Archiv


Tscheljabinsk-Ereignis unter der Lupe

Geologie. - Für die Bewohner der russischen Metropole Tscheljabinsk am Ural kam es überraschend: Als dort im vergangenen Februar ein Meteor über den Himmel zog und lautstark zerplatzte, gingen etliche Scheiben zu Bruch. Für Meteoritenforscher weltweit kam das Ereignis wie gerufen, weil große Meteore nicht jeden Tag zu beobachten sind. Diese Woche nun erschienen drei Fachartikel, in denen sich 37 Forscher aus sieben Ländern näher mit dem Luftzerplatzer und seinen Folgen auseinandergesetzt haben.

Von Karl Urban |
    "Das war der größte Körper, der seit dem Tunguska-Ereignis von 1908 in die Erdatmosphäre eingetreten ist. Und wir haben eine Menge Daten: Es gibt Amateurvideos, seismische Daten, Infraschall-Messungen und Satellitendaten. Wir haben Teile des Meteoriten gefunden. All das wird Wissenschaftler noch jahrelang beschäftigen."

    Am 15. Februar 2013 zerplatzte der wohl größte Meteorit seit Jahrzehnten über der Millionenstadt Tscheljabinsk am Ural . Für Jiri Borovicka von der Akademie der Wissenschaft in Prag und etliche andere Meteoritenforscher weltweit war seitdem Zeit genug, das Ereignis auszuwerten. Zunächst ging es ihnen darum, den Schaden abzuschätzen. Und der war kleiner, als der Eintritt eines 19 Meter großen Felsbrockens in die Atmosphäre erwarten lässt.

    "Bisher wurde der Schaden solcher Ereignisse darüber abgeschätzt, was Atomwaffen anrichten können. Das sind aber punktartige Explosionen – und deshalb funktioniert diese Methode hier nicht sonderlich gut. In Tscheljabinsk verteilte sich die Energie nämlich, weil sich das Objekt so schnell bewegte."

    Das sagt Peter Brown, Physiker an der University of Western Ontario in Kanada. Zwar steckte die Energie von über 30 Hiroshimabomben in dem Luftzerplatzer – so nennen Forscher den zerbrechenden Meteoriten. Die Druckwelle des Zerplatzers verteilte sich aber zigarrenförmig auf einer großen Fläche quer zur Flugrichtung. Im Zentrum dieser Zone war die Druckwelle stark genug, um Menschen zu Boden zu werfen, Fenster aus den Rahmen zu pressen - und sogar das Dach einer Zinkfabrik einstürzen zu lassen. Zerbrochene Scheiben gab es in über 3500 Gebäuden – fast die Hälfte aller Wohnhäuser von Tscheljabinsk waren betroffen. Eine Internetbefragung ergab, dass sich die Verletzungen überwiegend auf leichte Schnittwunden beschränkten. Auch die UV-Strahlung des auseinanderbrechenden Geschosses tat ihre Wirkung: Für Sekundenbruchteile leuchtete der Meteorit 30 mal heller als die Sonne – und verursachte bei einigen Menschen einen leichten Sonnenbrand. Von dem zerplatzten Himmelskörper selbst blieb am Ende fast nichts übrig. Borovicka:

    "Zu Beginn war der Meteorit 19 Meter groß und gut 12.000 Tonnen schwer. Davon erreichten nur ein größeres Bruchstück und einige kleine Fragmente den Boden. Insgesamt kam fast nichts von der ursprünglichen Masse am Boden an."

    Wie häufig solche eher kleinen Asteroiden wirklich sind, könnte laut Peter Brown bisher unterschätzt worden sein. Er wertete Infraschall-Messungen und die Daten anderer US-Sensoren der letzten 20 Jahre aus und fand viele zerplatzte Meteoriten, die nur unwesentlich leichter waren als der von Tscheljabinsk, von denen aber viele über unbewohnten Gebieten niedergingen. Wirklich beunruhigend findet Peter Brown das nicht. Denn Meteoriten, die ganze Erdteile verwüsten können, sind vielfach größer und den Astronomen heute überwiegend bekannt. Die Folgen des überraschenden Luftzerplatzers von Tscheljabinsk sind dagegen vergleichsweise klein.Brown:

    "Solche kleinen Objekte wie in Tscheljabinsk verursachen ja, wenn überhaupt, nur schwache Schäden. Es gab weder landesweite noch weltweite Verwüstungen. Aber diese Ereignisse könnte es tatsächlich häufiger geben als wir geglaubt haben. Leider gibt es in Erdnähe aber so viele dieser kleinen Asteroiden, dass es wohl keinen Sinn ergibt, jeden von ihnen mit Teleskopen aufzuspüren zu wollen."

    Mit Hilfe einiger zusätzlicher Teleskope ließen sich solche Geschosse aber Stunden bis Tage vor ihrem Kontakt mit der Erde entdecken. Und damit ließe sich der nächste Luftzerplatzer zumindest kurzfristig vorhersagen.