Donnerstag, 28. März 2024

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Türkische Exil-Künstler
"Wir wollen nicht unter uns bleiben"

Per Ferndiagnose diagnostizierte er bei Präsident Erdogan eine narzisstische Persönlichkeitsstörung - und wurde prompt vor Gericht gezerrt. Heute lebt Mustafa Altioklar in Berlin. Von hier aus will er, wie viele andere türkische Exil-Künstler, seine Arbeit "nach Deutschland und in die Welt hinein öffnen".

Von Kemal Hür | 08.08.2017
    Die deutsche und die türkische Flagge sind an Fahnenmasten zu sehen. Im Hintergrund ziehen Wolken auf.
    Seit das Regime von Präsident Recep Tayyip Erdogan autokratische Züge angenommen hat, leben viele türkische Kulturschaffende im Berliner Exil - und beleben so den deutsch-türkischen Kulturaustausch. (dpa)
    Noch haben sie keinen Raum. Die türkischen Künstler im Exil müssen erst noch Klinken putzen, um sich vorzustellen, so in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen in Berlin.
    Der Starregisseur Mustafa Altioklar lebt seit zwei Jahren in Berlin und sagt: "Was uns in der Türkei widerfahren könnte, weiß leider niemand. Denn die Türkei ist kein Rechtsstaat mehr."
    Die "Kulturinitiative aus der Türkei"
    Mustafa Altioklar ist Arzt und Filmemacher. Als er bei Erdogan per Ferndiagnose eine narzisstische Persönlichkeitsstörung feststellte, wurde er wegen Präsidentenbeleidigung angeklagt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Altioklar verließ die Türkei, um sich frei seiner kreativen Arbeit widmen zu können. In Berlin gründete er nun mit weiteren Exil-Künstlern und türkeistämmigen Kollegen, die schon lange in Deutschland beheimatet sind, die "Kulturinitiative aus der Türkei".
    "Das ist eine berufliche Solidaritätsorganisation", erklärt er. "Wir wollen damit zeigen, dass wir ein Zusammenschluss von Künstlern sind, die gemeinsam ein großes künstlerisches Potenzial hierher bringen und als Künstler wahrgenommen und angesehen werden. Wir wollen aber nicht unter uns bleiben, sondern unsere Arbeit nach Deutschland und in die Welt hinein öffnen."
    Deutsch-türkischer Kulturaustausch zunehmend vital
    Seit ihrer Gründung im Jahre 1923 hat es in der Türkei drei erfolgreiche Militärputsche gegeben, zuletzt 1980. Damals flohen vor allem linke türkische Oppositionelle und Kurden ins Ausland. Nach dem Putschversuch im vergangenen Jahr und den darauf folgenden Säuberungswellen durch Erdogan, der den Umsturzversuch als ein Geschenk Gottes bezeichnete, stehen auch Akademiker, Journalisten und Künstler unter Druck. Der deutsch-türkische Filmemacher und Journalist Osman Okkan musste aus politischen Gründen bereits in den 60er Jahren aus der Türkei fliehen. Der Gründer des Kulturforums Türkei-Deutschland sagt, die türkischen Künstler hätten es im Gegensatz zu früher leichter, im Ausland Fuß zu fassen.
    "Damals gab es in der Türkei im Kulturleben die internationalen Beziehungen, die Verflechtungen mit der europäischen Kunst- und Kulturszene nicht in dem Ausmaß, wie es sich in den letzten Jahren glücklicherweise entwickelt hat. Und diese Verbindungen haben dazu geführt, dass sich die türkischen Kunst- und Kulturschaffenden doch sehr weit emanzipiert haben, dass sie nicht mehr dulden möchten, dass sie mundtot gemacht werden."
    Der Wunsch Gehör zu finden
    Ganz im Gegenteil: Sie schließen sich zusammen, um möglichst schnell gehört und verstanden zu werden, und zwar auch auf Deutsch. Die Initiative sucht zunächst einen Vereins- und Arbeitsraum, dann will sie Fördergelder beantragen, sagt Mustafa Altioklar.
    "Eines der wichtigsten Themen ist, dass unsere Romane, Drehbücher, Gedichte, Erzählungen ins Deutsche übersetzt werden müssen. Es ist wichtig, dafür Geldmittel zu akquirieren. Denn wir können uns am besten in unserer Muttersprache ausdrücken. Und es ist uns sehr wichtig, dass unsere Werke auch dem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht werden."
    Etwas Neuartiges entsteht
    Altioklar hat bereits erste Projekte realisiert. Er gründete eine Schauspielschule, die ersten sechs Studierenden stehen kurz vor dem Abschluss. Der Musiker und Komponist Taner Akyol, der seit Anfang der 90er Jahre in Berlin lebt, unterstützt die Kulturinitiative von Anfang an und will die türkischen Künstler in Berlin mit seinen eigenen Erfahrungen unterstützen, aber auch mit ihnen zusammenarbeiten.
    "Natürlich ist es auch schön, dass man mit solchen Künstlern Projekte und Ideen austauschen kann", sagt er. "Wir reden sehr viel über Kunst. Ich bin Musiker, Mustafa ist Regisseur. Ein Film geht nicht ohne Musik. Wir haben sehr viel Gemeinsames."
    Wie viele genau bei der Initiative mitmachen, verraten Altioklar und seine Mitstreiter noch nicht. Sie wollen es bald bekannt geben. Sicher ist aber: Einige von ihnen sind seit zwei Jahren, andere erst seit zwei Wochen in Berlin. Aus der Zusammenarbeit, ist sich Taner Akyol sicher, könnte bald etwas Neuartiges entstehen.