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Türkei
Regierungskritischer Chefredakteur tritt zurück

Can Dündar gibt seinen Posten als Chefredakteur der regierungskritischen türkischen Zeitung "Cumhuriyet" auf. Der zu einer Gefängnisstrafe verurteilte Journalist hält sich derzeit in Europa auf und will vorerst nicht zurück in seine Heimat. Vertrauen in die türkische Justiz hat er nicht mehr.

15.08.2016
    Can Dündar, Journalist bei der türkischen Zeitung "Cumhuriyet" kommt vor dem Gericht in Istanbul an.
    Wurde in der Türkei wegen Geheimnisverrats verurteilt: Der Journalist Can Dündar. (picture alliance / dpa / Sedat Suna)
    Er werde nicht in die Türkei zurückkehren, solange der Ausnahmezustand andauere, schreibt der wegen Geheimnisverrats verurteilte Journalist in der heutigen Ausgabe der "Cumhuriyet". Seinen Posten als Chefredakteur trete er an seinen Vertreter Oguz Güven ab. Er wolle aber weiter Kolumnen in der "Cumhuriyet" zu schreiben. In seinem Heimatland herrsche aufgrund des nach dem gescheiterten Putschversuch verhängten Ausnahmezustands "Gesetzlosigkeit", erklärt Dündar weiter.
    Staatspräsident Recep Tayyio Erdogan hatte am 20. Juli einen Ausnahmezustand verhängt, der zunächst für drei Monate gilt. Er kann jedoch verlängert werden.
    Auszeit in Europa
    Dündar und der Hauptstadtbüroleiter der "Cumhuriyet", Erdem Gül, waren im Mai zu fünf Jahren und zehn Monaten beziehungsweise fünf Jahren Haft verurteilt worden. Sie wurden für schuldig befunden, geheime Dokumente veröffentlicht zu haben, die türkische Waffenlieferungen an Islamisten in Syrien 2015 belegen sollen. Dündars Verteidiger hatte Berufung angekündigt. Ein Verfahren wegen Unterstützung einer Terrororganisation wurde abgetrennt und steht noch aus.
    Dündar und Gül saßen drei Monate in Untersuchungshaft, bevor das Verfassungsgericht Ende Februar vergangenen Jahres ihre Freilassung anordnete. Anfang Juli hatte Dündar eine längere Auszeit in Europa angekündigt und sich zunächst vorübergehend als Chefredakteur in der Türkei vertreten lassen.
    Kein Vertrauen in die Justiz
    Dass er nun vorerst nicht zurückkehrt, begründet Dündar in seiner Kolumne unter anderem damit, dass er das Vertrauen in die türkische Justiz verloren habe. Am Tag nach dem Putschversuch vom 15. Juli seien zwei der Richter entlassen worden, die die Aufhebung seiner Untersuchungshaft unterschrieben hätten. Auch am Berufungsgericht habe es Entlassungen gegeben.
    Der Ausnahmezustand habe der Regierung die Möglichkeit gegeben, die Justiz nach ihrem Willen zu kontrollieren, schreibt Dündar. "Einer solchen Justiz zu trauen, hätte bedeutet, den Kopf aufs Schafott zu legen."
    Weitere Haftbefehle
    Die türkische Regierung geht derzeit mit großer Härte gegen mutmaßliche Beteiligte des gescheiterten Umsturzversuches vor. Die Polizei durchsuchte heute laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Dogan drei Gerichte in Istanbul. Die Razzien im Justizpalast Caglayan und zwei Gerichtsgebäuden in den Bezirken Gaziosmanpasa und Bakirköy standen demnach in Zusammenhang mit Haftbefehlen gegen 173 Staatsanwälte und andere Justizangestellte. Es seien mehrere Personen festgenommen worden sein.
    Den Beschuldigten werden Verbindungen zum islamischen Prediger Fethullah Gülen zur Last gelegt. Die türkische Regierung macht den im US-Exil lebenden Prediger für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich. Nach offiziellen Angaben wurden in der Türkei seit dem Putschversuch mehr als 35.000 Menschen festgenommen, vor allem Militärangehörige, Richter, Staatsanwälte, Lehrer, Dozenten und Journalisten. Etwa ein Drittel von ihnen wurde inzwischen wieder freigelassen.
    (pg/kis)