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Tuberkulose auf dem Vormarsch

Noch bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts glaubten die Gesundheitsexperten, Tuberkulose wäre kein Thema mehr. Die Krankheit ließe sich immer besser verhindern. Außerdem gäbe es effektive Behandlungsmethoden. Doch es ist anders gekommen. Wo HIV verbreitet ist, steigen auch die Tuberkulose-Infektionen wieder an. Außerdem bilden sich immer mehr resistente Keime, weil die Krankheit oft nicht richtig behandelt wird.

Von William Vorsatz | 18.03.2008
    Keine andere behandelbare Infektionskrankheit führt so häufig zum Tod wie Tuberkulose. Jedes Jahr erkranken weltweit mehr als neun Millionen Menschen neu. Und die Lage bessert sich nicht. Das belegen die neuesten Zahlen, die gestern in Berlin bekannt gegeben wurden. Christian Gunneberg von der WHO in Genf:

    "Tuberkulose ist einer der schlimmsten Infektionskrankheiten neben HIV, es gibt weltweit 1,7 Millionen Tote jedes Jahr, es ist eine schlimme Bedrohung für viele Länder dieser Welt, vor allem ist es traurig, weil diese Krankheit total behandelbar ist. Wir haben da, wo sie behandelt wird, über 85 Prozent der Patienten total kuriert, und es ist also traurig, dass heutzutage immer noch so viele Menschen an der Krankheit sterben. "

    Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung ist mit Tuberkulosebakterien infiziert. Normalerweise hält das Immunsystem die Erreger jedoch in Schach. Wenn es geschwächt ist, kommt es allerdings viel häufiger zum Ausbruch der Tuberkulose, etwa bei einer HIV-Infektion.

    "Die meisten dieser Fälle sind in Asien, in China und Indien, aber ein weiterer Schwerpunkt ist in Afrika. Wegen der HIV-Koinfektion ist die Tuberkuloseepidemie in diesen Ländern stark angestiegen während der letzten 10 bis 15 Jahre."

    Auch bei unseren Nachbarn in Osteuropa hat sich die Tuberkulose vehement zurück gemeldet. In Russland beispielsweise. Nach dem Zusammenbruch des staatlichen Gesundheitssystems Ende der Achtziger Jahre ist die Krankheit vielfach außer Kontrolle geraten. Die Therapien sind langwierig und teuer. Außerdem verursachen sie oft schwere Nebenwirkungen. All das hat dazu geführt, dass viele Tuberkulose-Patienten nicht bis zu Ende behandelt wurden, sondern ihre Therapien vorzeitig abgebrochen haben. So konnten sich vermehrt resistente Bakterienstämme entwickeln.

    "Dazu gehören im Übrigen auch drei EU-Länder, die baltischen Staaten, die ähnliche Situationen haben mit resistenten Keimen, also Litauen, Lettland und auch Estland."

    Professor Robert Loddenkemper ist Generalsekretär des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose in Berlin. Auch in anderen EU-Ländern sieht er die Lage kritisch.

    "Zum Beispiel Portugal, die haben eine hohe HIV-Tuberkulose-Koinfektionsrate, Spanien, dann Großbritannien, wo beispielsweise Einwanderer eine große Rolle spielen aus Indien und Pakistan."

    Wenn Rumänien etwa 100 Tuberkulose-Erkrankungen auf 100.000 Einwohner kommen, so sind es in Deutschland im Durchschnitt nur sechs. Allerdings schwanken die Zahlen sehr stark, je nach Region. Vor allem Großstädte mit vielen Zuwanderern verzeichnen mehr Infektionen. . Hamburg und Berlin liegen mit elf Erkrankten pro 100.000 Einwohnern deutlich vorn. Angesichts der steigenden Zahl an multiresistenten Bakterienstämmen werden wirksame Gegenmaßnahmen immer dringender. Prof. Loddenkemper:

    "Nicht alle Patienten sind im Mikroskop bereits positiv, sondern oft erst in der Kultur. Kultur dauert mehrere Wochen, bis sie positiv wird, das heißt wir müssen schnellere Diagnoseverfahren haben, wir müssen wegen der zunehmenden Resistenz gegen die Medikamente wissen, welche Medikamente bei dem einzelnen Patienten wirken und welche nicht wirken."


    Es gibt Ideen, die Tuberkulose schon in der Atemluft oder im Urin nachzuweisen. Außerdem müssen gegen die resistenten Bakterien neue Medikamente entwickelt werden. Weil die Experten die Bedrohung lange verkannt haben, ist hier in den letzten 40 Jahren nicht mehr viel getan worden. Und schließlich gilt es, die vorbeugende Impfung gegen Tuberkulose weiter zu entwickeln. Die bisherige Impfung kann Erwachsene nicht ausreichend schützen und hat zu viele Nebenwirkungen. Bis all die neuen Maßnahmen greifen, hilft vor allem internationale Kooperation. Deutsche Experten arbeiten beispielsweise zunehmend mit russischen zusammen. Denn Tuberkulose macht nicht an Grenzen halt.