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Türkei will Grundstücke an christliche und jüdische Minderheiten zurückgeben

Rund 300, zumeist in den 1930er-Jahren unrechtmäßig enteignete Grundstücke sollen den christlichen und jüdischen Minderheiten und damit den ursprünglichen Eigentümern zurückgegeben werden. Ehemals privater Besitz von Armeniern und Griechen bleibt von der Regelung allerdings ausgenommen. Vertreter der Minderheiten erwarten schwierige Verhandlungen, betrachten den Beschluss der Regierung aber dennoch als Schritt nach vorn.

Von Gunnar Köhne |
    Massive Sandsteinquader, vertikale Fensterhöhlen im Spalier, davor ein schmaler, aber akkurat gepflegter Grünstreifen: Man sieht es dem viergeschossige Gebäude im Herzen Istanbuls schon von weitem an, dass es dem Staat dient.

    Seit 60 Jahren ist hier der Istanbuler Ableger des Staatsradios TRT untergebracht. Davor rauscht der Verkehr zwischen dem zentralen Taksimplatz und dem Einkaufsviertel Nisantasi. Vor 80 Jahren war an dieser Stelle noch grüner Stadtrand, die christlichen Minderheiten hatten hier ihre Friedhöfe. Das TRT-Gebäude steht auf den Gräbern der armenisch-katholischen Gemeinde. Eines von rund 300 unrechtmäßig enteigneten Grundstücken, die, so hat es die Regierung kürzlich beschlossen, den christlichen und jüdischen Minderheiten nun zurückgegeben werden sollen. Melkon Karaköse, Vertreter der armenischen Stiftungen, sieht am Beispiel der Friedhöfe schwierige Verhandlungen voraus:

    "Die Friedhöfe der Minderheiten stehen laut dem Vertrag von Lausanne, den die Türkei nach dem Ersten Weltkrieg mit den Alliierten geschlossen hatte, unter dem besonderen Schutz des Staates. Sie hätten den Gemeinden also nie genommen werden dürfen. Jetzt stehen auf den Friedhöfen Regierungs- und Armeegebäude, Hotels, Geschäfte. Wie wird diese Frage nun gelöst werden' Da wird es noch viele Probleme geben. Die armenischen Stiftungen sind nun dabei, eine Aufstellung ihres Eigentums zu machen. Die Regierung hat uns dafür ein Jahr gegeben. Dann werden wir sehen."

    Die meisten Grundstücke und Gebäude wurden den Minderheiten in den 1930er-Jahren per Gerichtsbeschluss genommen - die damaligen Urteile hat die Regierung nun zur Grundlage der Entschädigungen erklärt. Der armenisch-katholische Friedhof taucht jedoch in den Urteilen von damals gar nicht auf. So wird es für die Gemeinde schwierig werden nachzuweisen, dass ihnen die Friedhöfe widerrechtlich genommen worden sind.

    Nur eine von zahlreichen Hindernissen, die die Stiftungen, die den Besitz der Minderheiten verwalten, sehen - trotz aller Genugtuung über den Schritt der Regierung. Entschädigung vor Rückgabe, lautet das Angebot Ankaras an die Minderheiten. Die längst bebauten und durch viele Hände gegangenen Grundstücke liegen überwiegend in allerbester Citylage –jedes einzelne Millionen Euro wert. Laki Vingas, Repräsentant der griechisch-orthodoxen Gemeinde Istanbuls, erwartet schwierige Verhandlungen, wenn es um die Höhe der Entschädigungen gehen wird. Aber er will dem Eindruck vorbeugen, den verbliebenen 3000 Griechen, 50.000 Armeniern und 20.000 Juden ginge es ums Geld:

    "Es geht nicht darum, ob die Minderheiten nun durch die Entschädigungen wohlhabend werden. Es geht um Gerechtigkeit. Jahrzehntelang wurden wir als Ausländer angesehen, nicht als gleichberechtigter Teil dieser Gesellschaft. Wir versuchten nicht aufzufallen, versteckten uns, scheuten uns, unsere Interessen offen zu vertreten. Das hat sich geändert. Die türkische Gesellschaft ist uns gegenüber offener, wir haben das Gefühl, es geht voran."

    Vingas und sein armenischer Kollege Karaköse wissen, dass die türkische Regierung auch durch etliche Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes zu dem Entschädigungsangebot gedrängt worden ist. Zurückgegeben wird außerdem nur jener Besitz, der den christlichen Stiftungen genommen wurde. Ehemals privater Besitz von Armeniern und Griechen bleibt von der Regelung ausgenommen. Somit, soviel ist schon jetzt klar, wird es auch keine Entschädigung für den Besitz der - geschätzt - eine Million Armenier geben, die 1915 in der Türkei vertrieben oder ermordet wurden.

    Dennoch sieht Melkon Karaköse das neue Entschädigungsgesetz als einen bedeutenden Schritt an. Sein Vertrauen in die Regierung sei groß:

    "Ich habe drei armenischen Patriarchen als politischer Berater gedient. 25 Jahre lang habe ich sie nach Ankara begleitet. Und alle Regierungen haben uns mit einem Schulterklopfen und dem Versprechen nach Hause geschickt, unsere Forderungen würden ernsthaft geprüft. Nichts ist passiert! Erst diese Regierung hat uns zugehört. Ministerpräsident Erdogan persönlich hat die Anweisung erteilt, uns endlich unseren Besitz zurückzugeben."

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