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Tschechows "Drei Schwestern" in München
Moskau-Sehnsucht in Endlosschleife

Die Theaterregisseurin Susanne Kennedy steht für Inszenierungen, die wie Installationen wirken. Tschechows "Drei Schwestern" hat sie auf wenige Szenen komprimiert. Im Zentrum: die Sehnsucht nach Moskau.

Von Sven Ricklefs | 28.04.2019
Eine Szene aus Susanne Kennedys Inszenierung von Tschechows "Drei Schwestern" an den Münchner Kammerspielen
Eine Szene aus Susanne Kennedys Inszenierung von Tschechows "Drei Schwestern" an den Münchner Kammerspielen (Münchner Kammerspiele / Judith Buss)
"Nach Moskau", wem fiele sie nicht ein: die Sehnsuchtsschleife in der die berühmten "Drei Schwestern" festhängen und aus der sie sich nicht lösen, weil sie nie an den Sehnsuchtsort gelangen. Doch festgeloopt im immer Gleichen sind nicht nur diese Tschechowfiguren, sondern auch wir, ihre Zuschauer, die sich ihre Geschichte immer wieder erzählen lassen. Und dieser Lebensloop ist es, den Susanne Kennedy nun an den Münchner Kammerspielen mit ihren "Drei Schwestern" in den Fokus nimmt.
Dazu hat sie das Stück auf nur wenige, minimal variierte Szenen herunterskelettiert und zugleich mit anderen Texten angereichert, etwa mit Friedrich Nietzsches "Ewiger Wiederkunft des Gleichen" aus seiner "Fröhlichen Wissenschaft":
"Wie wenn Dir eines Tages oder nachts ein Dämon in Deine einsamste Einsamkeit nachschliche und Dir sagte: Dieses Leben, wie Du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst Du noch einmal und noch unzählige Male leben müssen."
Gummimasken verdecken Gesichter
Wobei sich die Frage stellt, ob man daran verzweifeln soll oder es bejaht und somit den Moment leben kann. Es ist diese Frage, die sich Susanne Kennedy in ihren "Drei Schwestern" stellt und an der sie sich thematisch wie ästhetisch abarbeitet. Dabei bleibt sie sich und ihrer eigenwilligen und ebenso faszinierenden wie irritierenden Ästhetik treu. Wieder verdecken Gummimasken Gesichter und Mimik der Schauspieler, wieder trennt sie die Stimmen vom Körper indem sie Playback benutzt und andere als die Schauspieler selbst sprechen lässt. Wieder wirft sie Figurenkonstellationen ohne Auf- oder Abtritte in den Raum und tauscht sie im schnellen Rhythmus soundintensiver Blackouts komplett aus.
Dabei hat sie sich für Raum, Kostüme, Licht, Video und Sound mit einem Künstlerteam umgeben, das diese "Drei Schwestern" allein schon zu einem installativen Erlebnis macht. Da schwebt ein kleiner, rechteckiger Kasten inmitten der projizierten Drei-D-Räume, die ihn mal ins Überdimensionale aufreißen, mal über brodelnde Wolken oder krustige Oberflächen fliegen lassen oder an riesige Mauern oder blauglitzernde Swimmingpoolwände andocken. Und in ihn wirft Kennedy mit dem Befehl: "Cut. Repeat!" ihre sich loopenden Tschechow-Szenen, in denen es vor allem die drei Schwestern sind, die sich schlagartig verändern, so als glitten sie ebenso durch Lebens- wie durch Zeitalter.
So sind ihre Gesichter mal schwarzbetuchte Leerstellen unter weißen Kopftüchern und über weißen Reifröcken, dann wieder haben sie die gleichen glatzigen Gummimasken wie die drei Männer und tragen bunte Kleidchen über engen Rollis oder: Sie tragen Trauerflor unter schwarzen, hohen Hüten über weißen Brokatschleiern.
Menschen als Avatare
"Wie ich mich freue, aber: Sie waren doch drei Schwestern, ich erinnere mich an drei Mädchen, nicht mehr an die Gesichter. Oh, wie die Zeit vergeht."
Entpersonalisiert und manchmal auch verfremdet passt sich die Sprache wieder einmal bestens ein in die bewusst befremdliche Bühnenwelt von Susanne Kennedy, die Menschen als Avatare ihrer selbst auftreten lässt. Zugleich versucht die Regisseurin schon seit Längerem, mit ihren Arbeiten auch ins Spirituelle hinüberzugreifen, weswegen diesmal ein behörnter Schamane in einer der Kernszenen eine Art Ritual abhält. Geloopte Leben: der Mensch in der ewigen Wiederholung, da kann einem schon einmal ganz "anders" werden, so wie auch im Theater von Susanne Kennedy.
"Die Welt ist in sich selber verschlungen. Überall ist Sein. Unser Sein. Ewig."