Christian Schütte: Auf der Buchmesse in Frankfurt präsentiert sich diesmal die Türkei als Gastland. Rund 150 türkische Verlage stellen ihre Autoren und deren Werke vor. Darüber spreche ich mit dem türkischstämmigen Schriftsteller Zafer Senocak. Guten Morgen!
Zafer Senocak: Guten Morgen.
Schütte: Wie positiv ist das Bild, das die Türkei auf der Buchmesse von sich vermitteln will?
Senocak: Ja, das ist eine gute Frage. Ist das überhaupt ein Bild, das dort präsentiert wird? Es heißt ja, die Türkei in allen Farben. Das heißt, es soll ein farbenprächtiges Bild sein, die Türkei als vielfältiges Land, als heterogenes Land. Also ein bisschen ich würde sagen Offensive, nicht mehr diese Defensivstruktur des Nationalismus, die jahrzehntelang die türkische Kultur bestimmt hat, sondern nach vorne gehen, die Türkei als ein globalisiertes modernes Land präsentieren mit vielen Stimmen. Insofern, wenn man das als positiv bezeichnen will, ja, das ist ein positives Bild. Die Frage ist, inwieweit die Vielschichtigkeit, die Vielfalt dann tatsächlich durchkommt.
Schütte: Farbenprächtig, das klingt in der Tat erst mal ein bisschen positiv. Kommen denn auch schwierige Themen überhaupt auf den Tisch, Stichwort Islamisierung, Toleranz, Meinungsfreiheit?
Senocak: Das sieht so aus. Wenn man so ein bisschen die Diskussionen anschaut, die dort angeboten werden, und auch die eingeladenen Autoren anschaut, das ist schon so, dass die Türkei mit den verschiedenen Facetten vertreten ist. Es ist also vom Vorfeld nicht der Fehler gemacht worden, jetzt irgendwie zu reglementieren, und die vielfältigen Stimmen, die es in der Türkei inzwischen gibt, auch gerade in der jüngeren Generation, was die Autoren anbetrifft, kann man in Frankfurt schon antreffen.
Schütte: Was fehlt Ihnen denn auf der Buchmesse an Diskussion?
Senocak: Ich würde sagen, eine noch offensivere Auseinandersetzung mit der türkischen Geschichte hätte gut getan.
Schütte: Stichwort Armenien?
Senocak: Zum Beispiel Armenien, aber nicht nur, sondern auch das Verhältnis der Türkei zu den Nachbarländern, das kurdische Thema, das ja nun in der Türkei sehr heikel ist und in der letzten Zeit ja wieder voll entbrannt ist, wo es bislang anscheinend nicht möglich ist, einen Lösungsweg zu finden. Die militärische Lösung ist ja keine Lösung. Das wird ja alles immer verschoben sozusagen. Es gibt zum Beispiel mittlerweile eine Rückwanderung von vielen Menschen kurdischer Abstimmung in kurdische Gebiete, die sozusagen ausgewandert waren aus diesen Gebieten in die Großstädte. Die wandern zurück, nicht weil es ihnen da besser geht, sondern weil sie sich da sicherer fühlen. Das steht mittlerweile schon in den türkischen Zeitungen. Und die Frage wird sein, ob solche Themen angesprochen werden.
Schütte: Die Auseinandersetzung, das ist das eine. Da könnte mehr passieren, sagen Sie. Auf der anderen Seite sollen sich auf der Buchmesse Türkei und der Westen näher kommen. Das ist sicherlich ein erklärtes Ziel. Hat das aber auch konkrete Auswirkungen auf den politischen und gesellschaftlichen Dialog im Alltag?
Senocak: Ich denke schon. Das wird länger dauern. Der Weg über die Literatur ist ein besonderer Weg. Wenn man jetzt anschaut, wie viele Bücher übersetzt worden sind, zum Beispiel ein Klassiker wie Ahmet Hamdi Tanpinar, der in den 40er Jahren seine Romane geschrieben hat, der bisher überhaupt nicht ins Deutsche übersetzt war, das sind schon sagen wir mal Fenster, die aufgemacht worden sind, wo man etwas entdecken kann. Die Frage wird sein, ob man das hierzulande annehmen wird. Wenn das angenommen wird, dann wird es fruchtbare Gespräche geben.
Schütte: Wie schätzen Sie die neue türkische Autorenszene ein, von der die Rede ist? Geht es da um die eigene Identitätsfindung, oder mehr um die Frage, gehört die Türkei zum Beispiel nach Europa und in die EU?
Senocak: Ich glaube, diese Frage spielt fast keine Rolle bei den jüngeren Autoren. Die Autoren sind dort schon angekommen. Das sind europäische Autoren. Es sind junge, dynamische Autoren, großstädtische Autoren zum großen Teil. Sie haben oft einen sehr fetzigen Stil. Es gibt schon eine neue türkische Prosa.
Schütte: Worüber schreiben die?
Senocak: Über alles mögliche: Über das Leben in der Großstadt, über Geschlechterbeziehungen, über Liebe, über Enttäuschungen, über Wut. Es ist viel zu entdecken, wenn man gerade diese jungen Autoren liest. Sie haben auch einen neuen Stil entwickelt, der nicht mehr so bieder ist, nicht mehr brav ist, sondern zum großen Teil frech daherkommt.
Schütte: Es sind dann aber auch keine Titel, die besonders politisch sind. Ist das wiederum eine Folge von Denkverboten, von Maulkörben?
Senocak: Ja und nein. Die Entpolitisierung der türkischen Literatur in den 80er Jahren - das kann man schon feststellen, nach dem Militärputsch 1980 - war deutlich. Nun hat aber diese Entpolitisierung auch zum Beispiel einen Autor wie Orhan Pamuk hervorgebracht, der wiederum sehr politisch ist. Das ist immer sehr widersprüchlich in der Literatur. Ein Autor muss nicht immer eine gewisse Programmatik vertreten, um als politisch wahrgenommen zu werden. Es geht darum, dass er seine Gesellschaft, seine Zeit, die Verhältnisse minuziös beschreibt und eben auch angstfrei beschreibt. Da sind die Autoren, glaube ich, in den letzten Jahren schon ein Stück weit vorangekommen.
Schütte: Orhan Pamuk beschreibt angstfrei, hat trotzdem aber auch Morddrohungen für seine Positionen erhalten. Wird sich durch die Präsentation der Türkei auf der Buchmesse insgesamt später etwas ändern für die Autoren, für die Situation der Autoren in der Türkei?
Senocak: Es ist ja auf jeden Fall bemerkenswert, dass Orhan Pamuk bei der Eröffnung dabei war, mit dem türkischen Staatspräsidenten Gül und dem deutschen Bundesaußenminister Steinmeier. Das heißt, der Staat oder die Repräsentanten des Staates, die Regierung, haben nicht die Distanz zu Orhan Pamuk wie Teile in der türkischen Gesellschaft, nationalistische Teile. Das ist erst mal wichtig zu verzeichnen und aufzunehmen. Ich glaube, dass die Stimmung in den letzten drei Jahren etwas gekippt ist. Vor drei Jahren gab es tatsächlich in der Türkei so etwas wie eine Lynchstimmung, eine Auseinandersetzung, eine sehr harte Auseinandersetzung um nationalistische Positionen. Das hat sich verändert. Es ist weicher geworden und es ist für die Autoren auch wieder möglich, mehr zu sagen und deutlicher zu sagen. Und ich glaube, das ist ein Feld, das sozusagen nach und nach gewonnen wird, Feld der Freiheit, der Demokratie, der freien Meinungsäußerung. Und wenn ein Stück auf diesem Feld gewonnen ist, dann wird das auch nicht wieder aufgegeben werden.
Schütte: Der Autor Zafer Senocak. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Zafer Senocak: Guten Morgen.
Schütte: Wie positiv ist das Bild, das die Türkei auf der Buchmesse von sich vermitteln will?
Senocak: Ja, das ist eine gute Frage. Ist das überhaupt ein Bild, das dort präsentiert wird? Es heißt ja, die Türkei in allen Farben. Das heißt, es soll ein farbenprächtiges Bild sein, die Türkei als vielfältiges Land, als heterogenes Land. Also ein bisschen ich würde sagen Offensive, nicht mehr diese Defensivstruktur des Nationalismus, die jahrzehntelang die türkische Kultur bestimmt hat, sondern nach vorne gehen, die Türkei als ein globalisiertes modernes Land präsentieren mit vielen Stimmen. Insofern, wenn man das als positiv bezeichnen will, ja, das ist ein positives Bild. Die Frage ist, inwieweit die Vielschichtigkeit, die Vielfalt dann tatsächlich durchkommt.
Schütte: Farbenprächtig, das klingt in der Tat erst mal ein bisschen positiv. Kommen denn auch schwierige Themen überhaupt auf den Tisch, Stichwort Islamisierung, Toleranz, Meinungsfreiheit?
Senocak: Das sieht so aus. Wenn man so ein bisschen die Diskussionen anschaut, die dort angeboten werden, und auch die eingeladenen Autoren anschaut, das ist schon so, dass die Türkei mit den verschiedenen Facetten vertreten ist. Es ist also vom Vorfeld nicht der Fehler gemacht worden, jetzt irgendwie zu reglementieren, und die vielfältigen Stimmen, die es in der Türkei inzwischen gibt, auch gerade in der jüngeren Generation, was die Autoren anbetrifft, kann man in Frankfurt schon antreffen.
Schütte: Was fehlt Ihnen denn auf der Buchmesse an Diskussion?
Senocak: Ich würde sagen, eine noch offensivere Auseinandersetzung mit der türkischen Geschichte hätte gut getan.
Schütte: Stichwort Armenien?
Senocak: Zum Beispiel Armenien, aber nicht nur, sondern auch das Verhältnis der Türkei zu den Nachbarländern, das kurdische Thema, das ja nun in der Türkei sehr heikel ist und in der letzten Zeit ja wieder voll entbrannt ist, wo es bislang anscheinend nicht möglich ist, einen Lösungsweg zu finden. Die militärische Lösung ist ja keine Lösung. Das wird ja alles immer verschoben sozusagen. Es gibt zum Beispiel mittlerweile eine Rückwanderung von vielen Menschen kurdischer Abstimmung in kurdische Gebiete, die sozusagen ausgewandert waren aus diesen Gebieten in die Großstädte. Die wandern zurück, nicht weil es ihnen da besser geht, sondern weil sie sich da sicherer fühlen. Das steht mittlerweile schon in den türkischen Zeitungen. Und die Frage wird sein, ob solche Themen angesprochen werden.
Schütte: Die Auseinandersetzung, das ist das eine. Da könnte mehr passieren, sagen Sie. Auf der anderen Seite sollen sich auf der Buchmesse Türkei und der Westen näher kommen. Das ist sicherlich ein erklärtes Ziel. Hat das aber auch konkrete Auswirkungen auf den politischen und gesellschaftlichen Dialog im Alltag?
Senocak: Ich denke schon. Das wird länger dauern. Der Weg über die Literatur ist ein besonderer Weg. Wenn man jetzt anschaut, wie viele Bücher übersetzt worden sind, zum Beispiel ein Klassiker wie Ahmet Hamdi Tanpinar, der in den 40er Jahren seine Romane geschrieben hat, der bisher überhaupt nicht ins Deutsche übersetzt war, das sind schon sagen wir mal Fenster, die aufgemacht worden sind, wo man etwas entdecken kann. Die Frage wird sein, ob man das hierzulande annehmen wird. Wenn das angenommen wird, dann wird es fruchtbare Gespräche geben.
Schütte: Wie schätzen Sie die neue türkische Autorenszene ein, von der die Rede ist? Geht es da um die eigene Identitätsfindung, oder mehr um die Frage, gehört die Türkei zum Beispiel nach Europa und in die EU?
Senocak: Ich glaube, diese Frage spielt fast keine Rolle bei den jüngeren Autoren. Die Autoren sind dort schon angekommen. Das sind europäische Autoren. Es sind junge, dynamische Autoren, großstädtische Autoren zum großen Teil. Sie haben oft einen sehr fetzigen Stil. Es gibt schon eine neue türkische Prosa.
Schütte: Worüber schreiben die?
Senocak: Über alles mögliche: Über das Leben in der Großstadt, über Geschlechterbeziehungen, über Liebe, über Enttäuschungen, über Wut. Es ist viel zu entdecken, wenn man gerade diese jungen Autoren liest. Sie haben auch einen neuen Stil entwickelt, der nicht mehr so bieder ist, nicht mehr brav ist, sondern zum großen Teil frech daherkommt.
Schütte: Es sind dann aber auch keine Titel, die besonders politisch sind. Ist das wiederum eine Folge von Denkverboten, von Maulkörben?
Senocak: Ja und nein. Die Entpolitisierung der türkischen Literatur in den 80er Jahren - das kann man schon feststellen, nach dem Militärputsch 1980 - war deutlich. Nun hat aber diese Entpolitisierung auch zum Beispiel einen Autor wie Orhan Pamuk hervorgebracht, der wiederum sehr politisch ist. Das ist immer sehr widersprüchlich in der Literatur. Ein Autor muss nicht immer eine gewisse Programmatik vertreten, um als politisch wahrgenommen zu werden. Es geht darum, dass er seine Gesellschaft, seine Zeit, die Verhältnisse minuziös beschreibt und eben auch angstfrei beschreibt. Da sind die Autoren, glaube ich, in den letzten Jahren schon ein Stück weit vorangekommen.
Schütte: Orhan Pamuk beschreibt angstfrei, hat trotzdem aber auch Morddrohungen für seine Positionen erhalten. Wird sich durch die Präsentation der Türkei auf der Buchmesse insgesamt später etwas ändern für die Autoren, für die Situation der Autoren in der Türkei?
Senocak: Es ist ja auf jeden Fall bemerkenswert, dass Orhan Pamuk bei der Eröffnung dabei war, mit dem türkischen Staatspräsidenten Gül und dem deutschen Bundesaußenminister Steinmeier. Das heißt, der Staat oder die Repräsentanten des Staates, die Regierung, haben nicht die Distanz zu Orhan Pamuk wie Teile in der türkischen Gesellschaft, nationalistische Teile. Das ist erst mal wichtig zu verzeichnen und aufzunehmen. Ich glaube, dass die Stimmung in den letzten drei Jahren etwas gekippt ist. Vor drei Jahren gab es tatsächlich in der Türkei so etwas wie eine Lynchstimmung, eine Auseinandersetzung, eine sehr harte Auseinandersetzung um nationalistische Positionen. Das hat sich verändert. Es ist weicher geworden und es ist für die Autoren auch wieder möglich, mehr zu sagen und deutlicher zu sagen. Und ich glaube, das ist ein Feld, das sozusagen nach und nach gewonnen wird, Feld der Freiheit, der Demokratie, der freien Meinungsäußerung. Und wenn ein Stück auf diesem Feld gewonnen ist, dann wird das auch nicht wieder aufgegeben werden.
Schütte: Der Autor Zafer Senocak. Ich danke Ihnen für das Gespräch.