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Türkei
Wo Regierungskritiker Fox News schauen

In den USA gilt der Fernsehsender Fox als erzkonservativ und Liebling von Präsident Trump. Anders sieht es in der Türkei aus. Die dortige Ausgabe ist eine der letzten kritischen Medienstimmen. Präsident Erdogan hat deshalb begonnen, den populärsten Moderator im Land anzugreifen.

Von Kristina Karasu | 15.05.2020
Ein Tablet zeigt Fatih Portakal im Fox-News-Studio
Fatih Portakal, das bekannteste Gesicht von Fox News in der Türkei - und wegen seiner Arbeit im Visier von Präsident Erdogan (Deutschlandfunk / Michael Borgers)
Ein paar Münzen, gerade genug um Brot zu kaufen – die zeigt ein Arbeitsloser in die Kamera. Mehr hat er nicht, zum Arbeitsamt ist er gelaufen, verzweifelt auf der Suche nach einem Job. Schicksale wie diese zeigen die türkischen Fox-Nachrichten in diesen Tagen häufig. Moderator Fatih Portakal kommentiert dazu pausenlos:
"Finden Sie unseren Finanzminister Albayrak, Schwiegersohn von Präsident Erdogan, erfolgreich? Also wenn Sie mich fragen – ich finde ihn nicht erfolgreich. Denn ich beurteile ihn danach, wie viel Geld die Leute in der Tasche haben."
Fatih Portakals ist der populärste Nachrichtenmoderator der Türkei, seine Sendung hat regelmäßig die höchsten Einschaltquoten des Abends. Auch die Istanbuler Hausfrau Gül schaut die Sendung fast immer. Ihre Söhne sind seit der Corona-Epidemie arbeitslos, ihr Mann war es schon davor. Moderator Portakal sagt offen, wie es wirklich um die Türkei steht, findet sie:
"Er ist ein furchtloser Journalist, er thematisiert alles, hat vor niemandem Angst und sagt, was zu sagen ist. Deswegen lieben wir ihn sehr."
Waschen, beten, zweifeln
Die Türkei wurde erst relativ spät vom Corona-Virus heimgesucht. Inzwischen kennen die Medien aber nur noch dieses eine Thema. Da die meisten großen Medien als regierungsnah gelten, geben sie die Sichtweise des Staates wieder. Alternative Medien und Experten haben daran Zweifel.
Zuschauer identifizieren sich mit Portakal
Portakal lässt Menschen zu Wort kommen, die in anderen Sendern schon lange nicht mehr reden dürfen: oppositionelle Bürgermeister, Kurdenpolitiker, Naturschützer oder kritische Ärzte. Dazu kommt ein ungewöhnlicher Moderationsstil, betont Medienwissenschaftler Ceren Sözeri von der Galatasaray-Universität Istanbul:
"Portakal erklärt in sehr einfachen Worten, fragt ganz grundsätzliche Fragen. Manchmal liest er Fragen und Kommentare vor, die Zuschauer ihm zugesandt haben, und versucht sie zu beantworten. Seine Sendung ist mehr eine Nachrichtenshow als eine klassische Nachrichtensendung. Oft kommentiert er Nachrichtenstücke auf ähnliche Weise, wie es wohl der Zuschauer gerade auf seinem Sofa tut. Dadurch können sie sich gut mit ihm identifizieren."
Drohungen und Strafen von Erdogan
Portakals Erfolg ist Erdogan schon lange ein Dorn im Auge. Am 30. April wurde ein Verfahren gegen den Journalisten eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft fordert bis zu drei Jahre Haft, weil er auf Twitter eine Spendenkampagne Erdogans kritisiert hatte. Die Rundfunkbehörde verhängte dazu Strafen gegen Fox, weil Portakal mit seiner Corona-Berichterstattung "Hass und Feindseligkeit angestachelt" habe. Bei einem weiterem "Vergehen" droht die Behörde damit, den Sender zu schließen. Gleichzeitig teilt Erdogan rhetorisch aus:
"Statt einen Beitrag zu leisten zu dem Kampf, den unser Land in diesen kritischen Zeiten führt, speien sie mit Lügen oder falschen Informationen Hass. Das ist ein Zeichen für eine Krankheit, die gefährlicher ist als das Virus selbst."
Seit Jahren versucht Erdogan, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Mittlerweile berichten über 95 Prozent der türkischen Medien regierungsnah. Fast alle gehören großen Konzernen, die auch im Bau-, Energie- oder Finanzsektor tätig sind. In der Hoffnung auf lukrative Staatsaufträge loben sie in ihrem Programm pausenlos die Regierung und feuern Journalisten, die zu kritisch sind.
Presse unter Kontrolle
Der Druck auf regierungskritische Journalisten in der Türkei ist weiterhin enorm. Etliche Reporter sitzen wegen ihrer Tätigkeit im Gefängnis, Zeitungen wurden verboten. Einige Beispiele zeigen allerdings auch, dass internationale Medienvertreter im Fokus stehen.
Zu populär fürs Gefängnis
Fox Türkei ist von diesen wirtschaftlichen Banden unabhängig. Der Sender gehört zu Fox International, einst gegründet vom Medienmongul Rupert Murdoch, seit 2018 in der Hand von Disney. In den USA ist Fox erzkonservativ und regierungsnah, der Lieblingssender von Präsident Trump. In der Türkei dagegen hat Fox mit seiner liberalen, kritischen Linie eine Marktlücke gefunden, erklärt Erol Önderoglu, Türkei-Vertreter von Reporter ohne Grenzen:
"Solange es im Mainstream-Mediensektor überhaupt keine andere kritische Berichterstattung gibt, solange du ein bisschen kritisch bist, einen moderaten Standpunkt vertrittst und als Gesprächspartner den Bürger auf der Straße mit seinen alltäglichen Sorgen hast, dann ist das in der heutigen Medienlandschaft eine wunderbare Möglichkeit, um Profit zu machen."
Ein Profit mit Risiko – dem ist sich Moderator Portakal bewusst. Seit den Strafen gegen seinen Sender ist er vorsichtiger geworden, augenzwinkernd thematisiert er das in seinem Programm. Den Moderator ins Gefängnis zu werfen, birgt aber auch für Erdogan Risiken – dafür ist der Moderator einfach zu populär.