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Tschechiens Ringen um die Europapolitik

Die Gräben in der fragilen Mitte-Rechts-Koalition Tschechiens sind tief - gerade, wenn es um den europapolitischen Kurs des Landes geht: Während Außenminister Schwarzenberg für mehr Integration wirbt, hat Ministerpräsident Necas in einer regelrechten "Wutrede" seinen EU-skeptischen Kurs verteidigt.

Von Stefan Heinlein | 31.08.2012
    Einmal im Jahr kommen die tschechischen Botschafter aus aller Welt zurück nach Prag, um dort mit der Regierung über die internationale Rolle des Landes zu diskutieren. Doch bereits zum Auftakt wird die Konferenz zum außenpolitischen Schlachtfeld. Ministerpräsident Necas nutzt die Gelegenheit um in einer Grundsatzrede mit den Kritikern seines EU-skeptischen Kurses abzurechnen:

    "Seit unserem EU-Beitritt wird immer über die gleiche Frage debattiert. Wo ist unser Platz in Europa? Müssen wir im Hauptstrom der EU mitschwimmen? Das ist die absurde Perspektive eines chronischen Paranoiden, der befürchtet, dass jede kleine Entscheidung uns an den Rand der EU bringt."

    Tschechien müsse nicht alle Schritte der Integration mitgehen – ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten sei unvermeidlich. Die Wutrede des konservativen Regierungschefs geht an die Adresse von Karel Schwarzenberg. Immer wieder warnt der Außenminister vor der Isolierung seines Landes. Auch diesmal wirbt er offen für eine aktivere Rolle Tschechiens in Brüssel:

    "Wir müssen unsere Rolle in der EU finden und dort eine gute Arbeit machen. Nur dann werden wir in Zukunft Einfluss haben und nicht, wenn wir von unseren europäischen Partnern als Enfant terrible gesehen werden."

    Doch rund die Hälfte der Bevölkerung teilt die EU-Skepsis des Ministerpräsidenten. Viele Tschechen unterstützen die Ablehnung des europäischen Fiskalpaktes durch Prag und sind heilfroh über die Vertagung eines möglichen Euro-Beitritts des Landes in eine ferne Zukunft. An der Spitze der EU-Kritiker steht seit Jahren Vaclav Klaus. Seine scharfen Attacken auf Brüssel sind eine weitere Stimme im mehrstimmigen Chor der tschechischen Europapolitik. Wenige Monate vor dem Ende seiner zweiten Amtszeit hält der Präsident sogar eine Teilauflösung der europäischen Union für möglich:

    "Die zu schnelle Integration des europäischen Kontinents hat zu Problemen geführt. Jetzt warnen manche vor einer Katastrophe, wenn sich daran etwas ändert. Das ist absoluter Unsinn. Eine teilweise Desintegration würde umgekehrt sogar eine Erleichterung für Europa bringen."

    Anfang kommenden Jahres wird in Tschechien ein neuer Präsident gewählt. Vaclav Klaus darf nicht mehr antreten. Zum ersten Mal wird das Staatsoberhaupt direkt durch das Volk gewählt. Viele Beobachter hoffen nach der Abstimmung auf eine Kurskorrektur der tschechischen Europapolitik. In den Medien wird die aktuelle europapolitische Kakophonie der Regierungskoalition scharf kritisiert. Langfristig, so hofft auch der Prager Starökonom Tomas Sedlacek, werde Tschechien ein fester und zuverlässiger Bestandteil der europäischen Politik:

    "Ich glaube, dass Tschechien zum starken Integrationskern der EU gehören sollte. Wir müssen uns von der Mentalität des armen Nachbarn verabschieden. Wir sollten stolz darauf sein, mit allen europäischen Ländern an einem Tisch zu sitzen und ihnen helfen zu können. So, wie man uns in den vergangenen 20 Jahren geholfen hat."

    Derzeit jedoch gibt es kaum Anzeichen für eine tschechische Hilfsbereitschaft gegenüber den angeschlagenen Euro-Staaten. Auch der Wille mit gemeinsamen Anstrengungen die europäische Wirtschafts- und Währungskrise zu bewältigen, ist eher gering. Die Führung der Regierungspartei ODS forderte Ministerpräsident Necas auf, einen tschechischen Beitritt zu der von EU-Kommission geplanten Bankenunion zu verhindern.