Freitag, 19. April 2024

Archiv

Tsipras' Staatsbesuch in Moskau
"Athen schwächt EU-Kurs gegen Russland"

Alexis Tsipras habe mit seinem Besuch in Moskau "eindeutig pro-russische und anti-europäische Stimmung" gemacht, sagte Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende der Europäischen Grünen, im DLF. Kritische Fragen müsse sich der griechische Ministerpräsident nun gefallen lassen.

Rebecca Harms im Gespräch mit Sandra Schulz | 09.04.2015
    Rebecca Harms, Co-Vorsitzende der Europäischen Grünen Fraktion im Europäischen Parlament
    Rebecca Harms, Co-Vorsitzende der Europäischen Grünen Fraktion im Europäischen Parlament (dpa / picture-alliance / Rungroj YongritPeter Endig)
    "Wer spricht mit wem wann, und wie hilft das der Propaganda Putins?", fragte Harms am Tag nach dem Treffen der beiden Regierungschefs im Deutschlandfunk. Die Grünen-Politikerin erinnerte im Zusammenhang mit den EU-Sanktionen gegen Russland daran, dass das Abkommen von Minsk, das Frieden in der Ostukraine garantieren soll, noch immer nicht umgesetzt sei.
    Sie halte es für einen großen Fehler, "dass die neue griechische Regierung das Signal setzt, sie könnte sich auch einen Kurs vorstellen, der sich mehr an Moskau als an Brüssel orientiert".
    IWF-Rückzahlungen stehen an
    Zu den heute fälligen Rückzahlungen an den Internationalen Währungsfonds sagte Harms, Athen müsse sich an dieses Versprechen halten; bisher fehle weiter eine überzeugende Strategie für die Rückzahlung der Schulden. Die fristgerechte Tilgung von gut 450 Millionen Euro hatte der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis der IWF-Chefin Christine Lagarde am Wochenende in Washington zugesagt.
    Tsipras ist auch heute noch in Moskau und will sich unter anderem mit dem russischen Ministerpräsidenten Dmitri Medwedew treffen.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Jetzt sind wir verbunden mit der Grünen-Fraktionschefin im Europäischen Parlament. Guten Morgen, Rebecca Harms!
    Rebecca Harms: Guten Morgen!
    Schulz: Wir schauen auf die Millionen, die Griechenland heute an den IWF überweisen muss. Finanzminister Varoufakis sagt, das Land werde pünktlich zahlen. Haben Sie verstanden, wie?
    Harms: Also das ist ja eine Frage, die sich schon länger stellt, und es ist keine Überraschung, dass Griechenland Zahlungsschwierigkeiten zumindest hat. Genau darüber kreisten ja viele Gespräche, die in Brüssel geführt worden sind mit der neuen griechischen Regierung. Und dass die Schuldenlast erdrückend ist und dass die Griechen bisher noch keine überzeugende Strategie dagegengesetzt haben und über neue Bedingungen noch nicht verhandelt worden ist, das ist alles keine Überraschung des gestrigen Tages oder für den IWF oder für die Europäische Zentralbank.
    "Ich erwarte, dass die griechische Regierung nichts Falsches angekündigt hat"
    Schulz: Was erwarten Sie denn dann von dem Tag heute?
    Harms: Also ich erwarte, dass die Griechen nichts Falsches angekündigt haben, dass die griechische Regierung nichts Falsches angekündigt hat und dass zumindest diese Ansage, dass die Zahlungen erfolgen an den IWF, dass die eingehalten werden. Ich glaube, ein großes Problem wäre, wenn die griechische Regierung etwas ankündigt und zusagt und es dann doch nicht einhält.
    Schulz: Wie geht dann dieses Rechenexempel jetzt weiter? Der griechische Staat ist vereinzelt schon in Zahlungsschwierigkeiten gewesen, konnte vereinzelt seine Staatsbediensteten nicht bezahlen. Welchen Reim machen Sie sich auf diesen griechischen Kurs?
    Harms: Also wie ich gesagt habe: Das ist für mich nichts Überraschendes. Was man in Brüssel erwartet hat, ist, dass die Griechen einen eigenen Plan vorlegen, wie sie mit dieser Situation umgehen wollen, dass sie selber auch einen Plan vorlegen, wie sie ihre wirtschaftliche Entwicklung gestalten wollen und wie sie vertrauenswürdiger Partner bleiben wollen. Dass es Schwierigkeiten gibt auf der Grundlage der bisherigen Politik von IWF und Europäischer Union und der alten griechischen Regierung, das ist etwas, was man einrechnen muss, aber natürlich kann eine neue griechische Regierung sich nicht aus allen Verträgen herauslösen, die die Vorgängerregierung geschlossen hat.
    Schulz: Aber weil das Regime des IWF, wie wir auch gerade in dem Beitrag noch mal gehört haben, weil das eben so rigide ist, dass es da sozusagen um jeden letzten Euro geht, deswegen werden möglicherweise die anderen Gläubiger, eben die Staatsbediensteten oder auch die EZB, Europa, den Kürzeren ziehen?
    Harms: Das bleibt ja abzuwarten. IWF und EU haben diesen Kurs gegenüber Griechenland bisher gemeinsam getragen gehabt. Die Bedingungen sind von den Institutionen gemeinsam so gesetzt worden, dass Griechenland immer größere Schwierigkeiten bekommen hat und nicht auf diesem Erholungskurs gewesen ist, der immer behauptet wurde. Und es gibt natürlich neben dem Zahlungsinteresse auch weiterhin das große politische Interesse, nicht nur in Brüssel, sondern auch in Washington, dass Griechenland Teil der Eurozone und Teil, verlässlicher Teil der Europäischen Union politisch bleibt.
    "Putin ist jeder willkommen, der gute Stimmung macht"
    Schulz: Frau Harms, und jetzt würde ich mit Ihnen gerne noch mal auf den Besuch Tsipras' in Moskau schauen. Gestern hat er Putin getroffen, heute spricht er mit Medwedew. Putin hat gestern gesagt, er hätte nicht zu einem besseren Zeitpunkt kommen können. Sehen Sie das auch so?
    Harms: Ich glaube, für Präsident Putin ist jeder Besuch eines europäischen Regierungschefs, der gute Stimmung gegenüber Präsident Putin und seiner Regierung und diesem neuen und aggressiven Kurs Russlands macht, jeder ist da willkommen. Und ich glaube nicht, dass der gestrige Tag da ein besonderer war. Mal davon abgesehen, dass dieser gestrige Tag einen Tag vor der Zahlungsfrist gegenüber dem IWF lag.
    Schulz: Tsipras hat noch mal drauf hingewiesen – und da komme ich jetzt auf die Aufregung, auch die Spekulationen, die mit dem Besuch verbunden waren –, Griechenland sei ein souveräner Staat, hat das Recht auf eine eigenständige Außenpolitik. Was spricht dagegen, dass ein griechischer Ministerpräsident nach Moskau reist?
    Harms: Also nichts spricht dagegen, dass ein griechischer Ministerpräsident nach Moskau reist, aber die Frage, mit welchen Zielen und die Frage des Zeitpunktes sind natürlich Dinge, über die man in Brüssel und in den Hauptstädten der Mitgliedsstaaten, der anderen europäischen Mitgliedsstaaten, sich zu Recht aufregt und das infrage stellt. Meiner Meinung nach ist das ein großer Fehler, dass die Griechen, deren Wunsch und Forderung nach Solidarität ich immer unterstützt habe, dass die neue griechische Regierung jetzt das Signal setzt, sie könnte sich auch einen Kurs vorstellen, der sich mehr an Moskau als an Brüssel orientiert. Gestern ist ja nichts Hartes oder wenig Hartes verabredet worden, wenn man den öffentlichen Verlautbarungen glaubt, aber die Stimmung, die Tsipras mit seinem Besuch gemacht hat, ist eine eindeutig pro-russische und eine eindeutig anti-europäische gewesen.
    Schulz: Der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz zeigt sich ja beruhigt oder erleichtert. Das teilen Sie nicht?
    Harms: Ich kann das nachvollziehen, dass man manchmal sich diplomatisch bemüht in einer solchen Situation, aber Erleichterung dafür finde ich jetzt viel zu früh. Wenn ich lese, dass es so eine Art griechisch-russisches Freundschaftsjahr geben soll, wenn ich lese, dass Tsipras darüber spricht, dass es Frühlingsgefühle in den Beziehungen gegenüber Moskau gebe, dann fühle ich mich da völlig im falschen Film.
    "Weit davon entfernt, das Minsk-Abkommen umzusetzen"
    Schulz: Kalter Krieg ist Ihnen lieber?
    Harms: Ich bin überhaupt keine Freundin von irgendeinem Krieg, aber ich denke dann halt eher daran, dass wir weit davon entfernt sind, das Minsk-Abkommen umsetzen zu können. Täglich gibt es Meldungen über Gefechte und Tote. Und da denke ich, dass es viel zu früh ist, eine Frühlingsstimmung auszurufen, nur weil man in Athen doch mit dem Gedanken spielt, man könnte durch billiges russisches Gas aus der eigenen Klemme rauskommen.
    Schulz: Wenn Sie das so kritisch sehen: Welche europäischen Ministerpräsidenten oder Regierungschefs dürfen denn zu Putin reisen und welche nicht?
    Harms: Ich sage ja nicht, dass niemand zu Putin reisen darf, im Gegenteil, ich glaube, dass Diplomatie der Weg ist, unterlegt durch wirtschaftliche Sanktionen, aus dieser Krise mit Russland herauszukommen, wenn es denn einen Weg gibt. Aber die Frage, wer mit wem wann spricht und wer dann welche Stimmung macht, wie das auch der Außenpolitik und der ganzen Propaganda Wladimir Putins nach innen hilft, das sind eben Fragen, die sich auch Tsipras nach diesem Besuch gefallen lassen muss.
    Athen umgeht Wirtschaftssanktionen
    Schulz: Auf einen konkreten Punkt würde ich gerne noch kommen. Offenbar haben Griechenland und Russland jetzt einen Weg gefunden, das Einfuhrverbot zumindest in Teilen zu umgehen, indem sozusagen über russische Anteile an griechischen Unternehmen das einfach sozusagen umdeklariert wird, eben nicht als Einfuhr. Welches Signal geht davon aus für Europa?
    Harms: Das ist eben das Signal, dass man in Athen, sicher auch geschuldet der eigenen großen wirtschaftlichen Krise, einen Weg gefunden hat, sich von den Wirtschaftssanktionen zu distanzieren, die zu umgehen. Da wird getrickst. Und damit schwächt man meiner Meinung nach den Kurs der Europäischen Union gegenüber Russland, der ja auf Diplomatie, unterlegt durch konsequente wirtschaftliche Sanktionen, setzt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.