Donnerstag, 25. April 2024

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Tschechischer Schriftsteller Jaroslav Rudis
"Mit Hass gegenüber allem Fremden aufgewachsen"

Woher kommt die ablehnende Haltung Tschechiens gegenüber Flüchtlingen? Der tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudis macht dafür die nationalistische Erziehung in den 80er-Jahren und die lange Isolation des Landes verantwortlich. Tschechien habe wenig Erfahrung mit Flüchtlingen, aber umso mehr Ängste und Vorurteile gegenüber allem Fremden, sagte Rudis im DLF.

Jaroslav Rudis im Gespräch mit Jasper Barenberg | 12.05.2016
    Der tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudis
    Rudis: "Man fragt sich schon, wo ist das Mitgefühl geblieben?" (dpa / picture-alliance / Horazny Josef)
    Jaroslav Radis sagte im Deutschlandfunk, in den 80er Jahren seien die Menschen in Tschechien sehr nationalistisch geprägt worden. "Wir sind aufgewachsen mit Hass gegenüber allem, was fremd und anders war." Feindbild Nummer 1 zu dieser Zeit sei Deutschland gewesen, vor allem die Sudetendeutschen. Aber auch das Verhältnis zur Sowjetunion sei gespalten gewesen. Der Schriftsteller betonte, Tschechien sei wie alle mittel-osteuropäischen Länder zutiefst einsam und für sehr lange Zeit isoliert gewesen. "Aber auch nach der Wende blieben wir verschlossen." Wenige wanderten aus, wenige wanderten ein. Man habe daher sehr wenig Erfahrung mit Fremden.
    Radis äußerte sich besorgt über die aktuellen Ressentiments gegenüber Flüchtlingen und dem Islam. Er habe Angst, dass die Debatte die tschechische Gesellschaft spalte. Schon jetzt nähmen die Anfeindungen gegen die Elite und alle, die sich für Flüchtlinge einsetzten, zu, pro-europäische Politiker würden massiv in den sozialen Netzwerken angegriffen.

    Jasper Barenberg: Der Streit mit Ankara wird heftiger. Das Abkommen selbst gerät ins Wanken. Da schlägt umso mehr zu Buche, dass Europa selbst unfähig ist, den Umgang mit Flüchtlingen fair und gerecht zu organisieren. Eine automatische und gerechte Verteilung der Flüchtlinge in der EU schlägt ja die Kommission in Brüssel vor und die Möglichkeit, sich dem zu entziehen, dann allerdings einen saftigen Ausgleich dafür zu zahlen. "Unannehmbar" war die Reaktion in Polen, "Erpressung" nennt man das in Ungarn und auch in Tschechien haben Regierungspolitiker zuletzt gereizt auf Vorhaltungen etwa von Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn reagiert. Da war von wirtschaftlicher Erpressung und von politischem Diktat die Rede. Am Telefon ist der tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudis, der auch auf Deutsch schreibt und zum Teil in Deutschland lebt und den wir heute Morgen in Berlin erreichen. Schönen guten Morgen.
    Jaroslav Rudis: Guten Morgen aus Berlin.
    Barenberg: Wenn diese Stichworte fallen, wirtschaftliche Erpressung, politisches Diktat, wenn einmal mehr klar wird, dass beispielsweise Tschechien es vehement ablehnt, ein größeres Kontingent von Flüchtlingen auch auf Dauer, auch regelmäßig zu übernehmen, dann rätseln wir seit Wochen und Monaten, woher diese Härte kommt. Welche Erklärung haben Sie dafür?
    Rudis: Woher kommt diese Angst? Woher kommen diese Vorurteile gegenüber den Flüchtlingen? Wo ist dieses Mitgefühl hin, kann man sich auch fragen? Letztendlich sind viele Leute aus der ehemaligen Tschechoslowakei auch geflüchtet und auch schon früher zu den k. u. k. Zeiten haben viele Leute Böhmen verlassen und wurden dann in anderen Ländern natürlich auch willkommen. Ich frage mich das natürlich auch und immer wieder komme ich zu einem gewissen Punkt zurück, wenn das vielleicht so ein Nationalismus wäre wie in den 80er-Jahren. Ich war in der Schule in den 80er-Jahren. Dann wurden wir wirklich sehr, sehr nationalistisch geprägt. Die ganze Zeit hat man über Internationalismus gesprochen, über Arbeiter der ganzen Welt, die zusammenhalten müssen. Aber in der Tat sind wir wirklich in einem gewissen Hass gegenüber allem, was fremd und anders war, aufgewachsen. Unser Feindbild Nummer eins war natürlich damals Deutschland, alles was deutsch war oder sudetendeutsch war. Aber auch das Verhältnis zur Sowjetunion war sehr gespalten. Wir sollten die Sowjetunion quasi lieben, aber natürlich man hat die nicht nur als Befreier von '45 betrachtet, sondern auch die Okkupanten vom Prager Frühling von 1968. Vielleicht liegen die Gründe von dieser Angst und Unfreundlichkeit doch auch in dieser Erziehung und in dieser Isolation. Letztendlich alle diese mittelosteuropäischen Länder, wo sich diese Stimmung verbreitet, waren zutiefst einsam und irgendwie auch isoliert für sehr, sehr, sehr lange Zeit.
    "Wir haben eine niedrigere Arbeitslosigkeit als in Deutschland"
    Barenberg: Das klingt alles sehr plausibel und nachvollziehbar, aber man könnte ja glauben, dass das nun auch schon viele, viele Jahre zurückliegt, dass das Land eine andere Entwicklung genommen hat und vielleicht auch andere Erfahrungen in Europa dazugekommen sind. Warum passiert das nicht? Warum hält sich das so?
    Rudis: Das braucht offenbar schon doch ein bisschen mehr Zeit. Ich weiß, 1989 oder dann, als mein Land, also Tschechien der EU beigetreten ist 2004, da hat man unglaublich viel Energie und Zustimmung für Europa gefunden. Man hat sich vielleicht auch erhofft, das wird jetzt alles viel schnell besser und uns geht es genauso gut wie den Deutschen. Tatsächlich geht es uns Tschechen, aber auch den Polen oder Slowaken wirklich nicht schlecht. Das muss vielen auch Europakritikern ganz klar sein bei uns, dass es unserem Land noch nie so gut ging wie heutzutage. Wir haben ja eine niedrigere Arbeitslosigkeit als in Deutschland. Die liegt jetzt bei 4,1 Prozent. Ich war selber überrascht. Ich dachte, das sei ein Druckfehler. Das war letzte Woche in der Zeitung. Aber in der Tat ist das so. Aber trotzdem kritisieren viele Leute Europa. Ich meine, die sind nicht gegen Europa. Was in den Prager Kneipen geredet wird, das heißt nicht, dass die ganze Bevölkerung irgendwie jetzt aus der EU austreten will. Das überhaupt nicht.
    "Proeuropäische Politiker werden in den Sozialen Netzwerken angefeindet"
    Aber vielleicht braucht das doch ein bisschen mehr Zeit und wir blieben interessanterweise auch nach der Wende eigentlich ein ziemlich verschlossenes Land. Es sind ziemlich wenige Leute ausgewandert. Viele sind da einfach geblieben und es sind nicht so viele Fremde oder Ausländer auch nach Tschechien gekommen. Wir haben in Wirklichkeit hier sehr wenig Erfahrung. In Tschechien hat man vielleicht nur ein paar Tausend Muslime. Die sind alle aber voll integriert. Aber trotzdem hat man sehr viele Vorurteile gegen den Islam, hat man sehr viel Angst vor den Flüchtlingen, die wir überhaupt nicht kennen, die wir nicht gesehen haben. Das sind Geschichten, die wir nicht kennen, das sind Ängste, die wir nicht kennen. Die Gründe, warum die flüchten, kennen wir auch nicht. Aber trotzdem meine ich, man sollte auch mit diesen Leuten, die diese Ängste haben, ins Gespräch kommen. Das versuche ich immer wieder auch in meiner Stammkneipe in Böhmen, wenn ich zuhause bin, mit denen zu plaudern. Das Problem ist: Woher kommt das? Warum hast Du Angst? Das ist doch alles irrational und irgendwie blöd. Man kann mit denen irgendwie auch sprechen, aber leider nicht mit allen. Da werden eben diese Barrikaden aufgebaut und plötzlich heißt es, Du hast diese Meinung, ich habe diese Meinung und uns trennt etwas, und das ist nicht mehr zu verbinden. Das ist das, wovor ich ein bisschen auch Angst habe, dass plötzlich so ein Graben da in der Gesellschaft steht, und plötzlich werden auch solche Eliten des Landes ein bisschen angefeindet und alle, die sich für Flüchtlinge einsetzen, oder auch proeuropäische Politiker werden in den Sozialen Netzwerken wirklich massenhaft angefeindet. Aber das kennt man natürlich auch mittlerweile aus den anderen Ländern, auch aus Deutschland.
    Barenberg: Sie sind diesem Typus Mensch, den Sie uns da skizziert haben, ja in einem Buch von Ihnen, in dem Buch "Nationalstraße", ein wenig nachgegangen, ein dramatischer Monolog, wo man den Protagonisten auch sagen hört, ich bin ein Europäer, ihr etwa nicht. Und dann sagt er aber auch: Neger raus, Zigos raus, Sozialschmarotzer raus, Schwuchteln raus." Ist das so die Mischung, die Sie selbst auch erlebt und wahrgenommen haben? Und dazu die Frage: Viele sagen ja hier, wir brauchen noch etwas mehr Geduld, wir müssen Ländern wie Tschechien noch etwas mehr Zeit geben. Glauben Sie, dass mit der Zeit sich solche Einstellungen auch überholen und überleben werden?
    "2004 war die Mehrheit der Bevölkerung für den EU-Beitritt"
    Rudis: Ich habe wirklich ganz ehrlich Angst, dass solche Typen wie der van Damme - so heißt mein einsamer Sheriff aus einer Prager Vorstadtsiedlung -, dass die immer da sein werden, immer unterwegs sein werden und immer diese blöden Parolen einfach verbreiten werden. Das ist nichts Neues und das bleibt, denn ein Teil der Gesellschaft neigt einfach dazu. Das ist auch nicht so eine Stimme, die wirklich Oberhand gewinnt in Tschechien. Das überhaupt nicht. Ich wollte nur schon ein bisschen so einen Typen mal beschreiben, um eine Figur vielleicht zu kreieren, die so ist, weil das ist wirklich nicht etwas Neues. Wenn man sich so die 90er-Jahre in Tschechien anschaut, da gab es wirklich solche Roma-Pogrome zum Beispiel. Das ist jetzt alles ein bisschen vergessen. Aber diese Feindlichkeit gegenüber den sogenannten anderen, die gab es ja leider immer, und wahrscheinlich bleibt das. Vielleicht trägt das jeder mit sich, solche Vorurteile und Ängste, und muss das irgendwie für sich versuchen zu bekämpfen, und einer schafft das und einer nicht. Aber was ich mir so denke, was wir vielleicht brauchen, oder die Politik braucht, so ein neues Ziel zu setzen. Das ist natürlich leicht gesagt, aber schwer getan. Ich weiß noch, so 2004 da war wirklich die Mehrheit der Bevölkerung für den EU-Beitritt und überall hat man auch die europäische Flagge gesehen damals, und jetzt muss man sich fast schämen, oder da sind so Leute, die einfach dagegen protestieren, dass auf einem Rathaus eine europäische Flagge hängt, auch wenn das mit den EU-Geldern natürlich wieder vermehrt wurde.
    "Mit der Freiheit stimmt etwas nicht in der Türkei"
    Barenberg: Nun sprechen wir in diesen Tagen viel über das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei und wir erleben, dass das möglicherweise wackeln würde, auch weil es Bedingungen gibt, die die Türkei nicht bereit ist zu erfüllen. Wäre man in Tschechien froh darüber, wenn dieses Abkommen hält, weil man auch froh wäre, wenn die Türkei uns dieses Problem auf absehbare Zeit ein wenig vom Hals halten würde?
    Rudis: Ich meine, da sind die Meinungen genauso zwiespältig wie in dem Beitrag, den wir vorher gehört haben. Ein großes Problem ist für mich irgendwie die Freiheit. Mit der stimmt irgendwie etwas in der Türkei nicht. Für mich bedeutet Freiheit auch zum Beispiel die Freiheit des Humors. Wir haben in Tschechien eine sehr große Tradition von einem Humor, wo man sich über alles und alle lustig machen kann, auch über uns selber, über uns Tschechen. Und wenn man sich diese Debatte angeschaut hat, die wurde auch in Tschechien beobachtet, zwischen Herrn Böhmermann und Frau Merkel und der türkischen Regierung und so, das war echt für mich ein sehr, sehr trauriges Spiel. Dann dachte ich, okay, geht wirklich hier nicht was verloren? Weil wenn wir den Humor verlieren, dann geht auch die Freiheit eigentlich ein bisschen verloren.
    Barenberg: Der Schriftsteller Jaroslav Rudis heute hier live im Deutschlandfunk im Gespräch. Ich bedanke mich sehr!
    Rudis: Danke auch. Tschüss!
    Barenberg: Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.