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Tschechow-Banalisierung

Anton Tschechows melancholisches Drama "Drei Schwestern" ist eher nicht auf dem Boulevard zu Hause. Aber gestern ging es im Theater am Kurfürstendamm unter Begeisterungsstürmen über die Bühne. Verantwortlich dafür: das Trio Katja Riemann, Jasmin Tabatabai und Nicolette Krebitz. Die drei Filmstars standen zum ersten Mal gemeinsam auf den Brettern.

Von Hartmut Krug |
    Es beginnt mit einem Hoffnungsbild zum Popsong: da sitzen fünf junge Leute in einem Loft mit schickem Wintergarten auf dem Sofa und essen in strahlender Laune ihre Äpfel. Doch wenn einer von ihnen vorschlägt, die Plätze zu tauschen, dann sortiert man sich langwierig um, aber nur, um doch wieder die alte Sitzordnung einzunehmen. Hier bewegt sich nichts, hier wird nicht gehandelt, hier wird vor allem geredet und empfunden. Es geht um Gefühle. "Ist nur so´n Gefühl", antwortet eine der Schwestern dem jungen Tusenbach, der in Amina Gusners Version "Frei nach Anton Tschechow" ein Rundfunkfeature über die "Drei Schwestern" machen will und ihnen immer wieder einen Rekorder mit der Frage entgegenstreckt: "Wie seht Ihr Euch in der Zukunft?". "Ist nur so´n Gefühl" heißt es auch zum Schluss, nachdem die Schwestern ihre großen Hoffnungen verloren haben und ihre Gefühle noch immer nicht genau benennen können.

    Die Regisseurin nimmt Tschechows Stück als Material für eine Auseinandersetzung mit einem heutigen Lebensgefühl. Ihre Schwestern lassen sich wie bei Tschechow nicht auf ihre Realität ein, sondern leben in der Hoffnung auf die Zukunft und in der Erinnerung an die schöne Vergangenheit. Für beides steht noch immer "Moskau", obwohl es als Sehnsuchtsbild keine Bedeutung mehr haben dürfte in einer Inszenierung, die mit Tschechow völlig am Berliner Kurfürstendamm und ungefähr in unserer Zeit angekommen ist.

    Irgendwie haben die drei Schwestern ein Problem mit sich und ihrer versorgten Sicherheit. Warum, erklären sie uns nicht. Es könnte schon eine midlife-crisis sein. Die drei haben Angst vor der Gegenwart und Scheu davor, sich einzulassen und einzumischen, das ist irgendwie und ungefähr die Haltung von Amina Gusners "Drei Schwestern". So ist den Figuren jeder soziale Hintergrund und alle psychologische Feinzeichnung genommen. Vor allem aber fehlen die meisten anderen Figuren des Stückes. Der Bruder mit seiner als Gegenbild zu den Schwestern entworfenen Frau tritt nicht auf, sondern kommt nur in Erzählungen und Telefonaten vor. Soljony, Konkurrent von Tusenbach bei Irina, gibt es erst gar nicht, und Tschechows Batteriekommandeur Werschinin ist ein so blasser wie smarter Jurist. Maschas Mann ist nicht Lehrer, sondern Psychoanalytiker und erklärt der darob entzückten Olga seine Liebe und zugleich das, was ihn an seine Frau Mascha fesselt, während sich diese mit Werschinin im Wintergarten bei sexuellen Turnübungen vergnügt. Dabei plaudert sie darüber, was ihr Mann von ihr denkt und was er ihr bedeutet. Und Irinas erste berufliche Erfahrungen sind schlimm, weil sie in einem Callcenter arbeitet. So wirkt alles sehr heutig und sehr eindeutig.

    Welcher Weg ins Leben ist der richtige, hat schon 1988 Margarethe von Trotta in ihrem Film "Fürchten und Lieben" ihre "Drei Schwestern" in einer italienischen Universitäts-Kleinstadt fragen lassen. So könnte man auch Amina Gusners Aktualisierungen ohne weiteres akzeptieren, wenn diese deutliche Folgen für die Figuren hätten und die Darsteller ihre Figuren entsprechend entwickeln würden. Doch hier werden nur Situationen gespielt, man springt in großen Zeitsprüngen von Situation zu Situation und setzt überdeutlich wechselnde Haltungen, so dass dem Publikum nichts mehr zu entdecken bleibt.

    Die privaten Kudamm-Bühnen der Familie Wölffer versuchen seit Jahren, mit einem Mischangebot von Boulevardstücken und unterhaltsamen Klassikern ein breiteres Publikum anzulocken. Zwischen Neil Simons"Apartment" als Musical mit Helmut Baumann, Jaroslav Haseks "Schwejk" mit Walther Plathe, Ingmar Bergmanns "Szenen einer Ehe" und dem Gastspiel "Anna Karenina", beides mit Katja Riemann und in der Regie von Amina Gusner, und John Steinbecks "Von Mäusen und Menschen" mit Hannes Jaenicke bewegt sich der Spielplan. Sein Motto lautet: "Stars in Lebensgröße - Vergnügen live."

    Das vom Film "Bandits" bekannte Darstellerinnentrio Nicolette Krebitz, Jasmin Tabatabai und Katja Riemann tritt erstmals gemeinsam auf der Bühne auf. Wie im Film vor 11 Jahren sind sie kräftige Sympathieträger von großer Eindeutigkeit und Eindimensionalität. Nicolette Krebitz gibt das flatterige, nervös sehnsüchtige Jungmädchen, Jasmin Tabatabai malt das Klischee einer leicht düster verruchten Frau, und Katja Riemann ist einfach die taffe Katja Riemann. Dabei war sie vor zwei Jahren von Amina Gusner in der Rolle von Ibsens Hedda Gabler am Potsdamer Hans Otto Theater zu erstaunlich sensibler Figurengestaltung geführt worden. Die Männer spielen in dieser Tschechow-Banalisierung ihre Rollen, aber keine besondere Rolle. Nur Heiko Senst als Tusenbach vermag mit nervöser Zerrissenheit seine Figur spannend zu machen. Insgesamt besitzt die Aufführung Schwung, sie ist flott, aber leider auch flach.