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Türkei
Wie die AKP sich im Fußball einnistet

Die Türkei - ein fanatisches Fußballland. Das will auch die Politik für sich nutzen. In Verband und Vereinen wurden dafür scheinbar regierungsnahe Funktionäre installiert. Sie nehmen im Hintergrund Einfluss auf den Spielbetrieb. Leidtragende sind Opposition und Fans.

Von Mathias von Lieben | 12.03.2016
    Fans der türkischen Fußballmannschaft Galatasaray (2.3.2016).
    Fans der türkischen Fußballmannschaft Galatasaray. (dpa / picture-alliance / Str)
    Wenn Ex-Fußball-Nationalspieler Fabian Ernst an seine Zeit in der Türkei zurückdenkt, schwärmt er noch heute von der Stimmung in den Stadien:
    "Es gibt nicht eine Fankurve in der Türkei, sondern das ganze Stadion macht mit, wenn die Stimmung gut ist. Das muss man einfach mal erlebt haben. In den Derbys brennt das Stadion, da sind dann 40.000 - 50.000, und alle gehen da mit.""
    Diese türkische Fußballbegeisterung macht sich die Politik zu Nutze. Die Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayip Erdogan streckt ihre Fühler deshalb in Richtung Fußball aus. Über den Sport können sie viel Einfluss nehmen. Immer mehr AKP-nahe Funktionäre finden sich im Vorstand von Fußballvereinen wieder. Mittlerweile werden sechs Klubs enge Verstrickungen zur Regierungspartei nachgesagt.
    Einer davon: Kasimpasa Istanbul. Kasimpasa: das Viertel, in dem Erdogan aufgewachsen ist, bis zu 80 % wählen dort die AKP. Gute Voraussetzungen. Gespielt wird im Recep-Tayip-Erdogan-Stadion. Fabian Ernst hat vier Jahre in der Türkei Fußball gespielt – ein Jahr davon bei Kasimpasa. Er wunderte sich damals über die plötzlichen Möglichkeiten des Vereins:
    "Da hat man es insofern mitbekommen, dass der Verein finanziell extrem unterstützt worden ist. Da ist dann ein riesengroßes Trainingsgelände entstanden innerhalb von einem Jahr auf einem Grundstück so groß wie zehn Fußballfelder. In der Türkei ist das sicherlich nicht so einfach, besonders in Istanbul, Land zu finden, aber für Kasimpasa war das kein Problem."
    Kasimpasa belegt einen einstelligen Tabellenplatz – auch die anderen fünf Klubs spielen eine gute Rolle in der Süper-Lig. Klammheimlich pirschen sie die AKP-Vereine in der Tabelle an die übermächtigen Klubs aus Istanbul heran. Eine sportlich erfolgreiche Konkurrenz und zugleich auf AKP-Linie. Doch nicht nur über Clubs nimmt die Politik Einfluss auf den Fußball.
    Nach der Niederschlagung der Proteste im Gezi-Park ist ein elektronisches Ticketsystem eingeführt worden: Passolig. Das Ziel: Die Gewalt in den Stadien reduzieren. Kritiker sagen: Die politisierten Fankurven mundtot machen. Passolig also: Ein Plastik-Ticket, auf das die Eintrittsberechtigung für einzelne Spiele aufgeladen wird. Name, Telefonnummer, Anschrift und Foto werden gespeichert – eine Datenkrake. Für Passolig braucht man zudem eine Kreditkarte bei der Aktif-Bank – verbunden mit jährlichen Kosten von knapp 20 Euro. Und wieder hat die AKP ihre Finger im Spiel.
    Harald Aumeier ist gelernter Diplom Pädagoge und Blogger und beschäftigt sich seit Jahren mit dem türkischen Fußball. Er kennt die Verstrickungen:
    "Die Aktif Bank gehört gleichzeitig zur Carlik-Group. Sie ist eng verbunden mit der AKP-Partei. Der Geschäftsführer der Carlik-Holding ist auch mit einer Tochter von Erdogan verheiratet. Er ist jetzt nicht mehr bei der Carlik-Holding, der ist jetzt Energieminister geworden. Da sieht man so die Verbindungen und die Verflechtungen die dort sind."
    Die Politik nistet sich im Fußball ein. Und Vereine, die die AKP-Linie nicht unterstützen, leiden darunter. Ein Beispiel: der Verein Amed SK aus Dyarbakir, Hauptstadt der kurdischen Gemeinde im Südosten des Landes. Im Schatten der Kämpfe zwischen dem türkischen Militär und der kurdischen Arbeiterpartei PKK hat der Fußball-Klub Amed SK Historisches geschafft: durch einen Sieg gegen Erstligist Bursaspor gelang ihm als erster Drittligist der Einzug ins Viertelfinale des türkischen Pokals.
    Amed heißt auf Kurdisch Dyarbakir. Die Pokalduelle bekamen vor dem Hintergrund des Konflikts schnell eine gesellschaftspolitische Symbolik: Die kurdische Minderheit gegen das AKP-Establishment und den Rest der Türkei.
    "Jeder Bereich in der Türkei wird politisch eingeordnet, sei es Kultur, Fernsehen oder sei es der Sport. Natürlich hat die Regierung auch Interesse daran ihre Sichtweise im Fußball darzustellen. Und genau so ist aber auch mit der kurdischen Opposition."
    Doch die kurdische Pokal-Sensation ist besonders brisant: Der wichtigste Spieler von Amed SK ist der Kurde Deniz Naki: ein alter Bekannter in Deutschland durch seine Stationen beim FC St. Pauli und dem SC Paderborn. Nun ist er Held und Botschafter von Amed SK und den Kurden. Und widmete den Viertelfinal-Einzug über soziale Medien den Opfern der Kämpfe. Ideologische Propaganda sei das – so der Vorwurf des Türkischen Fußball-Verbands und sperrte ihn für 12 Spiele. Rekordstrafe in der Türkei. Das Viertelfinale gegen Fenerbahce Istanbul fand ohne Naki statt. Und ohne die Fans – wegen politischer Parolen schloss der Verband auch sie aus. Ali Karakas, der Vereinspräsident von Amed SK, wertete die Strafen als politisch motiviert. Vielen Menschen in der Türkei war die Strafe hingegen noch zu gering.
    Naz Gündoğdu hat mit ihrem Freund Friedemann Pitschak einen Dokumentarfilm über die türkische Fankultur produziert. Sie weiß, womit der kurdische Klub in der Türkei zu kämpfen hat:
    "Die Fans fühlen sich im eigenen Land fremd. Egal in welche Stadt sie gehen, werden sie diskriminiert. Und das obwohl sie wie alle anderen in der Liga spielen."
    Der Kurden-Konflikt setzt sich auch im Fußball fort. Zumal auch der Präsident des Türkischen Fußball Verbands, Yıldırım Demirören, als enger Weggefährte der Regierungspartei gilt. Harald Aumeier sieht die Entwicklung im türkischen Fußball mit Sorge:
    "Die Politisierung der Gesellschaft in jedem Bereich macht vor dem Fußball nicht halt, und das ist kritisch zu bewerten. Wenn die Verbindungen zwischen der Regierung und den Vereinen noch klarer zu Tage treten als jetzt schon, wird es langfristig wahrscheinlich auch irgendwann Probleme geben mit der UEFA."