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TTIP und CETA
"Das Investor-Staat-Klageverfahren halte ich für überflüssig"

Es geht um den Schutz von Investitionen im jeweils anderen Wirtschaftsraum: Die Bundesregierung bewerte den Investorenschutz skeptisch, sagte Umweltministerin Barbara Hendricks im DLF. Alle betroffenen Länder hätten bereits gegenseitig ihre Rechtssysteme anerkannt.

Von Jule Reimer | 13.01.2015
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    Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) am 12.1.2015 im Kölner Deutschlandfunk-Studio. (Deutschlandfunk/Bertolaso)
    Jule Reimer: Frau Ministerin, Sie haben in Bonn die Sitzung des Weltbiodiversitätsrates (IPBES) eröffnet – das ist das internationale Wissenschaftlergremium, das analog zum Weltklimarat beobachtet, wie sich die Artenvielfalt entwickelt. Wir wissen, dass weltweit viele Ökosysteme bedroht, manchmal zerstört sind und damit auch die Pflanzen und Tiere aussterben, die darin leben. Naturschützer weisen darauf hin, dass ohne Verstand gebaute Windkraftanlagen selten gewordene Fledermäuse und Rotmilane schreddern. Wo sollte die Energiewende zugunsten des Naturschutzes zurückstehen?
    Barbara Hendricks: Nun, wir müssen es miteinander in Einklang bringen. Wir haben deswegen auch ein Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende gegründet in meiner Verantwortung, das ist noch im Aufbau, wo es genau darum geht, tatsächlich bei schwierigen Abwägungsprozessen eine Art Mediation einzunehmen und auch Vorschläge zu entwickeln, anhand derer man Entscheidungsgrundlagen einfacher hat, sodass man dann auch sagen kann, hier besser nicht, da lassen wir's mal sein, aber woanders machen wir's. Es geht schon darum, den Abwägungsprozess herbeizuführen, ja.
    Reimer: Beißen sich beide Ziele?
    Hendricks: Sie müssen sich nicht beißen. Aber sie müssen wie gesagt miteinander abgestimmt werden.
    Reimer: Wird Braunkohle im Tagebau abgebaut wie in Nordrhein-Westfalen oder in Brandenburg, da wird die gesamte Landschaft auf teilweise mehreren Quadratkilometern ausgeräumt. Sie selbst stammen ja aus Nordrhein-Westfalen. Warum halten Sie nicht stärker gegen Braunkohletagebau, denn das zerstört ja auch ganze Biotope?
    Hendricks: Die Landesregierung hat ja beschlossen, eine Einschränkung vorzunehmen. Anders als in Brandenburg, wo man noch neue Felder aufschließen will, hat man in Nordrhein-Westfalen ja Ursprungsplanungen zurückgenommen. Und natürlich werden dort Biotope, weil es ja im Tagebau abgebaut wird, in der Tat beeinträchtigt. Das ist nicht zu bestreiten. Andererseits ist es schon so, dass mindestens in Westdeutschland schon seit vielen Jahren, schon immer, und nach der Wende, um es mal so zu sagen, auch in der Lausitz die Wiederherrichtung der fertigen Tagebaue doch ökologische Gewinne durchaus wiederbringt. Also man kann nicht sagen, als würde da einfach alles mal so liegen gelassen und es gäbe keine Regenerationsmöglichkeiten. Zum Glück gibt es Regenerationsmöglichkeiten.
    Reimer: Aber vorher wird alles kaputt gemacht?
    Hendricks: Vorher wird alles kaputt gemacht. Wenn Sie die Oberfläche betrachten, ja. Aber es gibt Regenerationsmöglichkeiten.
    Elektromobilität gezielt fördern
    Ein weißes P, umrandet von einem Elektrokabel auf grünem Kunstrasen: Parkplatz vor einer Ladestation für Elektroautos in Berlin.
    Hendricks fordert mehr Elektromobilität (imago/imagebroker)
    Reimer: Braunkohle ist aus Klimaschutzgründen nicht wünschenswert als Energieträger, weil sie besonders schädlich ist. Benzin ist in diesen Tagen so billig wie noch nie, Diesel auch. Der Verkehrssektor ist sowieso das Sorgenkind auch im Klimaschutz. Da werden die größten Wachstumsraten, die ungezügelten Wachstumsraten in der Zukunft erwartet. Wie möchten Sie denn da gegensteuern?
    Hendricks: Auf der einen Seite brauchen wir natürlich mehr Elektromobilität. Wir sind dabei, das auch zu fördern, zum Beispiel durch Bevorrechtigung im Straßenverkehr innerhalb der Städte vor allen Dingen, weil nach meiner Einschätzung vorerst wahrscheinlich die Elektromobilität eher in den kleineren Distanzen stattfinden wird. Unser Interesse muss natürlich sein, die Elektromobilität so weit voranzutreiben, dass auch die großen Distanzen damit gut möglich sind und dass niemand sich Sorgen machen muss, unterwegs sozusagen liegen zu bleiben. Das ist ein Punkt, den wir vorantreiben wollen und auch müssen. Ich bin sehr zufrieden damit, dass die deutsche Automobilindustrie das jetzt auch erkannt hat.
    Reimer: Aber die Autos sind noch zu teuer.
    Hendricks: Ja.
    Reimer: Wer sollte die denn kaufen?
    Hendricks: Ja, die sind noch zu teuer. Aber es ist schon so: Vor einem Jahr gab es nur zwei Modelle von Elektroautos von deutschen Herstellern. Im letzten Jahr sind zwölf neue Modelle dazugekommen, sodass die Marktdurchdringung jetzt eigentlich auch erst richtig beginnt. Meine Einschätzung ist, dass deutsche Bürger keine Elektroautos kaufen, solange sie nicht glauben, dass auch Audi und VW und Mercedes das auch gut kann. Jetzt wird klar, die können das auch gut, und deswegen, glaube ich, wird das Vertrauen in Elektromobilität insgesamt steigen. Ja, sie sind noch ein bisschen teuer, und deswegen werden wir auch im Rahmen unseres nationalen Energie-Effizienzplanes bei den Dienstwagen die Elektrofahrzeuge fördern. Das heißt, die größeren werden dann auch in die Flotten eingehen, was sonst kaum der Fall wäre, weil ja viele von diesen sogenannten Dienstwagen tatsächlich in den größeren Flotten, also größere Automobile sind. Deswegen glaube ich, dass wir da vorankommen werden.
    Reimer: Aber eigentlich müsste Autofahren teurer werden. Das ist ja jetzt wieder unglaublich billig geworden im Vergleich, und da haben Sie mehrere Stellschrauben.
    Hendricks: Natürlich gibt es immer Stellschrauben. Das ist völlig klar. Aber bisher hat die Bundesregierung nicht darüber nachgedacht, solche Stellschrauben zu nutzen.
    Reimer: CO2-Emissionshandel, Mineralölsteuer?
    Hendricks: Den Emissionshandel wollen wir natürlich reformieren, aber das bezieht sich nicht auf den Verkehr, sondern da sind wir auch als Umweltministerium nicht dafür. Die Automobilindustrie würde ganz gerne, dass der Verkehr, auch der Individualverkehr in den Emissionshandel einbezogen würde. Das würde aber dann die Automobilindustrie von der Pflicht freistellen, tatsächlich in ihrer Flotte sozusagen voranzukommen mit der Minimierung des CO2-Ausstoßes, und das wäre dann eine Belastung, die hinterher bei den Bürgerinnen und Bürgern wäre, also bei den Nutzern von den KFZ, und damit würde auch der Anreiz verloren gehen, tatsächlich die Flotten im Sinne von Minimierung des CO2-Ausstoßes voranzubringen. Deswegen sind wir aus Umweltsicht nicht dafür, den Emissionshandel auf die Automobile, also auf den Individualverkehr auszuweiten.
    Was Steuern anbelangt, hat jedenfalls bis jetzt noch niemand darüber nachgedacht, die sinkenden Benzinpreise oder Dieselpreise zu kompensieren durch eine höhere Abgabe an anderer Stelle.
    "Das Investor-Staat-Klageverfahren halte ich für überflüssig"
    Menschen demonstrieren in Berlin gegen die Freihandelsabkommen Ceta und TTIP.
    Menschen demonstrieren in Berlin gegen die Freihandelsabkommen Ceta und TTIP. (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    Reimer: Das Europaparlament wird über den Vorschlag abstimmen, ob jedes EU-Mitgliedsland selbst entscheiden kann, den Anbau bestimmter gentechnisch veränderter Pflanzen zuzulassen oder abzulehnen, unabhängig davon, ob diese Pflanze grundsätzlich auf EU-Ebene zugelassen ist. Mit den Verhandlungen über die Freihandelsabkommen TTIP - und wir haben ja bereits das Freihandelsabkommen CETA mit Kanada - wird der Druck auf Europa insgesamt, sich für gentechnisch veränderte Lebensmittel zu öffnen, steigen für Saatgut, auch für Fracking zum Beispiel. Sie hatten am Anfang vergangenes Jahr allerhand Bedenken geäußert gegen die Freihandelsabkommen. Investor-Staat-Klageverfahren ist ein Aspekt. Hat sich das geändert im letzten Jahr? Die SPD ist sich ja insgesamt noch nicht einig.
    Hendricks: Was das Investor-Staat-Klageverfahren anbelangt bin ich weiterhin sehr skeptisch. Da müssen wir in der Tat noch sehen, wie sich das auswirkt bei dem Entwurf, den wir von TTIP ja in der Weise noch gar nicht vorliegen haben. Ich halte das in der Tat einfach auch für überflüssig. Das ist auch eine Position, die die Bundesregierung so schon bezogen hat. Denn wir haben ja, alle Länder, um die es geht, sind Mitglied der OECD und alle OECD-Länder haben gegenseitig ihre Rechtssysteme anerkannt.
    Reimer: Aber wir haben bereits im Rahmen von CETA ein solches Investor-Staat-Klageverfahren mit den Kanadiern. Da kann man ja schlecht zurück mit gegenüber den USA.
    Hendricks: Nun, wir haben CETA ja auch noch nicht endgültig verabschiedet und wir werden sehen, wie wir damit umgehen. Ob es auch in den Vereinigten Staaten ein Interesse an diesem Investor-Staat-Klageverfahren gibt, wird sich zeigen. Auch dort ist es nicht so sicher, ob man das denn möchte. Natürlich kann es sein, dass, ich sage mal, spezialisierte Anwaltskanzleien das gerne haben, weil man sich damit goldene Nasen verdienen kann, aber ob zum Beispiel die amerikanische, die US-amerikanische Wirtschaft ein Interesse daran hat, ist nicht ausgemacht. Deswegen bin ich weiterhin auch an der Stelle skeptisch und ich glaube auch, dass es nicht nötig ist, weil wie gesagt, wir haben als Mitglieder der OECD gegenseitig unsere Rechtssysteme anerkannt und deswegen brauchen wir nicht ein weiteres privates Rechtssystem danebenzustellen.
    Überdüngung belastet Grundwasser
    Reimer: Blicken wir noch mal nach Deutschland. Ende der Woche beginnt in Berlin die Grüne Woche, also eine große Landwirtschafts-Show für Landwirtschaft und für Ernährung. Die Bundesregierung hat einen Entwurf für die Reform der Düngeverordnung beschlossen. Der überschüssige Stickstoff belastet Grundwasser, Flüsse und Meere, wenn zu viel draufkommt. Kritiker sagen, dass die Düngeverordnung, die Vorgaben der Bundesregierung eigentlich zu schlapp ausfallen, angesichts dessen, wie Sie handeln müssen. Die EU hat ja auch eine Klage angestrengt. Haben Sie sich da nicht durchsetzen können?
    Hendricks: Doch, doch. Wir haben sehr lange darüber verhandelt. Es war auch nicht so einfach mit dem Kollegen Schmidt, der ja die Interessen der Landwirtschaft an der Stelle vertritt. Aber so, wie wir uns jetzt durchgesetzt haben, sind wir doch, ich sage mal, im Rahmen der Möglichkeiten zufrieden. Es geht immer auch um einen Interessenausgleich.
    Ja, das ist in der Tat ein Punkt, der die Bürgerinnen und Bürger auch zunehmend beunruhigt, nämlich Überdüngung und zum Beispiel Nitrat im Grundwasser, oder zu viel Stickstoff, woraus das ja dann entsteht. Das ist in der Tat ein Punkt, über den wir uns zunehmend noch werden Gedanken machen müssen. Ich glaube auch, dass wir über die Art und Weise der landwirtschaftlichen Produktion uns noch weiter Gedanken machen müssen, dass sowohl die Art und Weise, wie wir mit der Tierproduktion umgehen, als auch die Art und Weise, wie wir die Relation haben zwischen Grundfläche und Großvieh-Einheit oder Geflügelanzahl zum Beispiel, da sind sicherlich Aufgaben, die noch auf uns zukommen, wo wir noch nachschärfen müssen, ja.
    Reimer: Will heißen, die Ställe müssen kleiner werden, damit weniger Gülle anfällt, die auf den Feldern landet?
    Hendricks: Will heißen, es muss eine richtige Relation geben zwischen der Fläche, die überhaupt für die Aufnahme von Gülle zur Verfügung steht, und der Produktion von Gülle in der Tiermast.
    Reimer: Will heißen, weniger Massentierhaltung in Deutschland?
    Hendricks: Will heißen, dass wir mindestens in manchen Regionen Nordwestdeutschlands da noch mal gründlich drüber nachdenken müssen. Dort gibt es in großen Teilen Niedersachsens, auch in Teilen Schleswig-Holsteins, in kleineren Teilen Nordrhein-Westfalens nach meinem Dafürhalten Entwicklungen, die nicht gut sind.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.