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Türkei: Prozess gegen Kurdenvertreter

Ob und wann die Türkei der Europäischen Union beitritt, das ist völlig offen. Aus Brüsseler Sicht gibt es noch zu viele Hürden, ist die Türkei noch den Beweis schuldig, dass sie die demokratischen Standards der EU erfüllen kann. Einer der wunden Punkte ist der Umgang mit den Kurden im Land. Zwar gibt es Reformen, mit denen die Kurden besser gestellt werden, zugleich aber setzt die türkische Regierung auf Repression. Seit Oktober letzten Jahres müssen sich mehr als 150 kurdische Politiker vor Gericht verantworten, darunter auch gewählte Bürgermeister. Vorgeworfen wird ihnen die Unterstützung der verbotenen kurdischen Untergrundorganisation PKK. Heute wird der Prozess fortgesetzt.

Von Gunnar Köhne | 13.01.2011
    Die Staatsanwaltschaft in der südostanatolischen Stadt Diyarbakir ist überzeugt davon, dass die angeklagten Politiker und Bürgerrechtler nicht mehr sind als der verlängerte Arm der verbotenen PKK.

    Tatsächlich käme es wohl keinem der 151 Angeklagten in den Sinn, sich von der Untergrundarmee zu distanzieren - dafür ist der Einfluss der PKK in der gesamten Kurdenregion zu groß. Die Verhaftungen seien dennoch willkürlich, meint der Istanbuler Politologe Cengiz Aktar. Im Schwurgericht von Diyarbakir zeige sich, dass die Regierung kein Konzept zur Lösung des Kurdenproblems habe:
    "Das ist ein rein politischer Prozess - ein Beispiel für das Taktieren der Regierung. Sie hat einfach noch immer noch nicht verstanden, dass man das Kurdenproblem nur lösen kann, indem man mit Kurden redet. In deren Weltbild gibt es eine Menge böser Kurden und ein paar gute Kurden, meistens Mitglieder ihrer eigenen Partei."
    Der Prozess gegen die Kurdenvertreter fällt in eine Zeit, in der hitzig über einen Plan für ein autonomes Kurdistan innerhalb der Türkei diskutiert wird. Eine einflussreiche Gruppe kurdischer Intellektueller hatte diesen Plan Ende Dezember vorgelegt - offenbar gehen die Überlegungen auf den inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan zurück. In dem Papier wird nicht allein Kurdisch als zweite Amtssprache gefordert. Die Kurdenregion solle darüber hinaus ein eigenes Parlament, eine regionale Regierung, eine eigene Flagge und Hymne sowie eigene Sicherheitskräfte bekommen. Forderungen, die in der Türkei als inakzeptabel gelten. Nicht nur die Opposition zeigte sich geschockt, auch Ministerpräsident Erdogan verurteilte den Vorstoß im Parlament scharf. Er gefährdete den sozialen Frieden und die Einheit des Landes:
    "Dieses Land werden wir niemandem als Versuchsobjekt überlassen! Ich habe als Ministerpräsident das Kurdenproblem immer anerkannt. Aber ich bin gegen kurdischen Chauvinismus genauso wie gegen türkischen Chauvinismus. Damit das klar ist!"
    Die kurdische Partei BDP erklärt das Autonomiemodell zu einer Diskussionsvorlage und versucht die Wogen zu glätten. Dies sei keine Vorstufe zur staatlichen Unabhängigkeit, versichert die stellvertretende Vorsitzende Gültan Kisanak, sondern lediglich der Versuch, die verschleppte Debatte über das Kurdenproblem wieder anzufachen:
    "Wir haben immer gesagt, dass wir durch unsere Arbeit im Parlament Veränderungen erreichen wollen. Dort ist der Platz für solche Debatten. Aber man muss auch einfach einmal anerkennen: Seit 30 Jahren gibt es diese blutigen Auseinandersetzungen und die Menschen wollen eine Lösung. Sie wollen auch, dass mit allen Beteiligten des Konflikts geredet wird. Wir haben das immer gesagt und sind dafür gescholten worden. Nun setzt sich diese Erkenntnis langsam durch."
    Tatsächlich gibt es jenseits aller öffentlichen Scharmützel vor dem morgigen Gerichtsprozess im Stillen weiter Bemühungen, eine dauerhafte Waffenruhe zwischen PKK und Armee zu erreichen. Dafür hat die Regierung sogar das Tabu gebrochen, nicht mit der PKK zu reden. Über die kurdische Anwältin und Politikerin Aysel Tugluk führt sie zumindest indirekte Gespräche mit Abdullah Öcalan. Mit Zustimmung Ankaras besuchte Tugluk den inhaftierten PKK-Chef mehrfach auf der Gefängnisinsel Imrali und erhielt so dessen Ja zu einer Verlängerung des Waffenstillstands bis zu den Parlamentswahlen im Juni.

    Aber auch mit der kurdischen Regionalregierung im Irak verhandelt Ankara immer mal wieder darüber, wie die PKK in deren Rückzugsgebieten im Nordirak entwaffnet werden könnte.

    Derweil wollen die kurdischen Bürgermeister im Südosten des Landes nicht mehr länger warten. Sie haben damit begonnen, Teile des Autonomiemodells umzusetzen. In etlichen Gemeinden wurden zweisprachige Ortsschilder aufgestellt. Die Regierung sollte sich nicht das Heft aus der Hand nehmen lassen, warnt der Istanbuler Politologe Cengiz Aktar:
    "Wenn ein Vakuum in der Politik entsteht, dann kommen andere und füllen dieses Vakuum aus. Mit anderen Worten: Wenn die Regierung nicht endlich Resultate in der Kurdenpolitik liefert, dann kommen PKK und die Armee wieder zurück und nehmen das Heft in die Hand. Wenn die Politik scheitert, wird das Militär bestimmt nicht weit sein."
    Doch es ist unwahrscheinlich, dass Erdogan in nächster Zeit zu größeren Zugeständnissen an die Kurden bereit ist. Denn im Juni sind Parlamentswahlen - da gilt es, vor allem die türkische Mehrheit nicht zu verprellen.