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Türkei
Das Schicksal der entlassenen Hochschullehrer

Bereits im Januar 2016 hatte Staatspräsident Erdogan eine unbarmherzige Gangart gegen kritische Akademiker angekündigt. Er sprach von "sogenannten Intellektuellen", die nicht länger vom Staat bezahlt werden sollten. Mehr als 7000 Hochschullehrer sind inzwischen aus politischen Gründen entlassen worden. In Ankara unterrichten einige von ihnen nun in Parks.

Von Gunnar Köhne | 29.03.2017
    Lehrer und Studenten bei Protesten in Ankara gegen die Entlassungswelle von Lehrern.
    Lehrer und Studenten protestieren auf dem Universitäts-Campus in Ankara gegen die Entlassungswelle von Akademikern nach dem Putschversuch. (ADEM ALTAN / AFP)
    Es regnet in Strömen, der Rasen des kleinen Parks ist aufgeweicht, die Zuhörer stehen unter ihren aufgespannten Regenschirmen dicht beieinander. Vor ihnen steht die Soziologin Yasemin Özgün und redet mit fester Stimme gegen das Prasseln des Regens an. "Feministische Politik" steht auf dem Whiteboard, das neben der Mittvierzigerin am Baum lehnt. Nicht nur dieses kritische Thema darf die Akademikerin an einer türkischen Universität nicht mehr lehren – Özgün ist eine von tausenden entlassenen Hochschullehrern in der Türkei. Sie hatte einen türkisch-kurdischen Friedensaufruf unterzeichnet. Gemeinsam mit anderen Betroffenen hat sie als Antwort auf ihren Rauswurf die "Straßen-Akademie" von Ankara gegründet. Die Entlassenen unterrichten seitdem weiter in den Parks der Hauptstadt - ein Protest gegen die Willkür des Staates - und für Özgün auch ein Zeichen der Zuversicht:
    "Eines Tages werden wir an unsere Unis zurückkehren können. Daran glaube ich fest. Bis dahin wollen wir nicht einfach da sitzen und nichts tun. Und noch etwas ist wichtig: Die Regierung versucht uns permanent zu marginalisieren und als Einzelfälle abzustempeln. Hier zeigen mir die Zuhörer aber: Du bist nicht allein. Und du hast nichts verbrochen."
    Entlassungswelle traf vor allem vermeintlichen Gülen-Anhänger
    Zuletzt lehrte Özgün an der 200 Kilometer entfernten Universität Eskisehir. Die Entlassungswelle an den türkischen Hochschulen hat vor allem vermeintliche Sympathisanten des islamischen Predigers Gülen getroffen - aber eben auch tausende linke Akademiker wie Yasemin Özgün. Seit Ende vergangenen Jahres organisieren die Betroffenen einmal in der Woche die Straßen-Vorlesungen. Meist geht es dabei um politische Themen wie die "Krise der Globalisierung" oder die "Geschichte der Komplottheorie" Gut drei Dutzend Zuhörer sind an diesem Tag in den kleinen Vorortpark gekommen. Überwiegend Studierende und betroffene Kolleginnen:
    "Meine Dozentenstelle hat man auch aus politischen Gründen nicht noch einmal verlängert. Aber eine Universität braucht nicht unbedingt ein Gebäude. Sie kann überall sein. Darum bin ich hier."
    Die türkischen Behörden dulden die Aktivitäten der Strassenakademiker. Noch jedenfalls. Schon gibt es in anderen Städten des Landes wie Istanbul oder Izmir ähnliche Initiativen.
    Nach einer halben Stunde Seminar und ein paar Nachfragen wärmt sich Özgün mit Freunden bei einem Glas Tee auf. Viel mehr kann sich die Lehrerin in ihrer Freizeit derzeit auch kaum leisten:
    "Von der Lehrergewerkschaft bekomme ich derzeit noch umgerechnet rund 400 Euro Unterstützung. Aber damit komme ich nicht weit. Ich muss noch einen Wohnungskredit abbezahlen. Frankreich oder Deutschland würden mir ein Forschungsstipendium geben, aber mein Pass wurde eingezogen. Ich habe immerhin Freunde und Unterstützer. Andere betroffene Kollegen nehmen sich in ihrer Verzweiflung das Leben."
    So wie Fatih Tiras aus der südtürkischen Stadt Adana. Auch der Wirtschaftswissenschaftler hatte den Friedensaufruf mit unterzeichnet. Danach fand er monatelang keine Anstellung mehr. Mitte Februar dann der Sprung aus dem 6. Stock als letzter Ausweg. Er sei in den Selbstmord getrieben worden, sagt sein Freund Hasan Durkal:
    "Die Universität, die Medien und das Justizsystem – sie alle haben ihn als Staatsfeind gebrandmarkt. Nicht jeder Mensch hat die seelische Kraft so etwas auszuhalten.
    "Diese schweren Zeiten werden eines Tages vorüber gehen"
    Es ist das erste Mal seit der Beerdigung vor vier Wochen, dass Hasan Durkal zum Grab seines besten Freundes zurückkehrt ist. Ein Grabstein fehlt noch, die Blumen sind noch frisch. Aller Trauer zum Trotz: In dem Verlust seines Freundes sieht er auch ein Vermächtnis:
    "Er hat bis zuletzt zu seiner Meinung gestanden, wollte die Unterschrift unter den Friedensappell nicht zurückziehen. Er sagte uns: Diese schweren Zeiten werden eines Tages vorüber gehen. Er wird das nun nicht mehr erleben, aber wir glauben weiter dran."