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TTP lebt

Bücher zwischen 99 Cent und 5 Euro nennt man Ramsch – wenn sie, auf Papier gedruckt, die Grabbelkisten des Buchhandels bevölkern. Nicht selten sind sie eine Freude für den Vielleser, weil sich darunter auch Hochwertiges befindet, aber eine Beleidigung für jeden Autor, zeigen sie doch die ökonomische Geringschätzung seiner Arbeit an.

Eine Glosse von Florian Felix Weyh |
    Wer meint, zwischen 99 Cent und 5 Euro ein Buch adäquat bezahlt zu haben, ist entweder naiv oder dreist. Das hat sich freilich mit dem E-Book geändert, wo sich die Margen beim neudeutsch "self publishing" auffallend zugunsten des Autors verschoben haben, von zehn Prozent Honoraranteil auf bis zu siebzig. Bei erhofft hohen Verkaufszahlen lässt sich damit auch im Niedrigpreisbereich theoretisch ein auskömmliches Salär erwirtschaften, und so probieren es gerade Newcomer bevorzugt aus.

    Der Markt ist fest in der Hand des Buchhandelsriesen Amazon, weil dessen Lesegerät Kindle die größte Verbreitung aufweist, und weil er ein einfaches Self-Publishing-Modell anbietet. Die Profis von der Literaturkritik meiden das Feld instinktiv, denn jahrzehntelange Schulung hat sie gelehrt, überall dort, wo "Selbstverlag" draufsteht, eine hohe Rate an TTP zu vermuten ... und für TTP wetzt kein Kritiker seine Messer.

    TTP – Trash, Trivialliteratur, Pornografie – ist der abgesunkene Bodensatz der kollektiven Schreiblust, sozialpsychologisch interessant, ästhetisch horribel. Doch die Zeiten wandeln sich, auch ältere Leser können inzwischen Kindles und iPad-Apps bedienen, und so seien 40 Euro – Gegenwert für zwei normale Hardcovers – in Texte der Kindle-Top-100-Liste investiert. Quantitativ erhält man dafür ein X-faches an Lektürestoff, qualitativ ... nun ja.

    TTP lebt! Sein Idealbiotop befindet sich genau hier, und es wäre ungerecht, irgendeinen der Mysterythriller, Liebesromanzen, Historienscharteken und Buchstabenpornos besonders strafend hervorzuheben. Die Lektüre bereitet insgesamt, meist aus sprachlichen Gründen – Adjektive! Adjektive! –, so großes Unbehagen, dass die mangelnde Spannung – Dramaturgie, ach Dramaturgie! – sich gar nicht erst als Abbruchgrund etablieren kann. Zum Glück lässt sich jeder Kindle-Titel gratis anlesen, und das klappernde Unvermögen der meisten Autoren erkennt man schon auf den ersten Seiten.

    Nun frage bitte keiner, warum diese Bücher über das "Günstiger-Preis"-Argument hinaus Bestseller geworden sind, sonst kommt man zu der niederschmetternden Einsicht, dass sich das ohnehin niedrige Niveau des gedruckten Trash-Trivialliteratur-Pornografie-Sektors folgenlos noch weiter senken lässt. Wir wollen den Verlagen keinesfalls diesen Tipp geben. Aber man kann durchaus fragen, ob das alles sei?

    Zum Glück nicht. Es gibt auch Schätze im Kindle-Shop, die man allerdings kaum auf die Schnelle entdeckt, wenn man nicht weiß, dass man sie sucht. Am einfachsten ist es noch mit dem Politthriller "Excess" von Mathias Frey, denn er befand sich ein halbes Jahr lang als eine der wenigen Qualitätsausnahmen im Rampenlicht der Top 100. Die Geschichte um ein Medienexperiment in Amerika, das sinistre politische Verschwörer angezettelt haben, um die Macht im Staate zu übernehmen, liest sich ohne Abstriche wie ein Profi-Werk des Genres, ist aber ein Selbstverlagsprodukt. Für vier Euro gibt es hier umgerechnet 500 Seiten Spannungsliteratur, und der Autor fährt bei 70 Prozent Autorenhonorar vom Verkaufspreis sogar noch besser, als wenn er die gleiche Anzahl Bücher konventionell verlegt für 20 Euro verkauft hätte.

    Eine Win-win-Situation zwischen Autor und Leser, die potenzielle Verleger ausschließt, doch das bleibt die Ausnahme. Selbst arrivierte Schriftsteller wie der Thrillerautor Sven Böttcher verdämmern im elektronischen Nirwana der Nichtpräsentation, obwohl Böttcher ebenfalls preiswert Gelungenes anzubieten hat. Seine beiden Cyberpunk-Krimis "Sherman & Lyle" aus den 90ern – damals bei Goldmann erschienen – gibt es für jeweils drei Euro nicht nur einfach elektronisch neu aufgelegt, sondern technisch modernisiert. Beim Genre Cyberpunk, das mit Science-Fic¬tion-Ele¬menten einer hoch technisierten Zukunft spielt, ist das die angemessene Republikationsweise, sozusa¬gen ein literarisches Update. Böttcher schreibt schnell, lakonisch, witzig und sprachlich auf dem Niveau literarischer Hochkomik. Das gehörte in die Topsellerliste hinein, siedelt aber weit davon entfernt.

    Ebenfalls ein Remaster – Reprint kann man ja nicht sagen – sind die Lebenserinnerungen "Der Bücherprinz" des Verlegers Wilhelm Ruprecht Frieling. Frieling? Da war doch was! Richtig – der Mann hat jahrzehntelang einen jener Kostenzuschussverlage betrieben, die in vordigitalen Zeiten Hobbyautoren das damals komplizierte Selbstverlegen gegen einen mehr oder minder hohen Obolus abnahmen. In unbekümmerter Freizügigkeit schildert er, wie er zu diesem Geschäftsmodell kam, das sich demnächst dank Amazon und anderer Dienste erledigt haben dürfte.

    Frieling selbst hat den Verlag längst verkauft und ist jetzt absurderweise zum begeisterten Self-Publisher geworden: Ein Verleger, der sich abschafft und dabei auch noch Spaß empfindet. Für drei Euro können es die Leser miterleben und sich mit den übrigen genannten Titeln aus dem Meer von Trash, Trivialliteratur und Pornografie erheben. Das alles scheint freilich ein bloßes Anfangssymptom zu sein. In drei Jahren schauen wir dann noch mal auf die Kindle-Top-100-Liste. Die billigen Preise werden sich zum Leidwesen der Verlage vermutlich gehalten haben, aber TTP ist dann nur noch in Spurenelementen präsent.

    Ein frommer Wunsch, gewiss.


    Erwähnte Titel:

    Mathias Frey: "EXCESS – Verschwörung zur Weltregierung". Kindle Edition, 3,98 Euro.
    Sven Böttcher: "Sherman schwindelt". Sherman & Lyle. Kindle Edition, 3,99 Euro.
    Sven Böttcher: "Wal im Netz". Sherman & Lyle. Kindle Edition, 3,99 Euro.
    Wilhelm Ruprecht Frieling: "Der Bücherprinz oder: Wie ich Verleger wurde". Kindle Edition, 2,99 Euro.