bewegten Zeitläufe gewesen sein, in die Myaskovsky hineingeboren wurde und auf die er reagieren musste - Krieg, Revolution, Stalinismus. Nachdem er zunächst Militärtechniker hatte werden wollen, begann er erst im Alter von 25 Jahren ein Musikstudium am Konservatorium von St. Petersburg, wo Nikolai Rimski-Korsakow einer seiner Lehrer war. Dort begegnete er auch dem um zehn Jahre jüngeren Prokofieff, mit dem ihn dann eine lebenslange Freundschaft verband. Den 1. Weltkrieg machte Myaskovsky als Pionieroffizier mit; nach seiner Rückkehr wurde er 1921 als Kompositionslehrer an das Moskauer Konservatorium berufen. Neben dieser langjährigen Hochschultätigkeit übernahm er eine Vielzahl von Ämtern und Aufgaben: er war Mitglied im Volksbildungskommissariat, in der künstlerischen Sektion des Staatlichen Gelehrtenrates, arbeitete im Staatsverlag für Musik, im Verband Sowjetischer Komponisten und im Redaktionskollegium der Zeitschrift ''Sowjetskaja Musyka''. Seine Verdienste wurden von der Regierung mit einer Fülle von Auszeichnungen und Ehrungen anerkannt: mehrfacher Stalinpreis, Titel eines Volkskünstlers, Verleihung des eher seltenen akademischen Grades eines Doktors der Kunstwissenschaften. Er glaubte an seinen Auftrag, die Musik als schaffender Künstler, als Lehrer, als Verbandsfunktionär und als Autor behutsam von den großen klassischen Traditionen eines Tschaikowski in die neue Zeit führen zu müssen. Gerade seine 27 Sinfonien legen davon Zeugnis ab: neben aller künstlerischen und handwerklichen Perfektion sind sie eine Art Tagebuch der Epoche, Spiegelbild der ungeheuren Wandlungen im Selbstverständnis der Menschen, im gesellschaftlichen und politischen Umfeld. Manches trägt die Züge typischer sowjetischer Gebrauchs- oder Feiertagsmusik, anderes ist von unergründlicher Dunkelheit und Depression. Das 1938 komponierte Violinkonzert entpuppt sich als viel bedeutender und allgemein gültiger als viele seiner Sinfonien: eine kritische Reflexion der Gattung Violinkonzert, ergiebig für die Selbstdarstellung des Solisten, vielschichtig im Orchesterpart und dennoch relativ leicht zu verfolgen für den Zuhörer. 20 Minuten dauert dabei allein der groß und sinfonisch angelegte erste Satz, aus dem Sie bereits die Kadenz hörten, dann folgt ein lyrischer zweiter und dann der folgende, von russischer Volksmusik inspirierte letzte Satz. * Musikbeispiel: Nikolai Myaskovsky - 3. Satz aus: Konzert für Violine und Orchester d-moll, op. 44 Die Neue Platte - heute mit Violinkonzerten von Tschaikowsky und Myaskovsky, eingespielt von Vadim Repin und dem Kirov Orchester St. Petersburg unter der Leitung von Valery Gergiev. Zuletzt hörten Sie den Schluss-Satz aus dem Violinkonzert d-moll von Nikolai Myaskovsky. Im Studio verabschiedet sich Ludwig Rink.